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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 13.11.2007


Jüdischer Almanach. Sprachen
Annegret Oehme

Der Jüdische Almanach 2007 des Leo Baeck Instituts widmet sich dem Phänomen "Sprachen": Hebräisch, Jiddisch, Deutsch oder dem alltäglichen israelischen Sprachmix...




Als die erste Hochschule in Israel, das Haifaer Technion, gegründet wurde, plante man, Deutsch als Unterrichtssprache einzuführen. Daraus entwickelte sich ein "Sprachkampf" der die Eröffnung der Hochschule verzögerte und der deutschen Sprache viele Feinde unter den in Israel ansässigen Juden einbrachte.
Die Sprache, die sich für viele mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten verband, wurde zum Tabu und es war verpönt, sie in der Öffentlichkeit zu verwenden.
Erst allmählich änderte sich diese Einstellung und heute lässt sich vor allem unter Jugendlichen ein wieder aufkommendes Interesse an der deutschen Sprache verzeichnen. Aber im melting pot Israel, in dem Straßenschilder in Englisch, Hebräisch und Arabisch beschriftet sind, spielt Deutsch eine geringe Rolle. So zahlreich wie die Kulturen im Land sind auch die Sprachen, die in einem lebendigen Austausch stehen und immer neue sprachliche Symbiosen hervorbringen.

Einen kleinen Einblick in diese Vielfalt vermittelt der "Jüdische Almanach Sprachen". In einzelnen Aufsätzen widmen sich die AutorInnen der aktuellen sprachlichen Situation in Israel, aber auch einzelnen Sprachen, wie Ladino, oder der Erneuerung des Hebräischen im 19. Jahrhundert. Die Wiederbelebung einer Sprache, die 2000 Jahre ausschließlich als Sakral- und Schriftsprache benutzt wurde, ist eine unglaubliche Leistung derer, für die der "Judenstaat" keinen Traum darstellte. Und doch ging der Begründer des politischen Zionismus Theodor Herzl ursprünglich davon aus, dass die Landessprache Deutsch sein würde: "Wir können doch nicht hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß Hebräisch genug, um in dieser Sprache ein Bahnbillet zu verlangen?" (Tagebucheintag vom 15. Juni 1895).

So verfasst Benny Mer einen Nachruf auf das Jiddisch, das trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht mehr zu retten sei. Die Anzahl der Jiddischsprechenden nimmt von Tag zu Tag rapide ab, die letzte jiddische Tageszeitung stellte im Sommer 2006 ihren Betrieb ein und nur noch wenige Bücher, erscheinen auf Jiddisch. Damit, so schlussfolgert er, sei die Sprache, die erstmalig 1272 in einem Wormser Gebetbuch auftauchte und zur lingua franca der aschkenasischen Juden wurde, dem Tod nahe, worüber auch Jiddisch-AktivistInnen und die YIVO (Institute for Jewish Research) in New York nicht mehr hinweg täuschen könnten.

Karen Sarhon zeigt sich bezüglich des Ladino, oder auch Judeospanisch, dem sephardischen Pendant zum Jiddisch, viel optimistischer. Solange es noch Menschen gäbe, die eine Sprache lebendig hielten und sie in ihren Alltag einbänden, könne man noch hoffen. Getreu dem Motto: "Wenn es am dunkelsten ist, kommt die Dämmerung."

Wen wundert es bei einer solchen Sprachvielfalt innerhalb des jüdischen Lebens, dass Ludwig Lazarus Zamenhof, ein jüdischer Arzt, bereits im 19. Jahrhundert den Traum einer gemeinsamen Sprache in seinem Lebenswerk dem "Esperanto" zu verwirklichen suchte. Mit diesem Thema befasst sich Ulrich Lins´ Aufsatz.

Schließlich resümiert Hellmut Stern in seinem Aufsatz "Musik als lebensrettende Sprache", dass wohl die beste und schönste Verständigung eben jene ist, die da anfängt wo die Worte aufhören und die Musik anfängt.

Zur Herausgeberin: Dr. Gisela Dachs wurde 1963 in Deutschland geboren und studierte nach dem Abitur Literaturwissenschaften und Philosophie an der Sorbonne in Paris. Von 1987 bis 1989 war sie Auslandsredakteurin der französischen Tageszeitung "Liberation" und schreibt seit 1990 für die Wochenzeitung "Die Zeit", für welche sie auch seit 1994 als Auslandskorrespondentin in Israel arbeitet.

AVIVA-Tipp: Gewohnt facettenreich und interessant vereint der Leo Baeck Verlag in seiner Publikation "Jüdischer Almanach. Sprachen“ Aufsätze, die jüdisches Leben und Kultur einmal aus der sprachlichen Perspektive heraus betrachten. Nicht nur allgemein, sondern auch ganz speziell widmen sich die AutorInnen Übersetzungsproblemen, Sprachverbundenheit und Sprachlosigkeit, hebräisch-arabischem Slang und der Deutsch-Hebräischen Beziehung.

Lesen Sie auch unsere Rezensionen: Der Jüdische Almanach (2006)
"Frauen"
und Der Jüdische Almanach "Die Jeckes".


Gisela Dachs (Herausgeberin)
Jüdischer Almanach des Leo Baeck Instituts. Sprachen

Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, erschienen Oktober 2007
142 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-633-54226-0
14,80 Euro


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Beitrag vom 13.11.2007

AVIVA-Redaktion