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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 30.08.2007


Marieluise Fleißer - Eine Biographie von Hiltrud Häntzschel
Sabine Grunwald

Mit "Fegefeuer in Ingolstadt" hatte die junge Dramatikerin ihren ersten großen Erfolg. Nach langen schweren Jahren wurde sie Ende der 60er Jahre wiederentdeckt und auch in ihrer Heimatstadt gefeiert




Ihr erstes Stück Fegefeuer in Ingolstadt, das 1926 erschien, machte die junge Dramatikerin zu einer Person non grata in ihrer Heimatstadt. Marielouise Fleißer wurde 1901 in Ingolstadt geboren und schöpfte auch künstlerisch aus diesem Erfahrungshintergrund. Ihre dialektgefärbte, volksnahe Sprache, zusammen mit einer sexuell aufgeladenen Atmosphäre und sozialkritischen Tendenzen, verlieh ihren Stücken und Erzählungen (u.a. Abenteurer aus dem Englischen Garten und Ein Pfund Orangen) einen Reiz, der in der Literatur ihrer Zeit einzig war.
Sie lernt Lion Feuchtwanger, Bertold Brecht, Helene Weigel und Elisabeth Hauptmann kennen und reist zur Aufführung von Fegefeuer in Ingolstadt nach Berlin, das dort am Deutschen Theater seine Uraufführung erlebt.

Die KritikerInnen sind beeindruckt von dem neuen Talent aus der Provinz und erkennen ihre Begabun. Marielouise Fleischer, der „Shooting-Star“ aus der Provinz wird zum neuen „Fräuleinwunder“ der Zwanziger Jahre.
Selbst das Urteil des scharfzüngigen und gefürchteten Starkritikers Alfred Kerr fällt überraschend positiv aus.
Der Ullstein Verlag garantiert der jungen Künstlerin ein monatliches Einkommen von 200 Mark. Zwei Wochen nach der sensationell erfolgreichen Aufführung ihres zweiten Stückes Pioniere in Ingolstadt, 1929 erhöht der Verlag die Zahlung auf 300 Mark.
Im Mai 1926 erweitert die Magdeburgische Zeitung ihre Unterhaltungsbeilage für anspruchsvolle Literatur, um den Lesebedürfnissen besonders auch den Frauen Rechnung zu tragen, und Marielouise kann dort zusammen mit der ersten Garde der deutschen Literatur 16 Prosaarbeiten veröffentlichen.
Am 5. Januar 1927 siedelt die Autorin nach Berlin über und zieht nach Wilmersdorf in die Pariser Str. 63. Nach fünf Monaten voller Begegnungen, Anregungen aber auch Enttäuschungen kehrt sie der Großstadt wieder den Rücken. Die schüchterne, passive Ingolstädterin findet nicht den gewünschten Anschluss und kehrt über einen Umweg, dem Ostseebad Kolbert, wieder nach Ingolstadt zurück. Berlin wird sie erst wieder zur Aufführung der Pioniere Ende März 1929 am Schiffbauerdamm besuchen.

Nach ihrer Heimkehr verlobt sie sich mit dem drei Jahre älteren Joseph Haindl, ein Händler in Weinen, Spirituosen und Tabakwaren, nebenbei Ruderer und Sportschwimmer. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein, er der Antiintellektuelle, sie die Literatin.
Die Aufführung der Pioniere in Ingolstadt wird zum Politikum und die rechte Presse verunglimpft das Stück über „Soldaten und Dienstmädchen“ als unmoralisch und antimilitaristisch. Nach der Trennung von Haindl lernt sie den glück- und talentlosen Poeten Hellmut Draws-Tychsen kennen und lieben, der in ihrem persönlichen und beruflichen Leben eine verhängnisvolle Rolle spielen sollte. Mit der Hinwendung zu diesem Mann bezieht sie gerade das Lager ihrer Feinde, die wegen ihres Stückes frauenverachtend gegen sie polemisierten. Nach der masochistisch gefärbten Beziehung zu Draws-Tychsen, der ihre Schaffenskraft als Künstlerin beinahe zerstörte, heiratete sie Haindl und arbeitete erst nach dessen Tod 1958 weiter an ihrer Karriere.
Erst gegen Ende der 60er Jahre entdeckten junge Dramatiker wie Franz Xaver Kroetz und Rainer Werner Fassbinder wieder den brisanten Stoff ihrer Stücke und verhelfen Marielouise Fleißer zu einem späten, aber verdienten Ruhm.

Zur Autorin: Hiltrud Häntzschel lebt als Literaturwissenschaftlerin und freie Autorin in München. Publikationen u.A: Brechts Frauen: Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906-1996 (zus. Mit Günter Hätzschel), Diese Frau ist ein Besitz, Marieluise Fleißer zum 100. Geburtstag, Marbacher Magazin zur Jubiläumsausstellung in Ingolstadt 2001.

AVIVA-Tipp: Reich an Details und bisher unveröffentlichten Materialien gibt diese Biographie einen detaillierten Einblick in das private Leben und künstlerische Schaffen einer großen deutschen Schriftstellerin.


Hiltrud Häntzschel
Marieluise Fleißer

Eine Biographie
Insel Verlag, erschienen 2007
ISBN 978-3-458-17324-3
Gebunden, 374 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
22,80 Euro


Literatur

Beitrag vom 30.08.2007

Sabine Grunwald