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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 07.05.2008


Louise Doughty – Die Wiege aus Stein
Jana Muschick

Zwei Frauen – zwei Welten. Clementina und Rose Smith sind Stiefmutter und Stieftochter und können sich auf den Tod nicht ausstehen. Ein vielschichtiger Roma-Roman von Louise Doughty.




In ihrem Roman eröffnet Louise Doughty der Leserin die Welt der Roma: Die "Romnichals" sind eine ethnische Minderheit von Fahrenden, die sich aus verschiedenen Familienstämmen zusammensetzen.

Die junge Roma Clementina bringt an einem eisigen Wintermorgen ihren Sohn Elijah zur Welt – um den Vater des Kindes wird ein Geheimnis gemacht, denn Clementina möchte nicht ihr Gesicht verlieren. Ihre Eltern stehen ihr voller Liebe und Fürsorglichkeit zur Seite. So erzieht sie ihren Sohn mit den Bräuchen der Fahrenden und lebt mit ihrem späteren Mann in einem wundervoll grün bemalten "Vardo", ein mit Leinen überspannter Karren, der vor ein Pferd gespannt wird und das Heim der Roma-Familien ist.

Roma-"Mischlinge", im deutschen Sprachgebrauch bis heute als Jenische bezeichnet, werden von dem Volk der Fahrenden kaum akzeptiert. So fällt es auch Clementina schwer, das Geheimnis um ihren Sohn zu hüten. Elijah ist ihr ganzer Stolz – deshalb schmerzt es sie so stark, als sich ihr einziges Kind in eine "gorjer" – eine Frau, die keine Roma ist – verliebt. Elijah flüchtet mit seiner Rose und sie heiraten schon nach wenigen Tagen. Nach den ersten leidenschaftlichen Wochen wird das Leben für das junge Paar problematischer. Rose ist fast ununterbrochen schwanger und ihr Mann trinkt mehr und mehr. Bald ist er nur noch betrunken.

Doch Rosi meint, alles ertragen zu können – bis Elijahs Mutter vor ihrer Tür steht und das Leben der kleinen Familie mit ihrer direkten Art völlig nach ihren Vorstellungen zu bestimmen versucht. Ein Machtkampf unter den Frauen beginnt, an dem beide Zeit ihres Lebens reifen, der ihnen beiden aber auch oft das Dasein zur Hölle werden lässt.

Hintergrund des Fahrenden Volkes

Seit dem 15. Jahrhundert wird die aus Indien zugewanderte Gruppe der Roma – einschließlich ihrer Untergruppe, den Sinti – als "ZigeunerInnen" bezeichnet. Da der Ausdruck "ZigeunerInnen" im 18. und 19. Jahrhundert ein polizeilicher Begriff war und mit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend ethnisch belastet wurde, bezeichnet man die Fahrenden heute als Roma.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgten die Nationalsozialisten die ZigeunerInnen mit besonderer Härte, verhafteten sie und deportieren sie. Roma-Frauen wurden sterilisiert, in Arbeitslagern interniert und vergast.

In Großbritannien wurden die Roma, die dort "Romnichals" oder "Gypsies" genannt werden, erstmals 1660 als ethnische Minderheit und BewohnerInnen des Königreiches anerkannt. In den 1830er Jahren wurde von den ersten hölzernen, von Pferden gezogenen Wagen berichtet. Diese Wagen nannte man "Vardo". Die Roma lebten im Sommer von bäuerlicher Arbeit und zogen zu Wintereinbruch an den Rand der Städte, um dort selbst hergestellte Waren zu verkaufen. Die Massenindustrie der Landwirtschaft in den 1960er Jahren stoppte in Großbritannien die Arbeit der Roma.
Über die Sinti und Roma können Sie mehr erfahren unter: www.sintiundroma.de.

Die Wiege aus Stein

Der Roman beleuchtet die Perspektiven beider Frauen aus deren Ich-Perspektive. So erzählt Rose von ihren schlimmen Jahren auf dem Land, von ihrem Verliebtsein in Elijah und von seiner Mutter, die schon in den ersten Tagen zu ihr kommt und sagt: "Du hast meinen Sohn geheiratet und wirst bis an dein Lebensende den Kummer mit Löffeln fressen." Clementina wiederum berichtet von ihrem eigenen Leben, von dem Leben mit ihrem Sohn und von der merkwürdigen "weichen, weißen" Frau, die er sich genommen hat. Nur eins hält die beiden Frauen zusammen: die Liebe zu ihren Kindern.

Zur Autorin: Louise Doughty, geboren 1963, britische Autorin und Journalistin, hat sich mit mehreren Romanen einen Namen gemacht. "Die Wiege aus Stein" ist ihr erstes in deutscher Sprache erschienenes Buch.

AVIVA-Tipp: Frau muss sich erst hinein lesen in die Welt der Roma, in ihre Sitten und Bräuche und die Art, wie sie mit einander reden. Beide Frauen haben kein leichtes Leben – ihr Zusammenleben mit einander lässt es fast noch unerträglicher werden. Die Charakterdarstellungen von Louise Doughty sind gelungen, lassen die LeserIn Schmerz und Freude mit empfinden und verführen immer wieder zum Weiterlesen. Ein gut recherchierter Roman um die Kultur der Roma und ihr Zusammentreffen mit der nicht fahrenden Zivilisation.


Louise Doughty
Die Wiege aus Stein

Originaltitel: Stone Cradle
Ãœbersetzt von Astrid Arz
C. Bertelsmann Verlag, erschienen Februar 2008
Hardcover, 416 Seiten
ISBN: 978-3-570-00988-8
19,95 Euro


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Beitrag vom 07.05.2008

AVIVA-Redaktion