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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.03.2012


Irena Brežná - Die undankbare Fremde
Nina Breher

Das neue Buch der slowakisch-schweizerischen Schriftstellerin erzählt die Geschichte der Folgen einer Emigration. Durch Sprachkunststücke und Wortverwandlungen verschieben sich die Relationen,...




... sodass auch der Fokus der LeserInnen sich verschiebt, und zwar von einer Frau, der vorgeworfen wird, eine undankbare Fremde zu sein, hin zur Auseinandersetzung dieser mit einem undankbaren fremden Land.

Einerseits erzählt dieser Roman die Geschichte einer Emigrantin, die gerade alt genug ist, um sich an die Geborgenheit des Heimatlandes zu erinnern und dieses zu vermissen. Andererseits Episoden aus dem Alltag einer Dolmetscherin, die sie später sein wird. Aus drei Sprachen übersetzt sie Anliegen von AsylbewerberInnen in Gesprächen mit den Behörden. Beide Erzählstränge sind ineinander verschachtelt und kommentieren sich gegenseitig, ohne direkte Bezüge zueinander aufzubauen. Während die Dolmetscherin damit kämpft, sich nur als Brücke zu betrachten, zu übersetzen, ohne zwischen den Menschen und Kulturen selbst zu vermitteln, versucht die namenlose Protagonistin des anderen Handlungsstranges intensiv, teilweise verzweifelt, zwischen sich selbst und dem ihr stets fremd bleibenden neuen Land zu kommunizieren. Sie will es verstehen, und in linguistischen Kapriolen nähern wir uns so dem Kern des Problems.

Die Protagonistin erkennt, dass die Assimilation an das Land, in dem sie gelandet ist – die Schweiz – schlichtweg nicht wünschenswert ist: "Mit Nachdruck appellierten sie an den Verstand, bereiteten den Nachwuchs auf die vordergründige Welt vor, in der sie sich auskannten. Dass es dahinter noch tausend Welten gab und darunter tausend Böden, tausend Wonnen, haben sie verschwiegen. Das war Betrug (…)."

Von hier aus nehmen zutiefst ironische und doch traurige, leichtfüßige und doch schwerwiegende Betrachtungen der westlichen, wohlhabenden Gesellschaft und ihren kulturellen und territorialen Grenzziehungen ihren Lauf. Dient hier zwar die Schweiz als Beispiel, lassen sich die Aussagen doch mindestens auf Deutschland und Österreich ausweiten: "Die hiesigen Weiher gehörten nicht uns allen, auch Fische waren private Dinge. Wo könnte ich losrennen bis zur Sonne und bis zum Umfallen privatlos schreien? Grenzen überschreitende Gefühle standen im Verdacht, den Privatbesitz enteignen zu wollen."

Wie viel Irena Brežnás eigene Lebensgeschichte Einfluss auf Die undankbare Fremde genommen hat, bleibt Spekulation, autobiographische Züge sind jedoch nicht zu übersehen. Sie kam 1968 selbst aus der Slowakei in die Schweiz, publiziert auf deutsch und ist zudem als Dolmetscherin für Schweizer Behörden tätig. Sie erhielt 2001 unter anderem den EMMA-Journalistinnenpreis und unterstützt die erste slowakische feministische Frauenzeitschrift "Aspekt".

Zumindest die Protagonistin findet ihre Identität und Heimat in dem in der Reibung der Kulturen entstehenden Zwischenraum selbst und stellt fest: "Ich schärfe den Blick für die Weite, drehe das Leiden am Fremdsein um und fordere mein Recht auf Fremdsein um und fordere mein Recht auf Fremdheit, stilisiere die Fremdheit zur Seinsform, denke mich stets neu, werde heimisch darin."

AVIVA-Tipp: Dieses Buch ist eine ernsthafte und zauberhafte Auseinandersetzung mit der Frage nach Anpassung und Widerstand, Herkunft und Zukunft. Zugleich kann es als Liebeserklärung an die deutsche Sprache verstanden werden, hinter der tausend unentdeckte Welten schlummern. Die undankbare Fremde macht diese spürbar. Brežná schreibt so meisterhaft, dass mensch dem Buch das etwas abrupte und hinter der Erzählung zurückbleibende Ende gern verzeiht.

Zur Autorin: Irena Brežná wurde 1950 in der Tschechoslowakei geboren. 1968 Emigration in die Schweiz. Sie ist Journalistin, Schriftstellerin, Slawistin, Psychologin, Menschenrechtlerin. Zuletzt erschien ihr autobiographisch gefärbter Roman "Die beste aller Welten". Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den EMMA-Journalistinnenpreis und den Theodor-Wolff-Preis für ihre Kriegsreportagen aus Tschetschenien.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.brezna.ch

Irena Brežná
Die undankbare Fremde

Galiani Verlag, erschienen im März 2012
Gebunden, 140 Seiten
ISBN: 978-3-86971-052-5
16,99 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter: www.galiani.de

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Beitrag vom 23.03.2012

AVIVA-Redaktion