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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 07.08.2012


Amélie Nothomb - Den Vater töten
Marie Heidingsfelder

Ein Roman wie ein Kartentrick: Unter der Oberfläche spielender Leichtigkeit und altbekannter Kunstgriffe lauert der doppelte Boden – und welche Autorin könnte verführender beschreiben, wie Ödipus...




... im Schall und Rauch des Burning Man Festivals mit dem Feuer tanzt.

Es liegt offenbar nicht nur in der Natur des Menschen, gerne zu spielen, sondern auch, gerne verzaubert zu werden. Bereitwillig lassen wir uns verführen, schalten den Verstand aus, geben uns der Illusion hin und vergessen allzu gern, wer die Fäden in der Hand hält. Doch wo hört die Magie auf, und wo beginnt der Betrug? Amélie Nothomb hat die Karten verteilt und das Spiel eröffnet: Ein literarischer Kurztrip von 128 Seiten, der die Wahrnehmung in einen Rausch aus Hitze, Drogen und Begehren stürzt – Hereinspaziert!

Magie und Betrug

"Die Magie verzerrt die Wirklichkeit zugunsten des Gegenübers, um in ihm einen befreienden Zweifel wachzurufen; der Betrüger verzerrt die Wirklichkeit zu Ungunsten des Betrügers, um ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen."

Dies ist eine der ersten Lektionen, die Joe Whip von seinem Ziehvater, dem berühmten Magier Norman Terence lernt. Früh aus dem Haus seiner Mutter gegangen, lernt und lebt Joe bei Norman und seiner Frau Christina am Rande der Wüste von Nevada. Doch Joe hat nicht nur Interesse am Betrug, sondern vor allem auch an Christina und schmiedet einen hinterhältigen Plan: Beim Burning Man Festival, im Exzess aus Drogen, Feuer und Dubstep soll sie sein werden.

Gnadenlos schnell und berauschend leicht

Der Vatermord gehört wohl zu den bekanntesten Motiven der Literatur, doch selbst wenn Amélie Nothombs Roman nach großen alten Hüten klingt und sie den Inhalt gleich zum wenig subtilen Titel erklärt, lohnt sich ein Blick hinter die scheinbar antike Kulisse. Wie die übrigen Werke der Autorin ist "Den Vater töten" vor allem eins: Ein geniales Gedankenspiel in Form eines literarischen Exzesses: Schnell, gnadenlos und berauschend leicht zeigt sich Amélie Nothomb als Meisterin ihres eigenen Spiels.

Zur Autorin: Amélie Nothomb wurde 1967 als Tochter eines belgischen Diplomaten in Kobe, Japan, geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie hauptsächlich in Fernost. Außer in Japan, China, Bangladesch und Burma lebte sie in den USA, bevor sie mit 17 nach Belgien kam, wo sie romanische Philologie studierte. 1992, mit 25, veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Die Reinheit des Mörders" - ein Debüt, mit dem ihr sofort der nationale und internationale Durchbruch gelang. Ihrer eigenen Aussage nach schreibt Amélie Nothomb genau 3,7 Romane pro Jahr, von denen sie nur einen einzigen veröffentlicht, da die anderen daneben gegangen und unlesbar seien. Gleichsam beschreibt sie sich als "schwanger mit Romanen." Ihre Romane erscheinen in 39 Sprachen. Für "Mit Staunen und Zittern" erhielt sie den Grand Prix de l´Académie française. Amélie Nothomb lebt in Paris und Brüssel.

AVIVA-Tipp: Wer Sten Nadolnys "Entdeckung der Langsamkeit" im Regal mit den Lieblingsbüchern stehen hat, sollte Amélie Nothomb mit Vorsicht genießen. Für alle anderen gilt: Für ein optimales Rauscherlebnis "Den Vater töten" möglichst am Stück verschlingen und sich den Strudeln des Erzählflusses vollkommen hingeben. Amélie Nothomb hält die Fäden in der Hand und zeigt sich in Bestform: Ebenso leicht wie hintergründig und ebenso berauschend wie beherrscht inszeniert sie ihren Ödipus in der Hitze der amerikanischen Wüste.

Amélie Nothomb
Den Vater töten

Originaltitel: Tuer le Père, Éditions Albin Michel, 2011
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große
Diogenes Verlag, erschienen Mai 2012
Hardcover, 128 Seiten
ISBN-13: 978-3257068184

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Beitrag vom 07.08.2012

AVIVA-Redaktion