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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 05.01.2013


Euer Schweigen schützt euch nicht, Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland. Herausgegeben von Peggy Piesche
Bärbel Gerdes

"Eine Schwarze, Kriegerin und Dichterin, die ihre Arbeit tut und gekommen ist, euch zu fragen, ob ihr die Eure tut." Dieser Aufruf zum politischen Handeln zeigte in Deutschland eine großartige ...




... Wirkung: das Erwachen einer Bewegung.

Audre Lorde´s Einfluss auf die US-amerikanische Frauenbewegung, ihre aufrüttelnden Texte und ihr brillantes Beleuchten von Sexismus, Rassismus und Homophobie wurden Mitte der achtziger Jahre allmählich auch in der deutschen Frauenbewegung bekannt.
Welche weitreichende Wirkung aber ihre Seminare und Lesungen als Gastprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin haben würde, zeigt sich dadurch, wie sehr sie ihre Texte auch lebte. Ihr gelang es in Deutschland tatsächlich, Schweigen in Sprache und Handeln umzuwandeln. Damit trug sie maßgeblich zur Entstehung der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland bei.

Der zu Audre Lorde´s zwanzigstem Todestag erschienene Band "Euer Schweigen schützt euch nicht" vereinigt bereits erschienene Texte Lordes mit Beiträgen, Interviews und Gedichten afrodeutscher Frauen. Kaleidoskopartig entsteht so eine Geschichte der Schwarzen Frauenbewegung in – mal durch ganz persönliche Erzählungen und Erfahrungen, mal durch so grundlegende Essays wie "The Uses of the Erotic" und "Die Verwandlung von Schweigen in Sprache und Aktion" von Audre Lorde.

Die 1934 in Harlem geborene Lorde, eine "Black, Lesbian, Feminist, warrior, poet, mother", wie sie sich selbst stets bezeichnete, kam 1984 nach Berlin. Es erstaunte sie, dass ihr auf ihre Frage, wo denn die Schwarzen Menschen seien, das Bild vermittelt wurde, diese gäbe es nicht in Deutschland. In ihrem Seminar sprach sie sogleich die anwesenden Schwarzen Frauen an und traf sich mit ihnen separat. Erstmals taten sich Schwarze Frauen zusammen, um über ihr Leben und ihre Erfahrungen in Deutschland zu sprechen, um sich einen Namen zu geben und endlich sichtbar zu werden, denn es wurden, so Lorde: "Schwarze Frauen einerseits schon immer extrem sichtbar gemacht und dabei gleichzeitig aufgrund eben ihres Schwarzseins der Persönlichkeit beraubt und unsichtbar gemacht bzw. ausgeblendet."

Die politische Selbstbezeichnung "Afrodeutsch", später "Schwarze Deutsche" begründete ein neues kollektives Selbstverständnis, das bundesweit Schwarze AktivistInnen in Bewegung setzte. Kurz darauf gründeten sich zwei Vereine: ADEFRA (zunächst die Kurzform für "Afrodeutsche Frauen", inzwischen "Schwarze Frauen in Deutschland") und ISD ("Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland").
Da Schwarze Lesben der Motor dieser Bewegung waren, wurde zunächst der Name ADELE ("Afrodeutsche Lesben") diskutiert. Die Bedeutung des Wortes Adefra im Amharischen (die Frau, die Mut zeigt) gab dann jedoch den Ausschlag.

Mit der Veröffentlichung des bahnbrechenden Buches "Farbe bekennen", (1986 herausgegeben von Katharina Oguntoye, May Ayim, Dagmar Schultz) wird eine öffentliche Debatte über Schwarzsein in Deutschland ausgelöst. Neue Handlungs- und Artikulationsräume öffnen sich und richten den Scheinwerfer auf den Rassismus in der deutschen Gesellschaft. Die stete Annahme, Schwarze Menschen könnten keine Deutschen sein, die historische Verfälschung und Negierung, Schwarze Menschen gäbe es erst seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und deren beleidigende Titulierung als "war babies", das ständige Wahrgenommenwerden als "anders" und nicht dazugehörig, schlagen Wunden und tiefe Verletzungen, die sich erstmals in Sprache und Handeln ausdrücken können.
So stark ist diese Ausgrenzung, dass die Begegnung zwischen einer jungen schwarzen Frau und einer alten weißen in einer Berliner U-Bahn völlig unerwartet ist:
wir berliner / sagte die alte frau / schloß mich ein / augenzwinkernd / das tat so gut / wir berliner / ich schwarz und jung / sie alt und weiß … und mein mund blieb offen
heißt es in dem Gedicht von Ana Herrero Villamor.

Die Unsichtbarkeit und das Nichtthematisieren von Rassismus gibt es aber auch in der weißen Frauenbewegung. "Die weiße feministische Bewegung ist immer noch notorisch langsam darin, zu erkennen, dass Rassismus eine feministische Angelegenheit ist, keine Angelegenheit der Nächstenliebe, sondern ein Kernpunkt feministischen Bewusstseins", so Lorde. Nur allzu oft nimmt die weiße Frauenbewegung die rassistische Ausgrenzung und Unterdrückung und die Einengung auf ihren "weißen Blick" als unwichtig und nebensächlich wahr, was zunehmend dazu führte, dass Schwarze Frauen sich bewusst zurückzogen und sich unabhängig von weißen Frauen organisierten. Die warme Decke, die über der Bewegung lag, hätten sie von sich geworfen, so Gloria Wekker in ihrem Beitrag über die Schwarze Lesbische Frauengruppe "Sister Outsider" aus den Niederlanden, weil sie von dieser doch nur ein Eckchen bekommen hätten.

Ihre Aktualität haben die Texte nicht eingebüßt. Sie dienen auch der Vergegenwärtigung des immer noch existierenden, alltäglichen Rassismus´. Das ist schrecklich, ist aber auch ein Aufruf zum Handeln, denn wie Lorde in einem Interview sagt: "Die einzige wahre Hoffnung, die es geben kann, besteht doch darin, dass wir uns ehrlich eingestehen, wie viel wir noch tun müssen, und ich glaube, wir können das tun, und nicht nur das, ich glaube, wir können es mit Freude tun."

AVIVA-Tipp: Die Geschichte der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland ist eine Geschichte des Mutes und des Kampfes, doch gleichzeitig eine von Freundschaft, Sisterhood und Beheimatetsein. Endlich eine Stimme zu finden, endlich sichtbar zu sein und handeln zu können, stellt eine große Befreiung dar. Dieses Buch gibt die Gelegenheit, diesen Prozess zu begleiten.
Fast zeitgleich ist eine DVD mit Aufnahmen von Audre Lorde in der Edition Salzgeber herausgekommen: Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984 –1992, ein Dokumentarfilm von Dagmar Schultz .

Zur Herausgeberin: Peggy Piesche ist eine Schwarze deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, geboren und aufgewachsen in der DDR. Sie publiziert zu Rassifizierungen und Schwarzen Images, Kolonialgeschichte und kollektiver Erinnerung. Piesche íst u.a. Herausgeberin von "Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland". Sie unterrichtet German, Woman und Africana Studies am Hamilton College/NY, USA. Zudem schreibt sie Romane über ethnische Minderheiten. Ihre Arbeit wurde von der Volkswagen-Stiftung sowie von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für gemeinsame Projekte Schwarzer Deutscher und Schwarzer Europäer gefördert. (Verlagsangaben)
Mehr Infos auf: blackgermans.us

Zu Audre Lorde: Audre Lorde arbeitete nach dem Studium zunächst als Bibliothekarin, später war sie Professorin am Hunter College in New York City. 1968 veröffentlichte sie ihren ersten Lyrikband "The First Cities". In den nächsten 25 Jahren folgten zehn weitere Lyrikbände sowie der autobiographische Roman "Zami" und eine Reihe von Essaybänden. Sie erhielt eine Vielzahl von Literaturpreisen, und drei Universitäten verliehen ihr den Titel der Ehrendoktorin. 1991 wurde sie mit dem renommierten "Walt Whitman Citation of Merit" zum New York zur Dichterin des Staates New York ernannt. Audre Lorde starb 1992 im Alter von 58 Jahren an Brustkrebs. (Verlagsangaben)

"Euer Schweigen schützt euch nicht" – Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland
Hrsg. von Peggy Piesche

Orlanda-Verlag, erschienen Dezember 2012
240 S.
19,50 Euro
ISBN 978-3-936937-95-4
www.orlanda-verlag.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Audre Lorde – die Berliner Jahre 1984 – 1992, ein Dokumentarfilm von Dagmar Schultz

Auf der Berlinale: Audre Lorde - the Berlin Years 1984 to 1992

Noah Sow - Deutschland Schwarz Weiß - Der alltägliche Rassismus

Mehr Infos zu Audre Lorde unter:

www.jfki.fu-berlin.de, (Audre-Lorde-Archiv, John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin)

www.fembio.org


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Beitrag vom 05.01.2013

Bärbel Gerdes