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Beitrag vom 16.03.2014
Yasmina Reza - Glücklich die Glücklichen
Dorothee Kröger
Dem Alltag ein Refugium des Glücks abgewinnen? Nach "Gott des Gemetzels" lenkt die Theaterregisseurin den Blick auf die skurrilen Alltagsphänomene, die das Glück jeweils im Kleinen definieren.
Ein soziales Gefüge
Wie lässt sich das begrenzte Leben mit Glück füllen? Yasmina Rezas "Glücklich die Glücklichen" führt ein in ein Menschengeflecht, dessen ProtagonistInnen dieser Frage nachgehen. 21 Gedankenströme geben Einblick in deren verschiedene Lebensphasen und werden im Verlauf zunehmend verzahnt. Der LeserIn öffnet sich ein Mikrokosmos, an dem sie suchend mit einer Lupe entlangfährt und die einzelnen Geschichten als Momente des Innehaltens fungieren. Sukzessiv entwickelt sich ein multidimensionaler Blick auf zwischenmenschliche Begegnungen, deren Bild sich durch jede neue Erzählung wandelt. Dabei steht weniger die Konnektivität der Figuren als die Erfahrung von Mängeln in Liebesbeziehungen im Zentrum.
Re-Verzauberung
Odile und Robert, ein streitendes Liebespaar an der Käsetheke im Supermarkt, öffnen das immer wiederkehrende Element der Liebeskrisen. Wie ein roter Faden verbinden und trennen diese die Charaktere untereinander. Doch es tauchen auch Figuren auf, wie etwa der vermeintliche Kettenraucher Vincent Zawada, der seine Mutter regelmäßig zur Chemotherapie begleitet. Im Wartezimmer flirtet sie humorvoll mit einem anderen Patienten. Es sind solche Szenen, die sich als Re-Verzauberung einer entzauberten Welt begreifen lassen. Die Figuren sind desillusioniert durch anhaltende persönliche Enttäuschungen, vor allem aber in der Liebe. Rezas Kunstgriff besteht darin, sie das Liebesvakuum mit Hoffnungen füllen zu lassen, die ihnen den Humor und Lebensmut erhalten. Die Re-Verzauberung ist ihr Glück, welches auf ein Minimum reduziert, doch gerade genug ist.
Vorstellungen dekonstruieren
Erzählerisch durchkreuzen die Figuren mehrfach die Geschichten der anderen, bevor ihre eigene erzählerisch unter die Lupe genommen wird. Somit verortet mensch einen Doktor Philip Chemla womöglich in dem von Vincent Zawada evozierten Bild des perfekten Arztes. Hier manipuliert Yasmina Reza durch die Assoziationen, die dem Bild anhaften. Diese dekonstruiert sie anhand des eigenen Bewusstseinsstroms Chemlas. Er imaginiert pornografische Szenen und beschreibt sexuelle Kontakte zwischen ihm und seinem Bruder.
Konventionelle Liebesdarstellungen
Die meisten der von Reza entworfenen Figuren leben nicht nur in heterosexuellen Beziehungen, sondern auch in der oft damit einhergehenden jeweiligen Geschlechterrolle. Männer werden recht verallgemeinernd als Fels in der Brandung, unbeweglich und sexuell dominant dargestellt. Die Frauen sind dementsprechend kokettierend porträtiert, geschäftig in der Küche, und shoppend. Zwar sind auch Frauen mit vergleichsweise rebellierend anmutenden Geschlechtervorstellungen im Roman integriert. Doch scheint sich die Form des Aufbegehrens letztendlich doch in den Schwitzkasten der männlichen Abhängigkeit zu manövrieren. Es bleibt im Hinblick darauf zu fragen, ob diese Skizzierung der Geschlechter einen Realitätsanspruch formuliert und/oder als Form der Kritik gedacht ist. Da es der LeserIn selbst überlassen ist, die Bewusstseinsströme auktorial zu verknüpfen, ist ihr folglich die Möglichkeit gegeben, eine solche Kritik abzuleiten. Doch genauso lässt sich der Fokus auf die Darstellung der kleinen, besonderen Momente, die das Leben verzaubern, einstellen.
Roman oder Erzählungen?
Ist die Bezeichnung Roman auf die, wenn auch teilweise nur erwähnte, Verbindung zwischen den Charakteren zurückzuführen? Eine interessante Herangehensweise wäre, die Großzahl der Erzählungen in einer anderen Reihenfolge zu lesen und zu beobachten, wie sich das Personengeflecht anders aufrollt.
Wäre "Glücklich die Glückliche" dramaturgisch geeignet? Da stringente Handlungen vage bleiben und sich auf die 21 Geschichten verteilen, scheint dies zunächst schwer vorstellbar. Doch ließe sich die szenische Auswahl auf wenige Figurenkonstellationen beschränken, die auch im Roman stärker akzentuiert sind.
AVIVA-Fazit: Das Lesen des Romans "Glücklich die Glücklichen" gleicht einem sich treiben lassen. Doch Yasmina Rezas Sozialgerüst zu ist groß angelegt. Durch die Verflechtung zu vieler Protagonistinnen bleibt einiges nicht erzählt, was streckenweise einen Intensitätsbruch mit sich führt. Das Buch gewinnt der Leserin hier und da ein verträumtes Schmunzeln oder ein Lachen ab. Dennoch fehlt die fließende, bannende Stringenz. Yasmina Reza füllt diesen Raum jedoch zusätzlich zu dem übersättigten Personenarrangement mit zu vielen träumerischen Gedanken, die ins Leere laufen.
Zur Autorin: Yasmina Reza, geboren 1959 in Paris als Tochter einer Budapester Geigerin und eines aus dem Iran stammenden und in Moskau gebürtigen jüdischen Kaufmanns mit Wurzeln aus Samarkand, war erst Schauspielerin und Musikerin.
Seit ihrem Stück "KUNST" ist sie weltweit die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin und wurde bereits zweimal mit dem Prix Molière ausgezeichnet. 2009 erhielt sie den Tony Award for Best Play, 2000 den Großen Theaterpreis der Académie Francaise und 2005 den Weltliteraturpreis.
Bei Hanser erschienen die Romane Eine Verzweiflung (2001) und Adam Haberberg (2005), Im Schlitten Arthur Schopenhauers (2006), Frühmorgens, abends oder nachts (2008) über Nicolas Sarkozy und zuletzt Nirgendwo (2012). Im Jahr 2011 wurde ihr Theaterstück Der Gott des Gemetzels sehr erfolgreich mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly von Roman Polanski verfilmt, mit dem sie gemeinsam das Drehbuch schrieb, wofür sie mit dem Filmpreis César ausgezeichnet wurde.
Mehr Infos zu Yasmina Reza unter:
www.hanser-literaturverlage.de und www.arlindo-correia.org
Yasmina Reza
Glücklich die Glücklichen
Originaltitel: Hereux les heureux
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
Carl Hanser Verlag, erschienen Februar 2014
176 Seiten, fester Einband
17,90 Euro
ISBN: 978-3-446-24482-5
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