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Beitrag vom 27.08.2015
Joan Schenkar - Die talentierte Miss Highsmith. Leben und Werk von Mary Patricia Highsmith
Bärbel Gerdes
In ihrer umfangreichen Biographie beschreibt die Schriftstellerin und Dramatikerin Joan Schenkar Leben und Wirken der berühmten Patricia Highsmith – und zeigt dabei deutlich, dass sie sie nicht mag.
Als Patricia Highsmith am 4. Februar 1995 starb, hinterließ sie nicht nur eine große Anzahl verstörender, hoch literarischer Kriminalromane, sondern auch Gerüchte und Halbwahrheiten um ihr Leben. Die späteren Fotos zeigen eine verhärmt wirkende, harte Frau, gerne mit Zigarette in der Hand und einer Katze in der Nähe.
Joan Schenkar, die schon mit ihrer Biographie über Oscar Wildes Nichte Dorothy Wilde Furore machte, hat sich dieses Lebens angenommen in einer sämtliche Details ausleuchtenden, dabei gut lesbaren, aber auch zu Kritik anregenden Lebensbeschreibung.
Eine ganz besondere Biographie
Über 900 Seiten mäandert dieses Buch dahin, nicht chronologisch erzählend, sondern ausufernd und wild: "Die Obsessionen, die [ihr Leben] bestimmten und ihr Schaffen inspirierten, wurden zum Ordnungsprinzip dieses Buches", heißt es im Vorwort – und so stellt Schenkar die "reinen Fakten" kühn in einen 300-seitigen Anhang am Ende des Buches. Dadurch verschafft sie sich Freiraum für die mehr als 8000 Tagebuchseiten, die sie auswertete und die mehr als 300 Personen, die sie interviewte, um uns diese Schriftstellerin, die sie nicht mag, lebendig zu machen. Mehrere Jahre setzte sich Schenkar intensiv mit der Autorin auseinander und wählte diese Form der Biographie ganz bewusst, wie sie in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 11.4.2015 sagt: "Für mich ist das biografische Schreiben eine Form des literarischen Schreibens, und wie beim Schreiben meiner Theaterstücke vertraue ich auch beim Schreiben einer Biografie sehr auf meinen Instinkt. Die Struktur und den spezifischen Stil meiner Darstellung habe ich aus Highsmiths Leben und Werk heraus entwickelt, statt zu versuchen, ihr Leben in das Korsett dessen zu zwängen, was gemeinhin als biografische Darstellung gilt."
Schenkar seziert Highsmiths Leben bis ins kleinste Detail. Ihre kaputten Beziehungen, das Verstecken ihres Lesbischseins, das Verleugnen ihrer schriftstellerischen Anfänge als Comic-Autorin. Dabei geizt sie nicht mit Zitaten aus Briefen und Tagebüchern, die besonders prägnant sind. "Ich glaube, du würdest mich [...] bedenkenlos nach Dachau schicken" zitiert sie beispielsweise Highsmiths Mutter, zu der diese ein sehr schwieriges Verhältnis hatte. Auch bezüglich der Romane der Schriftstellerin zeigt sich Schenkar recht reserviert. Zwar hält sie sie für durchaus "ungewöhnlich" und "eigenartig" und sie böten die "am gründlichsten durchdrungene Anatomie von Schuld in der zeitgenössischen Literatur", nicht wenige dieser Werke seien jedoch "so platt wie Kansas und ungeschickt formuliert". Hier zeigt sich Joan Schenkar sehr deutlich als Schriftstellerin und auch als Dramatikerin.
In ihren zahlreichen Tage- und Notizbüchern verdreht Highsmith die Fakten, wie sie es gerade braucht, beschreibt Ereignisse unterschiedlich und benutzt mehrere Bücher und Hefte parallel. Schenkar überführt sie als Lügnerin und Fälscherin.
Das muss frau mögen – dass eine Biographin die zu Biografierende so schonungslos darstellt.
Dabei tut Highsmith selbst alles, um unsympathisch zu wirken: sie zeigt einen deutlichen Antisemitismus und Rassismus, führt eine Akte, um die von ihr verhasste und geliebte Mutter als psychisch krank zu überführen und legt über ihre Liebhaberinnen eine Tabelle mit deren Vorzügen und Nachteilen an...
Gnadenlos wirft Schenkar ihren Scheinwerfer in diese dunklen Ecken.Und so sieht sie auch die daraus resultierende Literatur als Spiegel Patricia Highsmiths Daseins.
Die wichtigsten Romane
In diesem Dickicht tausender Details fällt es leicht, die Schriftstellerin zu übersehen. Dabei gelang Highsmith bereits mit ihrem ersten Roman "Zwei Fremde im Zug", der 1948 erschien, ein großer Erfolg. Alfred Hitchcock verfilmte ihn bereits 1951.
Unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlichte sie 1953 den lesbischen Roman "The Price of Salt", im Deutschen als "Carol" bzw. in einer neueren Übersetzung unter dem Titel "Salz und sein Preis" erschienen.
Die Schaffung ihres wichtigsten Protagonisten gelang ihr 1955: Tom Ripley ist ein Krimineller, der sich insbesondere durch seine Amoralität und Kälte auszeichnet. Gleich der erste Roman mit ihm "Der talentierte Mr. Ripley" wurde erfolgreich. Es folgten weitere Romane mit ihm, der das verkörperte, was Highsmith faszinierte: der Sieg des Bösen über das Gute.
Patricia Highsmith war eine äußerst fleißige Autorin, die mehr als 20 Romane und unzählige Kurzgeschichten hinterlassen hat.
Die amerikanische Verlagsszene missfiel Highsmith, so dass sie in den 1960er Jahren nach Europa auswanderte. Zunächst in Großbritannien beheimatet, zog es sie nach Frankreich, schließlich in die italienischsprachige Schweiz, wo sie 1995 starb.
Joan Schenkars preisgekrönte Biographie ist lebhaft und spannend, ermüdet zuweilen aber auch durch zu viel Detailverliebtheit und stößt durch die Schonungslosigkeit manches Mal auch ab. Ein kontroverses Werk.
AVIVA-Tipp: Biografieliebhaberinnen finden hier eine sehr lebendig geschriebene, dabei überhaupt nicht neutral gehaltene Lebensbeschreibung einer bemerkenswerten Schriftstellerin.
Zur Autorin: Joan Schenkar geboren am 15. August 1952 in Seattle, studierte Literatur und Kunsttheorie und arbeitet als Dramatikerin. Sie war Gründerin und künstlerische Leiterin von Force Majeure Productions, New York City, die Filme und Theaterstücke produzieren
Ihre mehr als vierzig Theaterstücke wurden für Bühne, Rundfunk und Fernsehen produziert. 2000 veröffentlichte sie die Biografie "Truly Wilde" über Dolly Wilde und die Pariser Lesben- und Kulturszene. Acht Jahre lang schrieb sie an der Biografie über Patricia Highsmith, die von der New York Times als Notable Book ausgezeichnet wurde, den Lambda Literary Award gewann und für den Edgar Alan Poe Award, den Agatha Award, den Anthony Award und den Publishing Triangle Award nominiert wurde. Joan Schenkar lebt in Paris und New York.
Mehr Infos unter: www.joanschenkar.com
Die Ãœbersetzerinnen:
Renate Orth-Guttmann, 1935 geboren, hat zahlreiche belletristische Bücher sowie Sachbücher übersetzt, daunter von so namhaften Autorinnen wie Joan Aiken, Joyce Carol Oates und Ruth Rendell.
Anna-Nina Kroll hat zahlreiche Romane aus dem Amerikanischen übersetzt.
Karin Betz ist Sinologin und Übersetzerin. Zudem ist sie DJane und Tänzerin.
Joan Schenkar
Die talentierte Miss Highsmith. Leben und Werk von Mary Patricia Highsmith
Originaltitel: The Talented Miss Highsmith
Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttman, Anna-Nina Kroll und Karin Betz
Diogenes, erschienen im Februar 2015
Gebunden, Hardcover Leinen, 1072 Seiten, Mit einem Bildteil
ISBN 978-3-257-06898-6
29,90 Euro
diogenes.ch
Weiterlesen zu Joan Schenkar
Vivian M. Patraka: Feminism and the Jewish subject in the plays of Sachs, Atlan, and Schenkar. In: Sue-Ellen Case (Hrsg.): Performing feminisms: feminist critical theory and theatre, Baltimore : Johns Hopkins Univ. Press., 1990
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Grande Dame des Krimi
Andrew Wilson dokumentiert mit der Patricia Highsmith - Biographie "Schöner Schatten" das Leben der trinkfesten Schriftstellerin. Marijane Meaker in "Meine Jahre mit Pat" die gemeinsame Liebe.