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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 15.04.2016


Tabea Mußgnug - Nächstes Semester wird alles anders ... Zwischen Uni und Leben
Hai-Hsin Lu

Mit ihrem Erstlingswerk fängt die Studentin das Leben im Kosmos der Student_innen authentisch auf zweihundert Seiten ein. Transportiert wird genau das durch die Gestaltung des Buchcovers, welches im Stile ...




... eines abgegriffenen und bekritzelten Reclamhefts den bunten Inhalt erahnen lässt.

Deutschland erlebt eine stetige Akademisierung – das heißt, die Zahl der Studienanfänger_innen steigt von Jahr zu Jahr. Genauere daten finden Seit dem Wintersemester 1995/96 haben sich bis heute die Studienanfänger_innenzahlen verdoppelt. Das wirft unter Expert_innen in der Politik und Wirtschaft große Fragen auf: Sind es zu viele? Sind es nicht genug? Sollte weiterhin in Bildung investiert werden? Und was geschieht mit den Absolvent_innen sogenannter brotloser Kunst, den humanwissenschaftlichen Fächern?

Tabea Mußgnug, Promovierende der Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg, beantwortet diese Debatte auf ihre eigene Art und Weise. Nämlich mit einem Buch, das aus persönlichen Erfahrungswerten ein sowohl generationsspezifisches, als auch -übergreifendes Bild des geisteswissenschaftlichen Studiums zusammen puzzelt. Es geht sowohl um merkwürdige, facheigene Phänomene, wie etwa die ewigen Langzeitstudierenden, die durch die Fakultätsgänge geistern, als auch um die weniger amüsanten Aspekte des Studienalltags, die sich mit Zukunftsplänen, abgelehnten Bewerbungen und Älterwerden beschäftigen.

Die bittere Note, die bei der Schilderung von unbezahlten Praktika und Orientierungslosigkeit mitschwingt, wird durch denpfiffig-sarkastischen, zum Teil sogar brüllend-komischen Erzählstil relativiert. Es werden alle grundwichtigen Themengebiete abgehandelt: Das atemlose Warten auf die Hochschulzulassung nach dem Abitur, der erste Gang über den Campus als blauäugige Erstsemesterstudentin, bzw. Ersti, die verzweifelte Suche nach einer passenden Wohngemeinschaft, inklusive all den schrägsten Mitbewohner_innen, die sich in den Jahren darauf vorstellen sollten, und so weiter. Die Erzählung lebt von Klischees, die von der Autorin stets an der passenden Stelle entschärft werden.

Die Autorin versteht es hervorragend, die Hürden des Studierendenlebens mit einer gehörigen Portion Humor zu servieren – für alle, die studieren oder studiert haben, hat das natürlich hohes Identifikationspotential. Für alle anderen Leserinnen ruft es höchst wahrscheinlich vor allem Kopfschütteln und Schmunzeln hervor. Positiv auffallend ist ihre direkte, ehrliche Art, Faulheit und Desinteresse an diversen Themengebieten nicht zu vertuschen, sondern offen zuzugeben: "Die Wahrheit ist, dass man sich an der Uni ziemlich gut durchmogeln kann, zumindest in den Geisteswissenschaften. Daraus soll man nicht ableiten, dass Geisteswissenschaften Firlefanz sind. Nur dass das Uni-system [...] einem hier ziemlich viel verzeiht, wenn man dreist genug ist." Gleichermaßen sympathisch erscheinen die Passagen, in denen sie sich unmissverständlich als Feministin bezeichnet, aber gleichzeitig zugibt, dass sie von Hochschulpolitik nur sehr, sehr wenig versteht und nur bedingt interessiert ist.

Immer mehr neue Abiturient_innen werden sich also neu an Universitäten einschreiben und durch die Irren und Wirren ihres neuen Alltags torkeln. Vielleicht wird die eine oder andere Kunstgeschichtsersti durch Tabea Mußgnugs Buch blättern und auf den letzten Seiten doch noch eine positive Note finden. Denn trotz drohender Arbeitslosigkeit und dem Gefühl von Perspektivlosigkeit, die wir alle kennen, tanzt die sechsundzwanzigjährige Doktorandin am Ende des Buches in ihrer Heimatdorfdisko zu Schlagern und weiß irgendwie, dass sich alles finden wird.

AVIVA-Tipp: Ein humorvolles und zugleich nachdenkliches Buch, das hervorragend das Gefühl von Jungsein und die Sorgen eines studentischen Lebens einfängt. Mit vielen Anekdoten und Erinnerungen gibt Tabea Mußgnug einen guten Einblick in ihr bisheriges Leben und schafft eine direkte gemeinsame Nostalgie mit den Leser_innen.

Zur Autorin: Tabea Mußgnug, Jahrgang 1987, studierte in Heidelberg Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Byzantinische Archäologie und promoviert in Kunstgeschichte. Sie arbeitet in einem Archiv und "hofft auf das große geniale Jobangebot." (Quelle: Verlagsinformationen)

Tabea Mußgnug
Nächstes Semester wird alles anders... Zwischen Uni und Leben.

Fischer Verlag, erschienen August 2015
Taschenbuch, 202 Seiten
ISBN 978-3-596-03393-5
Preis: € (D) 9,99
Mehr Infos unter: www.fischerverlage.de und www.fischerverlage.de/autor

Quellen:
Statista GmbH: statista.com

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Beitrag vom 15.04.2016

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