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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 20.12.2016


Shelley Calton - Concealed. She`s got a Gun
Hannah Hanemann

Die texanische Fotografin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Vertreterinnen weiblicher Subkulturen in Texas zu portraitieren, hat im Rahmen dieses Fotobandes siebzig Frauen mit ihren Waffen abgelichtet und nach Gründen gefragt, aus denen Frauen sich bewaffnen.




Statistisch gesehen kommen im Jahr 2016 in den USA auf hundert BürgerInnen etwa 90 Handfeuerwaffen in Privatbesitz. In den letzten Jahren lässt sich auch ein Zuwachs an Frauen feststellen, die sich eine Waffe zulegen. In Texas machen Frauen bereits ein Viertel der WaffenscheinbesitzerInnen aus.
Dort sind auch Shelley Caltons Foto entstanden, die sie zwischen 2011 und 2014 aufgenommen hat und die einen intimen Einblick in die Beziehung verschiedenster Frauen zu ihren Waffen geben.
Der Titel des Bandes spielt auf die "concealed handgun licence" an, die es BürgerInnen in Texas erlaubt, Handfeuerwaffen in der Öffentlichkeit zu tragen, solange sie "concealed", also verborgen sind. Dies trägt entscheidend zur Intensität der Fotos bei, weil frau/man auf ihnen etwas zu sehen bekommt, das sonst versteckt gehalten wird: die Waffe als Utensil im Alltag texanischer Frauen, das ebenso selbstverständlich wie Smartphone oder Lippenstift zum Inventar von Wohnung oder Handtasche gehört.
Auch wenn die Fotos gemäß des texanischen Rechts gestellt und nicht aus dem Moment heraus entstanden sind, erlauben sie einen Einblick auf dieses in der Öffentlichkeit unsichtbare Phänomen und machen deutlich, dass Waffenbesitz und -gebrauch längt nicht mehr nur Männersache ist.

Die Waffe als emanzipatorisches Instrument?

Die Faszination der Fotos speist sich aus einem Kontrast: zum einen der Unsicherheit und Furcht vor Übergriffen, wegen der die Frauen sich bewaffnen, zum anderen die Entschlossenheit, sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen zu können. Für manche der Frauen ist ihre Waffe Bestandteil einer Tradition, Sentimentalität gegenüber den Zeiten, in denen es für ihre Väter und Großväter völlig normal war, eine oder mehrere Waffen im Haus zu haben. Für die meisten jedoch ist der Waffenbesitz vor allem Mittel zum Zweck, ein Instrument zur Angleichung körperlicher Stärke und Machtverhältnisse. Auf den letzten Seiten des Bandes finden sich Zitate der Frauen, in welchen sie ihre Beweggründe für den Erwerb einer Waffe erklären. Die meisten sind ähnlich: Gewalterfahrungen in der Vergangenheit, Angst vor sexuellen Übergriffen, der Wunsch, Heim und Familie im Notfall schützen zu können. Auf die Frage, ob sie im Extremfall Gebrauch von ihrer Waffe machen und abdrücken würden, antworteten alle Frauen mit "Ja".
Die Selbstverständlichkeit, mit der eine Handfeuerwaffe zwischen Make Up und Hygieneartikeln, im Bücherregal oder in der Schreibtischschublade aufbewahrt wird, zeigt deren alltägliche Relevanz für die Trägerin. Gleichzeitig offenbart sie die innere Einstellung, jederzeit auf der Hut und bereit zur Verteidigung sein zu müssen. Für diese Frauen wird die Waffe zum Symbol ihrer Emanzipation von der Furcht und der Ausgeliefertheit gegenüber Männern.
Denn es sind vor allem Männer, vor denen die Frauen ihren Aussagen nach Angst haben. Für einige von ihnen scheint das Tragen einer Waffe einen fairen Ausgleich im Ungleichgewicht der Geschlechter zu schaffen. Für die meisten Frauen hat es nichts mit einem Streben nach Status oder Macht zu tun, sondern dient vorrangig dem eigenen Selbstschutz. Sie beteuern außerdem, dass ihnen der verantwortungsvolle Umgang mit Waffen wichtig sei und sie diese immer fachgerecht aufbewahren würden.

Die mächtige Illusion größtmöglicher Sicherheit

Trotzdem bleibt der BetrachterIn ein unwohles Gefühl. Auf einer Aufnahme ist eine Frau zu sehen, die mit ihrem Baby spielt, während hinter ihr zwischen Kuscheltieren-und Decken ihr Revolver aus ihrer Handtasche ragt, auf einem anderen schmiegt sich ein kleiner Junge an seine Mutter, die eine Pistole in der Hand hält.
Allein im Jahr 2015 kam es einem Bericht der Washington Post zufolge in den USA zu mindestens zweihundertfünfundsechzig Schießunfällen durch (Klein)Kinder. Statistisch gesehen steigt die Wahrscheinlichkeit, durch eine Handfeuerwaffe zu sterben, bei HandfeuerwaffenbesitzerInnen rapide an, was wohl kaum verwundern dürfte. Größere Sicherheit durch Waffenbesitz ist in den meisten Fällen eine Illusion, wenngleich eine sehr mächtige.

Diese Illusion wird in Caltons Fotos heraufbeschworen, in denen Frauen ihre vermeintliche Stärke präsentieren und gerade dadurch verletzlich wirken.
Es ist auch der Reiz eines Geheimnisses, der aus den Aufnahmen hervorgeht, das Wissen um eine ungeahnte Kraft, von der die Öffentlichkeit nichts weiß, die vermeintliche Schutzlosigkeit nach Außen, die sich jederzeit in einen überraschenden Gegenangriff verwandeln kann.

Die Fotografin bezieht in ihrem Fotoband keine eindeutige Stellung zur Diskussion um den Besitz von Schusswaffen, drückt den portraitierten Frauen jedoch ihren Respekt aus und verwehrt sich gegen die Wahrnehmung selbiger als unsicher, leichtsinnig und paranoid. Stattdessen prangert sie in ihrem Schlusswort die Gegebenheiten in der Gesellschaft an und beschreibt ihre Fotos als Portraits von Frauen, die Selbstschutz in ihre eigenen Hände nehmen und sich weigern, eine Opferrolle anzunehmen.
Letztendlich bleibt der BetrachterIn selbst überlassen, wie sie die Fotos rezipieren will, als Portrait starker Frauen oder als Kritik an einer zunehmenden Waffenmanie in den USA.

AVIVA-Tipp: Shelley Caltons Fotoband "Concealed" bedient besonders nach der US-Amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 ein hochaktuelles und kontroverses Thema. Als Einblick in eine verdeckte Subkultur fasziniert und polarisiert Caltons Fotoband durch eindrucksvolle und vielfältige Darstellung weiblicher Ausdrucksformen in Texas auch unabhängig vom politischen Diskurs.

Zur Fotografin: Shelley Calton , 1959 geboren, lebt und arbeitet in Houston, Texas, wo sie sich der Darstellung weiblicher Ausdrucksformen und Subkulturen verschrieben hat. In ihrem ersten Buch "Hard Knocks" (Kehrer Verlag, 2009) porträtierte Shelley Calton junge Frauen und ihre Alter Egos beim Roller Derby, einer wiedererweckten Funsportart. Ein Portrait aus ihrem zweiten Buch "Concealed. She`s got a Gun" wurde 2015 für den "Taylor Wessing Portrait Prize" in der "National Portrait Gallery", London, ausgewählt und für die "Royal Photographic Society´s International Print Exhibition." Ihre Arbeiten befinden sich der Sammlung des "Museum of Fine Arts, Houston".
Mehr Infos unter: www.shelleycalton.com

Shelley Calton
Concealed. She`s got a Gun

Festeinband, 24 x 26,3 cm, 96 Seiten, 53 Farbabb.
Englisch
Kehrer Verlag, Erschienen 2015
ISBN 978-3-86828-515-4
39,90 Euro
www.artbooksheidelberg.de


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Beitrag vom 20.12.2016

AVIVA-Redaktion