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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 09.08.2018


Jane Gardam - Weit weg von Verona
Bärbel Gerdes

Hier ist sie: Jessica Vye, eine Jugendliche voller Tatendrang und Eigensinn und einem Ziel: sie möchte Schriftstellerin werden. Oder ist sie es sogar schon? Wer hat diesen rasanten und humorvollen Roman wirklich geschrieben? Jane Gardam oder Jessica Vye?




Wie gut, dass sich der Hanser-Verlag Jane Gardams Werk angenommen hat. Die britische Schriftstellerin, die am 11. Juli 2018 neunzig Jahre alt geworden ist, hat so doch noch die Chance, in Deutschland entdeckt zu werden. Ihre bestsellernde Trilogie Ein untadeliger Mann, Eine treue Frau und Letzte Freunde erschien in den vergangenen drei Jahren in deutscher Übersetzung, übertragen von Isabel Bogdan, die wiederum mit ihrem eigenen Roman Der Pfau 2016 ihr Faible für britische Skurrilitäten unter Beweis stellte.

Weit weg von Verona ist der erste Roman von Jane Gardam. Erst mit 43 Jahren, also 1971, veröffentlichte die studierte Anglistin ihn. Zuvor war sie als reisende Bibliothekarin einer Krankenhausbibliothek des Roten Kreuzes unterwegs, danach, ab 1952, arbeitete sie als Lektorin für das Weldon Ladies Journal und Time and Tide.

Dass dieser Roman erst zwanzig Jahre später mit einem Preis ausgezeichnet wurde, spricht für seine die Zeiten überdauernde Qualität. Der Phoenix Award der Children´s Literature Association erkannte ihn als bestes Jugendbuch an, das vor zwanzig Jahren keinen großen Preis erhalten hatte. Und dabei hätte er sämtliche verdient.

Gleich auf der ersten Seite stellt die dreizehnjährige Ich-Erzählerin klar, dass sie nicht ganz normal sei, weil sie mit neun Jahren ein einschneidendes Erlebnis hatte: ein Mann kam in ihre Schulklasse, um zu erzählen, "wie man Schriftsteller wird". Jessica hatte nie darüber nachgedacht, obgleich sie schon einige Jahre schrieb. Das Schreiben war etwas absolut Selbstverständliches für sie. "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht Stifte in die Hand genommen und Dinge aufgeschrieben hätte. Komisch, aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, Papier zu ´kaufen´. Es kommt mir vor, als müsste es das kostenlos geben."

Nachdem der Schriftsteller seinen Vortrag mit dem Ausruf "Zur Hölle mit der Schule! Es geht um die Sprache. DIE SPRACHE IST DAS LEBEN." beendete, stand Jessicas Entschluss fest.
Und so beginnt das Mädchen zu schreiben. Aus dem Aufsatzthema Mein schönster Ferientag macht sie eine 47seitige Erzählung, was ihre Lehrerin weder versteht noch honoriert.
Und aus ihrem Leben in diesen Jahren macht sie diesen wunderbaren Roman, der Anfang der vierziger Jahre angesiedelt ist. Verdunkelung, die ständige Bedrohung durch Luftangriffe und vor einer Invasion der Nazis bestimmen den Alltag. Ausgebombte Häuser prägen das Straßenbild, und als Jessica aufs Land eingeladen wird, fragt sie sich, ob sie alles dabei habe, "Gasmaske, Personalausweis, Lebensmittelmarken".

Sie hat genau eine Freundin – die anderen mögen sie nicht so besonders. Sie sagt allen die Wahrheit, ob angebracht oder nicht, und kleidet sich, wie sie will. "... ich trug die Haare anders. Ich kämmte sie rundum glatt nach unten, ohne Scheitel, auch vors Gesicht, und dann band ich ein Band oder irgendetwas, egal eigentlich, rund um den Kopf, und dann schlug ich das Haar um dieses Band herum ein, ganz rundrum, wie bei einem Lampenschirm".

Der Text brilliert und ist energiegeladen. Wunderbar sind die Beschreibungen vom Glück des Schreibens. Der Samstag, an dem Jessica ihre lange Erzählung schrieb "war großartig! Er war großartig., ruft sie und setzt an ihre Lehrerin gewandt hinzu "Sie blöde Schnepfe!
Ihr erfrischender Eigensinn fegt durch die Seiten. Ihr Entschluss "Ich werde nicht sein wie sie, nur weil es für sie einfacher ist" steht fest.

Es ist erstaunlich, dass Jane Gardams Werk international so wenig bekannt ist, während sie in Großbritannien eine gefeierte Autorin ist. Als Einzige gelang es ihr, zweimal den Whitbread Award für den besten Roman zu gewinnen. 1978 war sie für den Booker Prize nominiert. 1999 gewann sie den Heywood Hill Literary Prize for a Lifetime´s Contribution to Literature und schließlich wurde sie 2009 zum Officer des "Order of the British Empire" ernannt.

Gleich in ihrem ersten Roman hat Jane Gardam ein herzerfrischendes und sehr besonderes Mädchen erschaffen, das in Bezug auf Individualität und Außergewöhnlichkeit gut die britische Schwester Pippi Langstrumpfs sein könnte. Es ist ein Roman der Freude an der Literatur und am Lesen und Schreiben. Es ist ein Roman der Zufriedenheit mit sich selbst:
"Ich stand auf, sah das blaue Heft dort liegen, und mir fiel das Gedicht wieder ein. Ich ging hin und las es und stand lange da und sah es an, und dann wusste ich, warum ich glücklich war. Es gab nichts an dem Gedicht was ich ändern wollte."

AVIVA-Tipp: Eine unbedingte Leseempfehlung für Jung und Alt! Jessica Vye gesellt sich zu den starken Bücher-Mädchen, von denen es leider immer noch viel zu wenige gibt. Hier gibt es eines zu entdecken!

Zur Autorin: Jane Gardam, geboren 1928 in North Yorkshire. Sie schreibt Erzählungen, Romane und Kinderbücher. Seit dem Erscheinen des Romans "Ein untadeliger Mann" 2015 auf Deutsch ist sie hierzulande zum Liebling des Feuilletons avanciert. Sie wurde zweimal mit dem Whitebread/Costa Prize ausgezeichnet. Nach "Ein untadeliger Mann" folgte mit "Eine treue Frau" Band Zwei und mit "Letzte Freunde" Teil 3 der Trilogie. Mit "Ein untadeliger Mann" stand sie auf der Shortlist des Orange Prize und mit "Last friends" auf der Shortlist des Folio Prize 2013. Sie schreibt Kritiken für The Spectator und The Telegraph sowie für die BBC Radio. 2009 wurde sie zum Officer des "Order of the British Empire" ernannt. Gardam ist Fellow der Royal Society of Literature und lebt in Sandwich, East Kent.
Mehr Infos zu Jane Gardam unter: literature.britishcouncil.org

Zur Übersetzerin: Isabel Bogdan, 1968 in Köln geboren, ist Schriftstellerin, literarische Übersetzerin und Bloggerin. Sie studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie übersetzt u.a. Jane Gardam, Ayelet Waldman, Dagmara Dominczyk, Megan Abbott, Jonathan Safran Foer, Jasper Fforde und Nick Hornby. Für ihre Übersetzungen erhielt sie 2006 den Hamburger Förderpreis für Literarisches Übersetzen, 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Roman Der Pfau. Isabel Bogdan lebt in Hamburg.
Mehr Infos zu Isabel Bogdan unter: isabelbogdan.de

Jane Gardam
Weit weg von Verona

Originaltitel: A Long Way From Verona
Hanser Berlin Verlag, erschienen am 23.7.2018
240 Seiten, fester Einband
ISBN 978-3-446-26040-5
22,00 Euro
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-26235-5
Mehr zum Buch: www.hanser-literaturverlage.de

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Beitrag vom 09.08.2018

Bärbel Gerdes