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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 06.02.2020


Antje Joel – Prügel. Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt
Sharon Adler

Die für ihre Texte mehrfach ausgezeichnete Journalistin und Autorin Antje Joel erfuhr jahrelang physische wie psychische Gewalt. Von ihren zwei Ehemännern. Lange schrieb sie darüber unter einem Pseudonym. Nun macht sie das Erlebte sichtbar und ermutigt damit andere Frauen, es ihr gleichzutun.




Blicke, Worte, Fäuste.
Jeden zweiten Tag ermordet in Deutschland ein Mann seine Partnerin. Jede dritte Frau erfährt körperliche, seelische, sexualisierte Gewalt durch ihren Partner. So auch Antje Joel. Mit 16 lernt sie ihren späteren Mann kennen. Er schlägt sie nach wenigen Monaten. Ihre Eltern sagen, was sie von vielen Seiten hören wird: "Selbst schuld!" Sie empfindet es auch so und kehrt zu ihm zurück. Wieder und wieder. Antje Joel erzählt, was Frauen in Gewaltbeziehungen treibt und sie darin gefangen hält. Und wie sie sich schließlich doch befreit hat.

Antje Joel schreibt über ein Thema, das auch heute noch immer tabuisiert wird, Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Schonungslos mit sich selbst und der Leserin beschreibt sie die Schläge, Tritte, Demütigungen und die eigene Hilflosigkeit angesichts der unvermittelten Gewaltausbrüche ihres Partners. Analysiert sein Verhalten, das bestimmt ist von der Überzeugung, die Ausübung von Macht und Kontrolle seien legal in einer Beziehung und ein Ausdruck von Liebe. Doch nicht nur ihr persönliches Leid stellt sie in den Mittelpunkt ihres mutigen Buchs. Die Journalistin Antje Joel recherchierte zu globalen Studien und arbeitete die Zahlen- und Faktenlage ein, die vor allem eines deutlich macht: Hinter jeder Zahl in der Statistik steht eine meist jahrelange Leidensgeschichte. Mehr noch, es handelt sich um akute tägliche Bedrohungen, die in jedem dritten Fall zur Ermordung der Frauen führt. Von einer "Minderheit", so schreibt Joel, kann nicht mehr gesprochen werden. Das zeigen die kriminalstatistischen Auswertungen des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt in Deutschland mehr als deutlich.

Die Geschichte von Antje Joel steht stellvertretend für tausende Frauen weltweit, die jeden Tag von ihren Partnern oder Ex-Partnern geschlagen und gequält werden. Viele von ihnen überleben die Gewalt nicht: jede Woche sterben drei Frauen.
Antje Joels Geschichte ist, wie der Untertitel sagt, "Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt.". Um dieser alltäglichen Bedrohung der Frauen etwas entgegenzusetzten, fordert sie am Beispiel des damaligen Bewerbers um das Amt des Premierministers, Boris Johnson, der seiner Partnerin gegenüber gewalttätig geworden war, dazu auf, nicht wegzuschauen, den Frauen beizustehen. Denn, so schreibt sie in ihrem Nachsatz: "Die Gewalt eines Mannes gegen seine Partnerin, und sei es nur der Verdacht darauf, ist keine Privatangelegenheit. (…) Wir müssen bereit sein, Gewalt als Gewalt zu erkennen und sie und die Täter zu benennen. (…) Anders werden wir die Gewalt gegen Frauen nicht beenden."

AVIVA-Tipp: Jeden zweiten Tag ermordet in Deutschland ein Mann seine Partnerin. Antje Joel ist haarscharf mit dem Leben davongekommen. Mit ihrem Buch "Prügel - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt" sendet sie ein sichtbares, solidarisches Signal an all die Frauen, die in einer Gewaltbeziehung leben, davon bedroht, oder ihr entkommen sind. Gleichzeitig ruft sie alle anderen dazu auf, die Anzeichen von Gewaltbeziehungen zu erkennen, und Schwestern, Kolleginnen, Freundinnen nicht allein zu lassen.

Zur Autorin: Antje Joel, geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. 2013 erschien bei rowohlt POLARIS ihr Buch "Jagd. Unsere Versöhnung mit der Natur". Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Axel-Springer-Preis und den Egon-Erwin Kisch-Preis.

Antje Joel
Prügel - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt

Rowohlt 2020 (rororo), erschienen am 28. Januar 2020
336 Seiten, 12 Euro
ISBN: 978-3-499-68043-4
e-Book: 9,99 Euro
Mehr zum Buch unter: www.rowohlt.de

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Literatur

Beitrag vom 06.02.2020

Sharon Adler