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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 10.04.2009


Susanne Beyer - Palucca - Die Biografie. AvivA Verlag
Sharon Adler

Die SPIEGEL-Kulturredakteurin zeichnet mit dieser Biographie ein neues Bild dieser widersprüchlichen und charismatischen Frau, der Wegbereiterin des modernen Tanzes, Gret Palucca (1902-1993).




Sechzehn Jahre nach dem Tod der legendären Begründerin des modernen Tanzes wurde es noch einmal turbulent um Gret Palucca. Vergessen war sie ohnehin nie.
Doch als ihr Ferienhaus auf der Ostsee-Insel Hiddensee kurz vor einer geplanten Versteigerung des Anwesens und nach der Feststellung der Denkmalwürdigkeit durch das Landesamt für Denkmalpflege in Schwerin und das Kultusministerium in den frühen Morgenstunden des 20. März 2009 abgerissen wurde, war man nicht nur an der Palucca-Schule in Dresden schockiert.

In der hier vorliegenden Biographie wird auch die Bedeutung des Feriendomizils für Palucca und ihre LebensgefährtInnen deutlich, ein Verdienst der akribischen Recherche der Autorin Susanne Beyer.
Die Kulturredakteurin hat für das im AvivA Verlag erschienene Buch "Palucca - Die Biografie" von 2001 bis 2008 ZeitzeugInnen und WegbegleiterInnen befragt, die bis vor kurzem gesperrte Privatkorrespondenz gesichtet, sowie fundierte Archiv-Arbeit geleistet und konnte so das Leben dieser widersprüchlichen Frau und begnadeten Künstlerin lückenlos rekonstruieren.

Ein unverklärtes Bild, nichts beschönigend zeichnet Beyer den Lebenslauf der Gret Palucca, von deren Anfängen bis über ihren Tod hinaus, nach.
Die nur 1,58 Meter große Symbolfigur des Jahrhunderts wurde am 8. Januar 1902 in München als Tochter des risikofreudigen Unternehmers Max Paluka, eines Deutschen aus Konstantinopel, und Rosa Merfeld, einer Jüdin geboren. Der Großvater Karl Kohn hatte seinen jüdischen Namen abgelegt und den seiner Frau angenommen. Wie für so viele jüdische Familien dieser Zeit war Assimilation das erstrebenswerte Ziel.
Auch Palucca sollte in der Nazizeit ihr Judentum verleugnen, mehr noch, als die Rassengesetze in Kraft traten, entließ sie umgehend ihre jüdische Haushaltshilfe und ihren jüdischen Agenten.

Palucca gehörte der Generation Frauen an, die sportlich sein wollten und ihr Verhältnis zum eigenen Körper schulten. Bereits in ihrer durch Umzüge, wirtschaftliche Miseren und Verlust gekennzeichneten Kindheit und Jugend war das deutlich zu sehen. In San Francisco etwa, wo sie mit ihrer Familie vorübergehend lebte, trainierte sie auf der Straße auf Rollschuhen Walzer zu tanzen.
Nach der Trennung der Mutter vom Ehemann lebte Gret mit ihrem Bruder Hans und ihrer Mutter Rosa im vom 1. Weltkrieg gezeichneten Dresden und war mit knapp 16 Jahren bereits beinahe selbständig.
Zu einer Zeit, als Grets Mitschülerinnen noch ihre Lehrerinnen imitierten und toupierte Haare trugen, die mit einer riesigen Schleife zusammen gehalten waren, ließ sie ihre langen Haare offen, schnitt sie bald ganz ab und frisierte sie zu einem Pagenkopf.

Während einer Basisausbildung bei Heinrich Köller, dem Ballettmeister der Dresdner Oper, wurde ihr bewusst, dass sie "nie hübsch und lieblich tanzen wolle." Im aufstrebenden Dresden fand sie 1920 ihre wahre Lehrerin in Mary Wigham, die sie und ihr weiteres Leben für immer beeinflussen sollte. Palucca, wie sie sich nun, an Erinnerung an ein Marionettentheaterstück ihrer Kindheit, nannte, konnte schon bald Erfolge als Solotänzerin feiern. Berühmt, und bewundert wurde sie vor allem durch ihre unvergleichlich hohen Sprünge aus dem Stand heraus und ihre Verfremdungen und Improvisationen, denn sie kreierte eine bis dahin einmalige Form des Ausdruckstanzes, basierend auf der Technik des klassischen Ballett. Schnell war klar, dass Palucca Wigham technisch weit überlegen war und so wurde sie später diese größte Konkurrentin. Die Rivalität der beiden großen Tänzerinnen hielt sich bis in das hohe Alter, doch eine späte Versöhnung gab ihnen die Möglichkeit, ihr Leben und ihre Kunst Revue passieren zu lassen.

Mary Wigham war jedoch nicht die einzige prominente Bekanntschaft in Paluccas Leben, denn es gelang ihr zu jeder Zeit, einflussreiche und bedeutende Menschen um sich zu versammeln, von ihnen zu profitieren. Als eine der führenden Künstlerpersönlichkeiten der 1920er Jahre war das Haus in Dresden, in dem sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem vermögenden Kunstmäzen Friedrich Bienert lebte, ein Treffpunkt der künstlerischen Elite der Moderne. Die Autorin Susanne Beyer schildert diese Welt wie auch nachfolgende Zeiten, authentisch, kenntnisreich und mit einer Distanz, die der Person Palucca gut tut.

Palucca arrangierte sich in ihrem weiteren Leben mit jedem Regime, solange man sie nur ehrte und sich um sie kümmerte. Sie konnte sich zu jeder Zeit problemlos auf immer neue politische und gesellschaftliche Konstellationen einlassen und als gute Geschäftsfrau ihren Vorteil ziehen. Politik interessierte sie nicht, es ging ihr einzig um die Wahrung ihrer eigenen Interessen. Eine gefährliche Auffassung, die sie mit ihrer Zeitgenossin Leni Riefenstahl teilte. Ihre Rolle unter Hitler hat Palucca auch später nie hinterfragt, im Gegenteil behauptete sie, während der Nazizeit verfolgt worden zu sein.

Palucca wurde zur Vorzeigefrau der DDR, genoss viele Privilegien, konnte sich einen Chauffeur und eine Haushälterin leisten und sich zwischen in Ost und West relativ frei bewegen. Ihre langjährige Lebensgefährtin, Dr. Marianne Zwingenberger, eine renommierte Kinderärztin, bezeichnet sich selbst als "Leibärztin der Diva". Palucca lehrte knapp sieben Jahrzehnte lang an der von ihr 1925 eröffneten Schule in Dresden, kannte keine Pausen und war überaus diszipliniert. Sie konnte 200 eigene Choreographien vorweisen und beendete nach 26 Jahren ihre Bühnenkarriere, betätigte sich bis zum Ende ihres Lebens als Tanzpädagogin und war Gründungsmitglied der ostdeutschen Akademie der Künste.

Palucca war ein Mensch der Gegensätze. Das Verlangen nach Rückzug wechselte sich ab mit dem Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen, sie war bekannt für Geiz und Verschwendungssucht, liebte Luxus ebenso wie das einfache, freie Leben an der See.

Im Alter von 91 Jahren starb Palucca am 22. März 1993 in Dresden. Sie wurde auf Hiddensee beigesetzt.

Zur Autorin: Susanne Beyer, 1969 in Balige/Indonesien geboren. Schulzeit in Wuppertal und Bielefeld. Studium der Germanistik, Geschichte und Journalistik in Bamberg und Wien. Danach Besuch der Deutschen Journalistenschule in München. Journalistische Arbeit bei Tageszeitungen, Print-Magazin, Nachrichtenagentur, Rundfunk und Fernsehen. Seit 1996 Kulturredakteurin beim SPIEGEL. Von 1997 bis 2003 Zweitwohnsitz in Dresden.

AVIVA-Tipp: Palucca prägte die Kunst und wurde von ihr geprägt, die Begründerin des modernen Tanzes unterhielt weitreichende Kontakte zu KünstlerInnenkreisen, er- und überlebte viele bedeutende Persönlichkeiten ihrer Zeit. Trotz – oder durch – ihr widersprüchliches Wesen wurde sie geliebt und verehrt. Bis heute. Die Journalistin Susanne Beyer bezeugt mit " Palucca - Die Biografie" eine respektvolle und doch kritische literarische Verbeugung vor einer Frau, die unbeirrbar ihren Weg gegangen ist.

Susanne Beyer
Palucca - Die Biografie

AvivA Verlag, erschienen im März 2009, 1. Auflage
380 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
ISBN 978-3-932338-35-9
24.80 Euro
www.aviva-verlag.de


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Beitrag vom 10.04.2009

Sharon Adler