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Beitrag vom 13.07.2008
Irène Alenfeld - Warum seid ihr nicht ausgewandert. Überleben in Berlin 1933 bis 1945
Annegret Oehme
Ausgehend von dieser Frage verarbeitet die Autorin Briefe und Zeitdokumente aus dem Nachlass der Mutter zu einer ergreifenden Familienbiografie, die im Verlag Berlin Brandenburg erschienen ist.
"Warum sind sie nicht ausgewandert?" ist eine häufig diskutierte Frage, wenn es um jüdisches Leben während der NS-Zeit geht. Ganz abgesehen, dass nur Wenigen wirklich diese Möglichkeit, nicht zuletzt wegen des extrem hohen finanziellen Aufwandes, offen stand, wollten einige nicht oder gaben die Hoffnung an ein gerechtes Deutschland bis zuletzt nicht auf. So verdreht diese Frage in ihrem Kern auch ist – was berechtigt einen Menschen weniger als einen anderen in seiner Heimat zu leben? – wird sie doch immer wieder gestellt, angesichts des schrecklichen Leides, dem viele im Exil hätten entfliehen können.
Kommt der Journalistin und Fremdsprachenkorrespondentin Irène Alenfeld die Frage als Kind in einer "privilegierten Mischehe" in Nazideutschland nicht in den Sinn oder wagt sie diese auch gar nicht zustellen, so lässt sie sie als Jugendliche nicht mehr los. Eine Antwort erhielt sie nicht und verstummte. Völlig unerwartet stand diese Frage wieder auf, als 1994 Irènes Mutter starb und es das Berliner Elternhaus aufzulösen galt. Dabei entdeckte die Schriftstellerin im Schreibtisch ihres Vaters unzählige Briefe, zum Teil aus der ersten Weltkriegszeit. Aus diesem Material, alten Schulbüchern, Schulaufsätzen und Familiendokumenten versucht Irène Alenfeld nun die Situation zu rekonstruieren, die ihre Kindheit ausmachte. Aber nicht das bloße Erfassen oder Beschreiben ist dabei ihr eigentliches Ziel, sondern zu verstehen, unter welchem Druck die Eltern die Entscheidung trafen, in Deutschland zu bleiben und vor allem, warum.
Der zum Protestantismus konvertierte Vater Erich Alenfeld stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie, war deutscher Patriot und kämpfte als Offizier im ersten Weltkrieg. 1927 heiratete er die Protestantin Sabine Geppert. Alles lief zunächst gut für ihn auf beruflicher und familiärer Ebene, doch bald änderten sich die Zeiten und nach 1933 halfen Erich Alenfeld weder die Taufe noch das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse. Seiner "arischen" Frau wurde die Scheidung nahe gelegt. Sie lehnte ab, damit ihr Mann wenigstens unter dem Schutz der "privilegierten Mischehe" stand. Trotz der ständigen Bedrohung und Schikanen, unter denen die Familie litt, waren sie stets noch bereit, anderen zu helfen. So kümmerten sich die Alenfelds bis zu ihrem Freitod im Jahr 1943 um Martha Liebermann, die Witwe des Malers Max Liebermann.
Doch ab Herbst 1944 war es auch mit der trügerischen Sicherheit, die eine "privilegierte Mischehe" bot, vorbei. Tausende "jüdisch Versippter" wurden als ZwangsarbeiterInnen in Arbeitslager und Baubataillone geschickt. Noch im Februar 1945 wurden 2.600 jüdische EhepartnerInnen ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Anders als viele seiner Familienangehörigen überlebte Erich Alenfeld die nationalsozialistische Diktatur und blieb in dem Land, mit dem er so viel Leid verband.
Zur Autorin: Irène Alenfeld wurde 1933 in Berlin geboren, wo sie auch ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Nach einem Sprachstudium in Paris und London war sie von 1958 bis 1960 als internationale Konferenzdolmetscherin bei der Deutschen Botschaft in Washington D.C. tätig. Ab 1961 freiberuflich führten sie Reisen nach Israel, Japan, Afrika und durch ganz Europa. Sie verfasste Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, arbeitete beim Hörfunk und ist auch auf dem Gebiet der Exilforschung tätig. Heute lebt sie in Berlin, Düsseldorf und Südfrankreich.
AVIVA-Tipp: In "Warum seid ihr nicht ausgewandert? Überleben in Berlin 1933 bis 1945" schildert Irène Alenfeld anhand der Schriftzeugnisse aus dem Nachlass ihrer Mutter auf eindrückliche Weise das Leben der Eltern und Verwandten in Berlin zwischen 1933 und 1945. Dabei verliert sie ihre Fragestellung nie aus dem Blickwinkel und nimmt die LeserInnen mit auf einen Weg des Verstehens der eigenen Geschichte.
Irène Alenfeld
Warum seid ihr nicht ausgewandert? Ãœberleben in Berlin 1933 bis 1945
Verlag für Berlin-Brandenburg, erschienen Januar 2008
ISBN 978-3-86650-015-0
480 Seiten, gebunden, 80 Schwarz-Weiß-Abbildungen
24,95 Euro