AVIVA-Berlin >
Literatur
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 27.05.2010
Angela Steidele - Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens
Angelina Boczek
Die Leserin erfährt in diesem Buch von Frauenlieben und -beziehungen und davon, dass es sich nicht um singuläre Phänomene handelte, "zu einer Zeit, als es Liebe zwischen Frauen offiziell ...
... gar nicht geben durfte".
Der Autorin ist es sehr gut gelungen, die lebendige Verzweigtheit dieser Liebesgeschichte zu zeigen, in die viele weitere Frauen involviert waren, auch die berühmte Annette von Droste-Hülshoff. Zwar bleiben die beiden Protagonistinnen Adele und Sibylle im Mittelpunkt der Schilderungen, darüber hinaus werden die LeserInnen mit weiteren illustren Freundinnen bekannt gemacht.
Bei "Geschichte einer Liebe" handelt es sich einerseits um eine akribisch recherchierte Biographie mit zahlreichen Zitaten und Anmerkungen, andererseits ist sie so spannend wie ein gut komponierter Roman.
"Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens" setzt ein mit der Skizzierung der Herkunft Sibylle Mertens-Schaaffhausens, die 1797 in Köln als Tochter einer wohlhabenden Familie geboren wird. Bereits mit 19 Jahren muss die gebildete, Kunst und Wissenschaft liebende junge Frau heiraten, führt eine unglückliche Ehe mit Louis Mertens und bekommt sechs Kinder.
Ebenso zügig wird Kindheit und Jugend der im selben Jahr geborenen Adele Schopenhauer beschrieben, Tochter der Erfolgsschriftstellerin Johanna Schopenhauer und Schwester des späteren Philosophen Arthur, auf dessen Beziehung zur Schwester am Schluss des Buches näher eingegangen wird.
Die Welt, in der beide Frauen aufwachsen und sich begegnen, ist geprägt von der Beschäftigung mit Kunst, Literatur, Wissenschaft und Geschichte. Noch bevor Sibylle die spätere Freundin Adele zu Gesicht bekommt, lernt Sibylle 1825 Annette von Droste-Hülshoff kennen und lieben. Adele ist zu jener Zeit in Weimar in Ottilie verliebt, der späteren Schwiegertochter Goethes, die aber nur an "Freundschaft" interessiert ist. Erst im Jahre 1828 treffen Adele und Sibylle in Köln aufeinander: Sibylle war elektrisiert.
Die Biographin Angela Steidele erzählt anhand "vieler, bisher unveröffentlichter Quellen" ausführlich von dem weiteren Leben der beiden, von ihrer Arbeit, von Reisen, Zerwürfnissen, Krankheiten und nicht zuletzt von den Begegnungen mit Anna Jameson und Fanny Lewald.
Als Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens beschließen, ihren Lebensabend in Rom, der Stadt ihrer Sehnsucht, in einer "lesbischen community" zu verbringen, zerstört Krankheit diesen Wunsch.
Angela Steidele, die sich mit dem Thema Frauenliebe in der deutschsprachigen Literatur 1750-1850 ausführlich beschäftigt hat, dokumentiert in diesem weiteren, identitätsstiftenden Buch, dass es lesbische Liebe vielfach gegeben hat. Die überaus zahlreichen Zitate, vor allem auch aus den Briefen Adele Schopenhauers lassen keine andere Deutung zu.
Auch die Analyse von Gedichten Annette von Droste-Hülshoffs eröffnet eine neue Lesart, die uns zeigt, dass die Dichterin Frauen meinte, die sich in der Ballade "Das Fräulein von Rodenschild" erotisch näher kommen. Die Droste gab sich ansonsten zurückhaltend und war bis vor kurzem für die Literaturgeschichte und -wissenschaft nur heterosexuell interessiert.
Die Kalamitäten, denen lesbische Frauen sich ausgesetzt sahen, werden von der Autorin im Text und dann vor allem am Schluss verdeutlicht. Sibylle Mertens beispielsweise hatte böse Familienkonflikte wegen ihrer Beziehung zu Adele Schopenhauer zu erleiden und wurde von ihren Kindern und Schwiegersöhnen fast um ihr ganzes Vermögen gebracht. Nach ihrem Tod wurden ihre sorgfältig beschriebenen und reichen Antiken-Sammlungen in alle Winde verstreut.
Angela Steidele schöpfte übrigens zu einem großen Teil aus Quellen des Historischen Archivs der Stadt Köln, welches bekanntlich einstürzte. Dass sie diese Quellen vorher "gelesen, exzerpiert und ausschnittsweise abgetippt" hatte, ist ein besonderer Glücksfall.
AVIVA-Tipp: Abgesehen davon, dass es sich hier um ein ebenso informatives wie unterhaltendes Buch handelt, füllt "Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens" eine weitere Lücke in der Frauengeschichtsforschung und der Literaturwissenschaft. Nicht zu unterschätzen ist auch der Vorbildcharakter dieser Forschungsarbeit, in der einmal mehr gezeigt wird, dass die zunächst abseitig erscheinende Thematik um zwei vergessene Frauen aus längst vergangener Zeit sogar brisante Komponenten enthalten kann und dem kollektiven Vergessen nun entrissen ist.
Zur Autorin: Angela Steidele, geb. 1968, Dr. phil., erforscht die Geschichte der Frauenliebe vor Erfindung der "Homosexualität" (1869). Ihrer Dissertation "Als wenn du mein Geliebter wärest." Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur 1750-1850 (Stuttgart: Metzler, 2003) folgte die Biographie der letzten Frau, die in Europa wegen der so genannten Unzucht mit einer anderen Frau hingerichtet wurde: "In Männerkleidern." Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721 (Köln: Böhlau, 2004). Das Buch wurde mit dem Gleim-Literaturpreis ausgezeichnet. Ihr erster Titel im Insel Verlag, Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens erzählt von der wechselvollen Beziehung zweier Frauen an der Schwelle zur lesbischen Identität der Moderne. Angela Steidele lebt, schreibt und gärtnert in Köln. (Quelle: Verlagsinformation).
Angela Steidele
Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens
Insel Verlag, erschienen März 2010
Gebunden. 334 Seiten mit Abbildungen
24,80 Euro
ISBN 978-3-458-17454-7