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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 22.07.2010


Shamim Sarif - Das Leben, von dem sie träumten
Judith Czakert

"Das Leben, von dem sie träumten" bleibt ein Traum für Alexander und Katja. Ihre Liebe endet in den Wirren des Kalten Krieges in Russland. Katjas Tod beeinflusst die Zukunft vieler Menschen.




Der neue Roman von Shamim Sarif basiert auf Passagen, in denen ein ständiger Wechsel der Perspektive und der erzählten Zeit die Geschichte wie ein Puzzle zusammenfügt. Fragmentarisch durchziehen Teile der Vergangenheit den Roman und erhellen die Geschehnisse der Gegenwart. Umgekehrt führen Geschehnisse der Gegenwart dazu, dass eine Tragödie der Vergangenheit endlich Auflösung erfährt.
Die Verbindung der erzählten Zeiten und Menschen im Roman ist Alexander Iwanowitsch, 70 jähriger erfolgreicher Unternehmer in Boston, gebürtiger Russe. Er möchte sein florierendes Catering-Unternehmen verkaufen und verhandelt mit der unterkühlten, jungen Geschäftsfrau Melissa. Dabei lernt er Estelle, Melissas Mutter, kennen. Die lebendige, humorvolle Frau und Alexander fühlen sich voneinander angezogen. Estelle beginnt Fragen zu stellen und stößt auf Ablehnung. Alexander möchte nicht über den nie aufgeklärten Tod seiner Frau Katja sprechen.

Russland, Kalter Krieg
Alexander, ein junger regimetreuer Regierungsbeamte, verliebt sich in die Regimegegnerin Katja. Sie ist darauf angesetzt, ihm Informationen zu entlocken und in die Vereinigten Staaten zu schleusen. Die Beziehung mit der unkonventionellen Katja verändert Alexanders Wahrnehmung, "in seinem Denken hat sich etwas verschoben – irgendetwas ist an seinen Platz geglitten." Er stellt seine unbedingte Loyalität dem Staat gegenüber in Frage. Umgekehrt dringt Alexander zu Katjas Gefühlen durch, "zum ersten Mal muss sie erkennen, dass Kopf und Herz nicht immer dasselbe wollen, dass sie verschiedene Beweggründe, verschiedene Ziele haben können." Das Paar heiratet, erst nach vielen Jahren gesteht Katja Alexander ihr Doppelleben und gemeinsam beschließen sie aus Russland zu flüchten. Mit einer Regierungsdelegation setzt Alexander sich in die Vereinigten Staaten ab. Katja soll folgen - doch sie wird nie in den USA ankommen.

Boston, Gegenwart
Lauren, Alexanders Nichte, möchte wissen, was es mit dem Verschwinden Katjas auf sich hat. Gemeinsam mit Estelle kratzt sie an Alexanders Schutzschild, unter dem er sein Leid, seine Schuldgefühle und die Erinnerungen an Katja vergraben hat.
Wie und wieso musste Katja sterben? Lauren und Melissa reisen nach Russland und finden heraus, was damals geschah. Während der Reise kommen die Frauen sich näher. Melissa erkennt, dass auch ein Leben außerhalb von Karriere und Gewinnstreben reizvoll sein kann und beginnt sich zu öffnen.

Wie ein Stein, der auf Wasser trifft
Der Autorin ist mit ihrem Roman ein sehr ergreifendes Werk gelungen. Die in die Gegenwartserzählung eingebetteten Rückblenden schildern Alexanders und Katjas gemeinsames Leben vom Kennenlernen bis zur Flucht aus Russland. Aus dem Kontext der privaten Geschichte heraus, erläutert die Autorin die historischen Begebenheiten in Russland nach dem Sturz Stalins. Sie erzählt von der Hoffnung auf ein besseres Russland unter der Regierung Chruschtschow und von der Desillusionierung am Beispiel zweier Einzelpersonen. Sie erzählt von den Auswirkungen der Unterdrückungspolitik auf individuelle Schicksale, die Wellen in die Zukunft schlagen, wie ein Stein, der auf Wasser trifft.


AVIVA-Tipp: Mit Sarifs "Das Leben von dem sie träumten" hat der Verlag Krug & Schadenberg einen fesselnden und bewegenden, lustvollen und manchmal auch qualvollen Roman herausgebracht. Es entsteht ein Eindruck davon, wie stark die Vergangenheit von Einzelschicksalen sich in die Zukunft ausbreiten kann. Ausbreiten meint die Entwicklung vergangener Geschehnisse im zeitlichen, räumlichen und personellen Rahmen. Wie ein Puzzlespiel fügen sich die Geschichten der Romanfiguren Stück für Stück, Information für Information zusammen zu einer Geschichte, die bedrückend ist in ihrer emotionalen Härte, aber auch versöhnlich in ihrem Verlauf.
Mit Alexander Iwanowitsch steht zwar ein Mann im Mittelpunkt des Geschehens, trotzdem bleibt sich der Verlag dem Motto Frauen im Sinn... durchaus treu. Denn es sind die Protagonistinnen, die den Verlauf der Geschichte prägen und die den Mut haben, aus Konventionen und festgeschriebenen Wegen auszubrechen.


Shamim Sarif
Das Leben, von dem sie träumten

Originaltitel: Despite the Falling Snow
Aus dem Englischen von Andrea Krug
Verlag Krug & Schadenberg, 2010
386 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-930041-69-5
22,90 Euro


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Beitrag vom 22.07.2010

AVIVA-Redaktion