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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 24.11.2010


Veneda Mühlenbrink - Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an
Ute Vetter

Seit Monaten ging Luise mit Valerie wöchentlich auf eine Zeitreise. Sie saßen stundenlang zusammen und redeten. Die Besuche Valeries waren Luise wichtig geworden und ihre Treffen entwickelten sich...




... zu einer außergewöhnlich intimen Beziehung, und so veränderten die Donnerstage das Leben beider Frauen. Ihr Interesse am lesbischen Leben, an Vergangenheit und Erinnerung führte sie eher zufällig zueinander.

Mit der ersten Zeile des Romans taucht die Leserin in Valeries Gegenwart ein: Der Schreibtisch ist voll mit Notizen und ausgedruckten Internetseiten über die Zwanziger Jahre. Bücher zur Stadtgeschichte stapeln sich zu einem Turm und nicht weit davon entfernt liegt eine alte Pizzaschachtel. Valerie sitzt am Computer. Sie arbeitet seit Monaten an einem Buch über Luise Müggendorf, deren Erinnerungen sie sorgsam zusammenfügt. Valerie recherchiert Zeit und Orte, fährt nach Berlin ins Archiv und findet die Vergangenheit in Bergen von Akten bestätigt.

Luise Müggendorf selbst ist siebenundneunzig Jahre alt, liebt die Farbe Gelb, Frauen, Kaffee und muss noch etwas sehr Wichtiges erledigen bevor sie aus dem Leben scheidet. Sie bewohnt das Zimmer 217 im Altenheim in Hannover , ist eine hellwache Person und mäkelt ständig am Essen. Ihr wurde schon vor über 70 Jahren durch ihre geliebte Schwester Hanna prophezeit, dass sie nie die Männer bezirzen sollte, denn ihr fehlen die Häkchen in den Augen, wenn sie Männer anschaute. Ihre Schwester sollte recht behalten.

Luise Müggendorf berichtet Valerie immer Donnerstags aus ihrer Jugend, erzählt von ihrer ersten großen Liebe Emilie und den Zufällen, die sie immer wieder einander begegnen ließen - von einer vergangenen Zeit, die Liebe nicht am Leben halten konnte. Nationalsozialismus und Krieg vereitelten in ihrer Brutalität die Suche nach einer anderen Lebensform. Heimlich ging Luise jedoch ihren sexuellen Neigungen immer nach.

Im Roman "Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an" steht neben der spannenden Lebensgeschichte Luises auch Valeries lesbischer Alltag, der sich der Leserin sehr intim offenbart:

"Im Badezimmer stapelt sich die Schmutzwäsche im Korb, Wassernasen tanzen über die Armaturen und auf dem Küchentisch tummeln sich noch die Brötchenkrümel von vor vier Tagen. Kein sauberes Glas im Schrank und das Bett im Schlafzimmer zerwühlt in der Leidenschaft der vergangenen Nacht. Nichts von Dauer"

Der Alltag interessiert auch die siebenundneunzigjährige Luise. Neugierig tauscht sie ihre Erinnerungen ausschließlich gegen offen erzähltes Lebensgefühl Valeries ein.

Außerordentlich gelungen sind im Roman die lebendigen Dialoge: schnell, verzweigt, knapp, witzig und nah am lesbischen Lebensgefühl der Gegenwart. Das Buch kommt ohne sichtbare Spannungskonstruktion oder Dramatik aus. Die Erinnerung an eine Zeit, die mit dem Sterben von ZeitzeugInnen zu versinken droht, ist lebendig, sachlich und informativ festgehalten.

Der Titel des Buches verweist im Übrigen auf Zeilen eines Liedes der Comedian Harmonists, das 1932 aufgenommen wurde. Mit dem hergestellten Bezug auf das männliche Sextett der Vorkriegsjahre deutet die Autorin auf das Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre und damit auf die erinnerte Zeit der ersten großen Liebe Luises. Der authentische Charakter der Story wird unauffällig im Text indiziert.

Vergangenheit trifft Gegenwart. Valerie ist an der Erinnerung Luises interessiert und Luise an Valeries Gegenwart. Beides ist inhaltlich sowie erzähltechnisch geschickt miteinander verwoben/verknüpft, ergänzt einander und wird für einen Moment als Ganzes durch die Begegnung der beiden Frauen wunderbar sichtbar.

Zur Autorin: Veneda Mühlenbrink etablierte sich als Autorin mit ihren ersten beiden Romanen "Connys Reise" (2001) und "Caldera" (2002) - beide im U. Helmer Verlag erschienen. Ihr Weg führte sie durch bodenständige Schreibwerkstätten, beflügelnde Lesezirkel und zerfleischende Salonabende. Nach den literarischen Ausflügen in die Antike arbeitete sie an dem nun vorliegenden Roman. Die Schriftstellerin wohnt in Berlin und auch in der Nähe von Hannover.
(Quelle: Ulrike Helmer Verlag)

AVIVA-Tipp: Beziehung, Trennung, Zufall, Courage, Schmerz und Bekenntnisse - alle Indizien lesbischer Liebe sind mit einer Prise Humor, beinahe undramatisch erzählt. Die Spannung baut sich zum Einen über die sensible und kraftvolle Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart und zum Anderen über die Neugierde an erinnerter Geschichte der siebenundneunzigjährigen Luise, die Frauen liebt, auf. Ein sehr gelungener Roman und das Gefühl, das Buch nicht mehr aus der Hand legen zu können, stellt sich schnell ein. Und wenn Frauen Frauen lieben, fängt sowieso irgendwo der Weg zum Himmel an.

Veneda Mühlenbrink
Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an

Ulrike Helmer Verlag, erschienen 05. Oktober 2010
www.ulrike-helmer-verlag.de
Paperback, 283 Seiten
ISBN 978-3-89741-306-1
14,90 Euro

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Beitrag vom 24.11.2010

AVIVA-Redaktion