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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 29.11.2010


Sophie Michel und Emmanuel Lepage - Oh diese Mädchen
Susann S. Reck

Drei Mädchen, drei Leben die sich kreuzen und eine Freundschaft, die alle drei verbindet. Mit schlaglichtartigen Episoden erzählen die Autorin Sophie Michel und der Zeichner Emmanuel Lepage ...




... eine temporeiche, durch ihre Alltäglichkeit nicht weniger rauschhafte Chronik der ersten zwanzig Lebensjahre von Chloé, Leila und Agnès.

Paris

Drei Pariser Mädchen, die für das Leben in einer europäischen Großstadt stehen. Leila, deren Eltern aus Nordafrika nach Frankreich eingewandert sind, einfach, warmherzig, traditionsbewusst und dennoch offen genug, den Wissensdurst der Tochter nicht zu behindern. Auch Chloé, deren alleinerziehende Mutter jeden Job annimmt, um ihr die Ausbildung zur Ballet-Tänzerin zu finanzieren, wird in ihrem Ehrgeiz liebevoll unterstützt. Nur Agnès, die Dritte im Bund wächst frei von finanziellen Sorgen, dafür aber in einer Atmosphäre der Kälte auf.

Frau mit großem "F"

Sophie Michel schreibt auf der französischen Website der Graphic Novel: www.futuropolis.fr
"Oh diese Mädchen!" ist eine Erzählung über Mutter und Tochter."(...) Ich habe versucht heraus zu finden, was das ist ,die Frau mit dem großen "F". (...) Um der Komplexität gerecht zu werden, habe ich die eine Beziehung in drei auf gespaltet."

"Oh diese Mädchen!" ist eine visuell-virtuos und mit erfrischender Leichtigkeit erzählte Graphic Novel. Ist sie auch eine Suche nach weiblicher Identität?

Start

Schon bei Agnés´ Geburt wird deutlich, dass den wohlhabenden Elterndie entscheidende Grundvoraussetzung fehlt, um ihr das zu bieten, was sie nötiger als einen Designerschnuller braucht, nämlich Liebe. Dieser Mangel wiederum, so macht es die Autorin deutlich, wird nicht aufzuholen sein, im Gegenteil, er wird Agnès die Zukunft erschweren.
Neben Liebe sollten Mädchen, so die Autorin, von den Eltern mit Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten ausgestattet werden.
Zukunft ist auch ein zentrales Thema der Graphic Novel.

Zukunft

Leila wächst in dem Bewusstsein auf, dass sie mehr leisten muss als andere, um es zu etwas zu bringen. Und ihre Mutter, eine einfache Frau vom Dorf, traut der begabten Tochter genau dies zu. Auch Chloés Mutter, die selbst nur kellnert, nimmt die Tanzbesessenheit der Tochter ernst und fördert sie. Agnès hingegen vegetiert im Schatten der selbstverliebten und karriereorientierten Mutter als Püppchen vor sich hin. Sie begreift sich selbst als Marionette und kann das eigene Leben kaum in die Hand nehmen.

Freundinnen

Die Freundschaft der Mädchen wird vor allem dadurch bestimmt, was sie einmal werden wollen. So sind es gerade Chloé und Leila, die der vom Abrutschen bedrohten Agnés klar machen, dass sie dabei ist, sich die eigene Zukunft zu verbauen. Darüber hinaus geht es natürlich auch um vieles andere, was Kindheit und Jugend ausmacht- alltägliche Dramen, Niederlagen und Siege.
Ich bin was ich tue, könnte man die Aktivitäten der Mädchen zusammen fassen und damit das große "F" der Autorin umreißen.

Weibliche Identität vs. Feminismus?

In der Welt, die Sophie Michel beschreibt, ist der Mangel an Geld der häufigste Hinderungsgrund für Erfolg. Es gibt kaum Konflikte, die Leilas oder Chloés Fortkommen in Frage stellen, niemanden, der sich ernsthaft einmischt.
Man kann sich durchaus fragen, wie viel von diesem konfliktfreien Szenarium Utopie ist, und ob sich das große "F" in der arabischen und auch in der westlichen Welt tatsächlich so konfliktfrei entfalten kann, wie in der Geschichte behauptet.
Anders ausgedrückt: Feminismus als politische Einstellung hängt immer auch damit zusammen, dass frau um Rechte kämpfen muss.

Nach der Motivation für die Geschichte gefragt, antwortet Sophie Michel ebenfalls auf der Website zu "Oh diese Mädchen", www.futuropolis.fr, "Ich stelle mir nicht die Frage was Feminismus, sondern was weibliche Identität ist."

Ist es nicht eine bedauernswerte und nicht nachzuvollziehende Verkürzung, weibliche Identität Heute nicht in einer positiven Verbindung zu einer feministischen Tradition zu sehen? Dass Frauen vor uns einen Job (als Feministinnen) gemacht haben, bei dem es vor allem um unsere Zukunft ging, ist ein entscheidender Stützpfeiler unserer weiblichen Identität geworden und sollte zu unserem Selbstverständnis gehören.

AVIVA-Tipp: "Oh diese Mädchen!" beschreibt rasant und abwechslungsreich die erfrischend positive Entwicklung zweier Mädchen, Chloés und Leilas, und den schwierigen Start ins Leben einer Dritten, Agnés.
Auch wenn die gut gebaute Geschichte, die visuell mit einem sehr lebendigen Strich umgesetzt wurde, leicht über deren Schwächen hinweg täuscht, auch wenn für die schwierigste Figur Agnès kein glaubwürdiges Ende gefunden wurde - es wird platt-psychologisch suggeriert, dass sie auf Grund ihrer gefühlskalten Mutter lesbisch geworden ist, bleibt "Oh diese Mädchen! eine Graphic Novel, die man gut und gerne weiter empfehlen kann. Möglicherweise auch gerade deswegen, weil es den einen oder anderen Zwiespalt darin gibt.

Zur Autorin:
Sophie Michel
ist Französischlehrerin und hat mit "Oh diese Mädchen!" ihr erstes Comicszenario abgeliefert. Diese sehr persönliche Geschichte ist nach ihren Worten ein Versuch, sich als Frau zu definieren, der zwangsläufig mit ihren Erfahrungen als junges Mädchen und jenen als Mutter von zwei Kindern einhergeht.
Sophie Michel ist 31 Jahre alt und lebt an der Côtes-D´Armor.
Veröffentlichungen:
2005: Les Voyages d´Anna, illustrations d´Emmanuel Lepage, Éditions Daniel Maghen.
2008: Oh, les filles! 1, dessin et couleurs d´Emmanuel Lepage, Futuropolis.
2009: Oh, les filles! 2, dessin et couleurs d´Emmanuel Lepage, Futuropolis (beide Bände sind auf Deutsch in einem Band - Oh diese Mädchen - bei Splitter erschienen)
Weitere Infos unter:
www.sophie-michel.net

Zum Zeichner:
Emmanuel Lepage
geboren 1966 in Saint-Brieuc in der Bretagne.
Weitere Alben von Emmanuel Lepage:
Muchacho (2004),
La terre sans mal (2000).
Weitere Infos unter: www.bedetheque.com

Sophie Michel, Emmanuel Lepage
Oh diese Mädchen!

Originaltitel: Oh les filles!
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Splitter Verlag, erschienen November 2010
www.splitter-verlag.eu
Hardcover, 144 Seiten
ISBN-978-3-940864-50-5
19,80 Euro


Literatur

Beitrag vom 29.11.2010

Susann S. Reck