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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 11.05.2004


Besuch bei Zerberus
Sabine Grunwald

Ein Buch, das von Grenzüberschreitungen auf mythologischer und literarischer Ebene erzählt. Anne Weber verbindet unterhaltsam Intelligenz mit kindlicher Verspieltheit, Weisheit und Witz




Befindet sich der Hölleneingang in Frankreich? Cerbère wird von unzähligen Reisenden auf ihrem Weg in den Süden durchquert. Kaum einer macht hier halt. Die Erzählerin bleibt in Cerbère, der kleinen Vorhölle. Hier erreicht sie die Nachricht aus der deutschen Heimat, dass der bis dahin unantastbare und somit körperlose Vater tödlich erkrankt ist.

Die Küstenstraße am Mittelmeer führt weiter nach Spanien, Port Bou. Dieser Ort war für Walter Benjamin der Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen der Flucht nach Vorn und dem endgültigen Innehalten. Hier nahm sich der Schriftsteller auf der Flucht vor den Nazis das Leben.

Kindheitserinnerungen an den abwesenden Vater, an eine Welt des großen Geistes, die ersehnt doch unerreichbar schien, brechen auf. Gegen diese Welt zu bestehen, sich selbst zu finden und zu behaupten, ist die Aufgabe, der sich die Erzählerin stellt.

Einen zusammenhängenden Plot sucht die Leserin in diesem kleinen Band vergebens. Bereits am Anfang ist zu lesen:
"Derweilen arbeite ich an einem Buch mit offenem Anfang, ein Genre, das an der Börse bislang noch nicht geführt wird."...Was mir eigentlich vorschwebt, ist allerdings nicht etwa ein Buch in Galgenform, sondern eines, in dem die Sprache umgestülpt wäre wie ein Strumpf. Die Welt nach links zu drehen, das wäre eine Beschäftigung, an der ich dauerhaft Freude haben könnte."
Der Text erweist sich als fließendes Gewebe, ohne Anfang und ohne Ende. In ihrer Prosa reflektiert sie über alles, was nicht der Fall sein soll...
"...zerrt an dem roten Faden, der sich immer wieder verheddern und verknoten will, die Erzählstränge werden sorgfältig und zielstrebig miteinander verflochten, und wenn der Morgen graut, ist das Ende offen."

Mit ihren Worten schafft sie eine eigene Welt, eine Welt, die nichts mit der Wirklichkeit des Alltags zu schaffen hat, sondern aus Assoziationen, Sprachspielen, mythologischen und literarischen Anspielungen besteht.

Leichtfüßig, poetisch und mit spöttischer Lust begibt sich Anne Weber auf eine faszinierende Reise. Reflexion, Traum und Fabulierkunst sind in ihrer Prosa phantasievoll verknüpft und zeugen von dem schwierigen Prozess des Schreibens.

Anne Weber, geboren 1964 in Offenbach, lebt seit 1983 in Paris. Sie studierte an der Sorbonne französische Literatur und vergleichenden Literaturwissenschaften, arbeitete in französischen Verlagen und lebt jetzt als Übersetzerin und Autorin. Weiter sind erschienen: "Ida erfindet das Schießpulver" (1999), "Im Anfang war" (2000), "Erste Person" (2002).




Anne Weber
Besuch bei Zerberus

Suhrkamp Verlag, März 2004
ISBN 3-518-41606-5
Hardcover, 110 Seiten
18,90 Euro200238646175"



Literatur

Beitrag vom 11.05.2004

Sabine Grunwald