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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 15.03.2005


In Wolfssonate erzählt Hélène Grimaud ihr abenteuerliches Leben.
Ruth Niehaus

Präzise und warm, temperamentvoll und packend - die Autobiographie der 35jährigen Klaviervirtuosin ist ein Lesegenuß nicht nur für Fans klassischer Musik.




Hélène Grimaud? Das ist doch die weltweit gefeierte, feenhafte Pianistin, die sich nebenbei auch noch um ein Rudel Wölfe kümmert. Genau. Jetzt können wir in ihrer auf Deutsch vorliegenden Autobiographie erfahren, was in zahlreichen Interviews nur anklingt oder zwischen den Zeilen zu lesen ist. "Wolfssonate" ist eine Überraschung für alle, die "nur" den Lebensbericht eines Wunderkindes erwartet haben. Es ist ein poetisches Buch, das die Leserin nicht in Ehrfurcht erstarrt zurückläßt, sondern, wie jeder gute Roman, eigene Fragen, Erinnerungen und Wünsche aufrührt.

Die kleine Hélène hält ihre liebevoll-besorgten Eltern in Atem. Sie ist schwierig, neigt zu unbändigen Wutausbrüchen, ist nie zufrieden: ein merkwürdiges Kind, das nicht mit Gleichaltrigen spielt, Dumas und Dostojewski verschlingt wie andere Kinder Schokoladeneis. Im Rückblick ist sie dankbar für "diese unendlichen und köstlichen Stunden der Langeweile", die ihre Eltern weder mit Fernsehen noch mit außerschulischen Aktivitäten füllten. "Dort entwickelten sich meine Wünsche und Bilder."
Man wagt es, ihr Puppen zum Geburtstag zu schenken? Sie in ein rosa Ballettröckchen zu zwängen? Hélène, die schneller als jeder Junge auf einen Baum klettert und der jede Vorsicht, jede mädchenhafte Sorge um den korrekten Faltenwurf fremd ist, kann sich furchtbar empören.
Sie ist kompromißlos in ihrem Aufbegehren und geleitet von einem starken, nicht zu irritierendem Instinkt. Sie haßt Puppen und schleudert das Geschenk gegen die Wand. Genauso stürmisch ist sie, wenn sie sich begeistert, ungestüm die Eltern liebkost, oder voll Wonne mit dem Hund des Urgroßvaters spielt.
Das Gefühl, fremd zu sein, hört auf in der Wildnis der Camargue. Dorthin fährt sie bisweilen mit ihren Eltern. Hier ist sie "Teil einer großen Harmonie", "ganz und gar auf wunderbare Weise lebendig".

Die Momente des Mißklangs aber überwiegen. Ihr Bedürfnis nach Flucht ist ungeheuer groß. Ganz tief steckt in ihr "der Wunsch nach einem Anderswo". Das Ich ist ihr eine enge Grenze und früh meint sie, das "überall ausgebreitete Leben nur betrachten zu können, ohne daran teilzunehmen".
Die Sehnsucht danach drückt sich aus in seltsamen, zwanghaften Angewohnheiten. Hélène fügt sich selbst Verletzungen zu, möglichst symmetrische und entwickelt einen Ordnungswahn, der ebenfalls von einem Bedürfnis nach Symmetrie diktiert wird. Das Kind wird in Judo-, Ballett- und anderen Kurse untergebracht, doch den Tics ist so nicht beizukommen.

"Und wenn wir Hélène zu einem Musikkurs anmelden... ?" Die Idee, geboren aus einer gewissen Ratlosigkeit wird schicksalsentscheidend.
Die Lehrerin spielt der Siebenjährigen ein Stück von Schumann vor und das Kind erlebt einen magischen Moment. Sie spürt deutlich, daß ein Weg sich vor ihr öffnet, "als würde eine Tür in der Wand aufgehen". Ihr außergewöhnliches Talent wird schnell erkannt und Dank des Vaters auch gefördert. Mit 12 Jahren wird sie einstimmig als bislang jüngste Schülerin des Pariser Conservatoire aufgenommen. Doch das sind Daten, das Gerüst einer Erfolgsgeschichte.

Wie Hélène sich ihren Weg weiter bahnt, ohne Abschluß und auf sich allein gestellt schließlich das Konservatorium verläßt, wie die Begegnung mit Alawa, der Wölfin, ihrem Leben erneut eine Wendung und wie es ihr immer besser gelingt das Unvereinbare miteinander zu vereinbaren, das lesen sie besser selbst.
Eingewoben in ihren Lebensbericht hat sie so etwas wie eine "kleine Kulturgeschichte des Wolfes": haarsträubende und anrührende Geschichten aus dem Leben der Wölfe, für deren Erhalt und Schutz sie 1997 ein kleines Reservat in South Salem/New York aufgebaut hat.

AVIVA-Tipp: "Wolfssonate" ist die Geschichte einer kompromißlosen Einzelgängerin, und ein Appell, "unser Leben schöpferisch zu gestalten, anstatt es zu empfangen".

Auf Hélène Grimauds neuer CD sind Werke von Chopin und Rachmaninov vereint.


Hélène Grimaud
Wolfssonate

Blanvalet Verlag, Februar 2005
255 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 3-7645-0196-0
19,90 Euro
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Beitrag vom 15.03.2005

Ruth Niehaus