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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 09.05.2005


Bombenapplaus
Sarah Ross

Petra Bonavita zeichnet in ihrem neuen Buch das Leben der inzwischen 90-jährigen Nanny Becker-Butts auf, die den Holocaust überlebte. Diese Biographie ist auch ein Stück Frankfurter Stadtgeschichte.




Auch das Leben der Nanny Becker-Butts ging mit dem Nationalsozialismus gewaltsam in die Brüche. Ihre Karriere als Sängerin war bereits im Sommer 1933 zu Ende, lange bevor sie eigentlich begann. Bereits 1933 spornte Max Neuman, ihr musikalischer Mentor, sie dazu an, ein professionelles Gesangsstudium zu beginnen. Doch weil ihr Vater Jude war und sie somit keinen "Arier-Nachweis" vorlegen konnte, durfte sie ihr erstes Engagement als Operettensoubrett in jenem Sommer nicht antreten. Da wurde der Familie Becker schlagartig klar, dass sie keine "normale evangelische" Familie sind.

Nanny Becker-Butts ist die Tochter einer Christin und eines Vater jüdischer Abstammung, der jedoch bereits vor Jahrzehnten konvertierte. Nach den neuen Gesetzen der Nationalsozialisten galt die Ehe ihrer Eltern als "Mischehe" und sie selbst als "Mischling 1. Grades". Dennoch unterlagen Nanny und ihr Vater den gleichen Beschränkungen wie alle anderen Juden: Die elterliche Gärtnerei wurde boykottiert, und Nanny standen trotz ihres Talents lediglich die Bühnen zahlreicher Vereine ihres Stadtviertels Fechenheim, privater Veranstaltungen und der Kirchenchor zur Verfügung.

Mit zum Teil illegalen Nebenjobs verdiente Nanny Becker-Butts ihren Lebensunterhalt, bis sie 1939 in die Schweiz floh und dort auch als zweite Besetzung auf der Berner Operettenbühne eine Anstellung fand. Während sich Nanny um ihren jüdischen Vater und ihre "halbjüdischen" Brüder in Deutschland sorgte, und ihre Mutter in schlaflosen Bombennächten Briefe schreibt, "musste Nanny Becker wie ein "Eichkatzerl" über Schweizer Bühnen hüpfen [und] gab das "knusprig-übermütige Kammermädchen Adele"".

Nanny Becker-Butts hat den Holocaust überlebt und Spuren in Form von Theaterzetteln, Postkarten und Kritiken hinterlassen. Als sie 1956 in ihre Heimat zurückkehrt, will niemand je etwas gegen sie und ihre Familie gehabt haben. Auch in den Fechenheimer Veröffentlichungen der Nachkriegszeit wird mit keinem Wort erwähnt, warum die 25-jährige Nanny Becker Deutschland verließ. Auch die Hintergründe ihrer schweizerischen Karriere werden totgeschwiegen.

Das Buch basiert auf Erzählungen der neunzigjährigen Nanny Becker (wie sie heute heißt) über Frankfurt-Fechenheim, ihre Familie, die Schweiz und ihre Rückkehr nach Deutschland. Aber auch Zeitungsartikel und Tagebuchnotizen aus den Jahren 1936 und 1937 wurden herangezogen. Die Autorin Petra Bonavita hat auf dieser Grundlage die Lebenserzählung Nanny Becker-Butts nachgezeichnet und die Briefe, die ihre Mutter in Bombennächten aus Deutschland schrieb, veröffentlicht.

AVIVA-Tipp: Obwohl in Petra Bonavitas beeindruckendem Buch Nanny Beckers Leben den roten Faden bildet, werden auch Fragen an die Frankfurter Stadtgeschichte gestellt: Vielen Frankfurter Juden blieb eine Flucht aus Nazideutschland verwehrt. Die Emigration Nanny Beckers ist nur ein Beispiel für den Überlebenskampf vieler Menschen während der Shoah, deren unbeschwertes Leben sich in eine Tragödie verwandelte. Am Ende des Vorwortes schreibt die Autorin, dass es ihr gelungen ist, die schmerzvollen Erinnerungen der Opfer wachzurütteln, aber nicht die Erinnerungen der Menschen, die keinen Verfolgungen ausgesetzt waren.

Zur Autorin:
Petra Bonavita
: Die Autorin ist Soziologin und freie Autorin. Sie spricht seit Jahren mit Zeitzeugen des Holocaust und entdeckt in Archiven dazu längst vergessene Dokumente.

Nanny Becker-Butts lebt heute in der Nähe von Frankfurt am Main.


Petra Bonavita
Bombenapplaus. Das Leben der Nanny Becker

Ulrike Helmer Verlag: Mai 2005
200 Seiten, Paperback
40 Abbildungen
ISBN 3-89741-173-3
16,95 Euro200758889575"




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Beitrag vom 09.05.2005

Sarah Ross