Safiya Hussaini - Ich, Safiya - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.08.2005


Safiya Hussaini - Ich, Safiya
Tatjana Zilg

Die Nigerianerin, die 2001 zum Tode durch Steinigung verurteilt wurde und durch einen engagierten Anwalt und weltweiter Anteilnahme die Freisprechung erhielt, erzählt ihre Geschichte. Aufrüttelnd!




Tungar Tudu ist ein kleines Dorf tief im nigerianischen Busch, drei Auto-Stunden entfernt von der nächsten Kleinstadt. Dort wuchs Safiya Hussaini als drittältestes Kind von fünf Geschwistern auf. Der Vater ist als Barbier ein angesehener Mann innerhalb der Dorfgemeinschaft. Zugleich führt er die Beschneidungen der Jungen durch, er ist gläubiger Muslim. Jeden Tag zieht er sich zu ausführlichen Gebeten in sein Zimmer zurück. Das kleine Mädchen kann es gar nicht abwarten, in die Koranschule zu kommen, um an diesem Teil der Erwachsenenwelt mehr teilhaben zu können. Mit der Schule vermehren sich die Haushaltspflichten. Sie trägt beim Spielen fast immer den jüngeren Bruder Mohammadu auf dem Rücken, hilft der Mutter beim Wasserholen und beim Kochen. Aber sie gewinnt auch eine enge Freundin und lernt mit großem Fleiß Schreiben und Lesen der arabischen Schrift, so dass ihre Eltern sehr stolz auf sie sind.

Ihren ersten massiven Konflikt mit dem, was die Tradition von ihr verlangt, hat Safiya als 13jährige. Der Vater teilt ihr mit, dass der fünfzigjährige Yussuf um ihre Hand angehalten hat und er der Heirat zugestimmt hat. Das Mädchen wird nicht gefragt. Es wird von ihr erwartet, sich widerspruchslos der Entscheidung zu fügen. Sie hofft, dass die Mutter sie aus dieser Lage erlöst, doch dies geschieht nicht. Einige Tage nach dem aufwändigen Hochzeitsfest holt der wesentlich ältere Mann sie mit Pferden ab, um sie in sein Heim zu bringen. Es wird deutlich, warum die Eltern so froh über die Heirat waren: Yussuf geht es materiell sehr gut, er scheint der bestmögliche Versorger für das Mädchen zu sein. Doch nach einigen Jahren, in denen Safiya vier Kinder gebiert, kann Yussuf diesen Wohlstand nicht mehr halten. Ohnehin arbeitet er vorrangig im Süden des Landes, wozu er wochenlang fort ist. Nun kann er auch dort nicht mehr genügend Arbeit finden und Safiya ist plötzlich gezwungen, sich materiell stark einzuschränken, da Yussuf auch seine restliche Familie unterstützen soll. Das junge Mädchen ist überfordert und die Situation eskaliert, als zwei Kinder von einem Tag auf den anderen an Windpocken sterben. Yussuf verstößt sie. Nach islamischem Recht muss sie sofort Heim und Kinder verlassen. Ihre eigenen Eltern nehmen sie ohne zu Zögern wieder auf. Für Safiya wiederholt sich dies noch mit zwei weiteren Männern. Jedes Mal gibt ihr Vater dem Antrag nach, sie bekommt erneut Kinder, doch die Männer verstoßen sie immer wieder.

Überraschend für die Leserin/den Leser ist, dass das Verhältnis zu den Eltern davon nicht verschlechtert wird. Sie kehrt immer wieder zu ihnen zurück und wird ohne Vorwürfe wieder aufgenommen. Es wird verstehbar, warum sie sich den Willen des Vaters stets fügt: Sie tut dies nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen und Respekt. Auf der anderen Seite wird sie für ihre alternden Eltern zu einer wichtigen Unterstützung, auf die zu verzichten ihnen schwer fällt. Der Vater ist zwar stark betroffen, als Safiya plötzlich erneut schwanger ist, aber für ihn steht außer Frage, dass er weiter zu seiner Tochter hält. Die mittlerweile 34jährige hat dem Werben eines bereits verheirateten Mannes nachgegeben und mehrmals heimlich mit ihm geschlafen. Sie hoffte, dass er um ihre Hand anhalten wird, was er ihr auch versprach, dem er aber nie nachkam. Schnell spitzen sich die Dinge zu, als ihr Bruder, der mittlerweile einer fundamentalistischen Gruppierung angehört, sie beim Scharia-Komitee anzeigt.

Die Verurteilung ist hart und grausam: Tod durch Steinigung. Nach der ersten Phase der Verzweifelung findet sie neuen Mut, denn der sehr engagierte und in allen Feinheiten des islamischen Rechts bewanderte Anwalt Abdulkadir Iman Ibrahim übernimmt ihre Verteidigung vor dem Berufungsgericht. Er findet mehrere Formfehler und rechtliche Begründungen für die Freisprechung seiner Mandantin, deren Fall mittlerweile um die ganze Welt geht. Hier werden der Leserschaft profunde Einblicke in die Problematik der Scharia geboten. Zum Beispiel erlaubt diese die Anzeige durch den Bruder offiziell nicht. Eine derartige Einmischung der Scharia in die Privatsphäre ist nicht erlaubt, wodurch Missbrauch aufgrund von Familienstreitigkeiten ausgeschlossen wäre. Im Exkurs des Anwaltes im Anhang wird deutlich, dass die brutale Rechtssprechung der Scharia-Gerichte ihre Verursachung weniger im Koran als in politischen Machtkämpfen hat.

AVIVA-Tipp: Safiya Hussaini schildert ihre Geschichte mit Unterstützung des Koautors Raffaele Masto sehr offen und ergreifend. Die LeserInnen bekommen eine authentische Inneneinsicht, wie der Koran in afrikanischen Ländern gelebt wird und können ein Verständnis darüber gewinnen, dass er nicht mit den harten Strafen der Scharia gleichzusetzen ist. Diese sind vielmehr in der politischen Situation des ehemaligen Koloniallandes begründet.

Zu den AutorInnen:
Safiya Hussaini
ist Mutter von sieben Kindern, von denen zwei starben und drei bei ihren Vätern blieben. Sie lebt in Tungar Tudu im Bundesstaat Sokoto in Nigeria mit ihren Töchtern Adama und Aisha und ihrem neuen Ehemann, der bei ihrem Vater um ihre Hand anhielt, nachdem er die Presseberichte über ihr bewegendes Schicksal gelesen hatte. Im Jahre 2002 erhielt sie die Ehrenbürgerschaft der Stadt Rom.
Raffaele Masto ist Journalist und arbeitet seit 1989 für Radio Popolare. Seine Reportagen aus Afrika erscheinen in bekannten europäischen Tageszeitungen wie Corriere della Sera, Guardian, Bild und El Mundo. Für das Fernsehen hat er mehrere Dokumentarfilme gedreht.


Safiya Hussaini, Raffaele Masto
Ich, Safiya

Verurteilt zum Tod durch Steinigung
Blanvalet Verlag, erschienen Februar 2005
ISBN/EAN: 3-7645-0183-9
208 Seiten, gebunden
19,90 Euro200743495275"



Literatur

Beitrag vom 27.08.2005

AVIVA-Redaktion