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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 11.12.2005


Die schlimmsten Gitter sitzen innen
Daniela Krebs

Seit der TV-Serie "Hinter Gittern" sind die Bilder von Frauen im Knast bekannt. Doch was dort verklärt und unglaubwürdig erscheint, vermittelt Katrin Panier durch eindrucksvolle Realität und Nähe.




"Eigenartig: Hier im Knast fällt es mir leicht, nein zu sagen. Aber draußen, da ist es unglaublich schwierig." Patricia, 27.

Katrin Panier interviewte 16 Frauen im Alter zwischen 17 und 53 Jahren in verschiedenen Justiz-Vollzugsanstalten in Deutschland. Um diese Aufgabe leisten zu können, richtete sie sich ein "Büro" in einer Gefängniszelle ein, 1,80m mal 1,80m groß, bzw. klein. Dort unterhielt sie sich mit den von Grund auf unterschiedlichen Frauen über ihre Vergangenheit und Gefängniserfahrungen. Ihr war zwar bereits bei den Interviews bewusst, dass die Frauen ihr nicht immer die tatsächliche Wahrheit erzählen würden, aber sie wusste auch, dass dies immer die Wahrheit dieser Frau in diesem Augenblick sei, so wie sie sie sehen.

Frauen sind als Inhaftierte deutlich unterrepräsentiert. "Ihr Anteil in deutschen Gefängnissen beträgt nur knapp 4,5 %. Die Unterschiede zu den Männern fallen auf: Bei Frauen ist der Anteil an Gewaltdelikten verschwindend gering, vor allem gibt es bei ihnen fast überhaupt keine Sexualstraftaten. Dafür sitzen sehr viel mehr weibliche Süchtige im Knast." berichtet Katrin Panier. Daher verwundert es kaum, dass viele der Frauen, die in dem Buch vorkommen, in ihrem Leben Kontakt mit Drogen hatten.

Viele Frauen, die straffällig wurden, waren selbst lange Zeit die Opfer von Gewalt, durch ihre Männer, Eltern oder andere Vertraute. Einige flüchteten sich in die Drogensucht, die sie als den einzigen Ausweg sahen. Andere konnten das Leid nicht mehr ertragen, wehrten sich oder suchten sich einen anderen Ausweg aus dieser scheinbar aussichtslosen Situation. Jede Frau hat etwas anderes erlebt und erzählt ihre ganz persönliche Lebensgeschichte.

Dilara ist jetzt 17. Sie ist wegen Diebstahl und Urkundenfälschung ins Gefängnis gekommen. Vorher hatte sie bereits viel Negatives erlebt: Ihr Vater hatte sie oft geschlagen, wenn er sie mit einem Jungen gesehen hat, sie zu spät nach Hause gekommen ist oder wegen anderer Kleinigkeiten. Um gegen seine Autorität zu rebellieren, blieb sie erst recht lange weg und fing an, ab und zu Drogen zu nehmen. Doch das anfängliche Vergnügen wandelte sich in Sucht. Sie bekam Geldsorgen und um die Drogen zu finanzieren, begann sie zu stehlen. Als dies dann nicht mehr reichte, erhielt sie das Angebot von ihrem ersten Freier, und sie ging darauf ein. Als Prostituierte verdiente sie besser, auch wenn sie nach und nach immer mehr ihre Selbstachtung verlor und sich kaum noch selbst ertragen konnte. Von einem betrunkenen Freier klaute sie dann die Kreditkarte und finanzierte sich eine Zeit lang ihr Leben, bis sie gefasst wurde und ins Gefängnis kam – sechs Monate Jugendstrafe.
Den Knast sieht sie jetzt als Chance, ihr Leben zu ändern und von den Drogen und den falschen FreundInnen loszukommen. Sie hat ein Ziel: "Das normale Leben wieder spüren, das ist dieser Knast für mich. Ein Anfang."

Anne ist 19, wenn sie das Gefängnis verlassen darf, wird sie voraussichtlich 24 sein. Sie wirkt in ihren Erzählungen eher als ein junges, unscheinbares Mädchen, das noch viel für ihr Leben geplant hat. Sie berichtet von ihrer Köchinnen-Lehre und ihrer Freude am Malen. Als sie über ihre Tiere erzählt, kann mensch die Tierliebe regelrecht spüren. Sie schwärmt von diesen Tieren, als wären sie das Wichtigste auf der Welt. Doch vor einem Jahr erst hat sie eine alte Frau erschlagen und wurde wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.

Sonja hat acht Kinder und 19 Enkelkinder. Das erste Mal saß sie wegen Diebstahl im Gefängnis, da war sie 27 Jahre alt, heute ist sie 53 und zum sechsten Mal im Knast. "Besser im Knast als bei meinem Mann" ist ihr Motto. Das Schema ihrer Taten ist immer dasselbe: "Mario saß zuhause, hat gesoffen, ist gewalttätig geworden, hat mich geschlagen. Ich bin abgehauen und hab was geklaut. Bin erwischt worden, und wieder saß ich hier drin." Sie kompensiert die häusliche Gewalt, die sie erleidet hat, mit Diebstahl, um etwas gegen ihren Mann tun zu können, oder wenigstens vor ihm fliehen zu können. Sonja flieht jedoch nicht nur vor ihrem Mann Mario, sondern lässt damit auch ihre Kinder alleine. Das beschert ihr wiederum Schuldgefühle, die sie mit Drogen behebt, um sich selbst nicht mehr so sehr zu spüren. Am Beispiel von Sonja erkennt mensch den schrecklichen Kreislauf, den Gewalt und Drogen erzeugen können.

"Die schlimmsten Gitter sitzen innen" erzählt spannende Geschichten, die tief berühren und ergreifend geschrieben sind. Es fühlt sich beim Lesen sehr real an, manchmal sogar erdrückend, da die Schicksale der Frauen manchmal einfach so unfassbar sind. Es sind Schicksale, die mensch in der heutigen Gesellschaft kaum erwartet oder nur über Klischees und Erzählungen mitbekommt. Katrin Panier erzählt ergreifend die Lebensgeschichten von komplett verschiedenen Frauen.

Um das Bild des Lebens im Frauenknast abzurunden, enthält das Buch neben den Interviews der inhaftierten Frauen noch die Erlebnisberichte der stellvertretenden Leiterin der Justizvollzugsanstalt für Frauen Vechta, eines Gefängnisseelsorgers und von einer weiblichen Beamtin und einem männlichen Beamten.

AVIVA-Tipp: Das Buch von Katrin Panier bietet einen interessanten Einblick in den Tagesablauf und die Erlebnisse von Gefängnisinsassinnen, den mensch sonst wohl kaum wahrnimmt. Die Autorin führt eindrucksvoll in das Thema ein und lässt die Frauen ungestört von ihren Erlebnissen erzählen. Da die Interviews auch in die Alltagssprache der Frauen transkribiert wurden, fühlt mensch sich noch mehr in die Knast-Situation hineinversetzt. Auf jeden Fall ein Buch zum Weiterempfehlen, aber nicht zum Lesen für zwischendurch geeignet, da das Thema doch sehr tiefgreifend ist.

Zur Autorin:
Katrin Panier
arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Seit 1993 ist sie freiberuflich für Radio, TV und Printmedien tätig und erhielt für ihr Rundfunk-Feature "Frauen im Stahl" 1996 den Preis "Brandenburgerin des Jahres". Das Bücherschreiben ist allerdings ihr Lebenstraum, den sie sich mittlerweile mit ihrem vierten Buch weiter erfüllt.


Die schlimmsten Gitter sitzen innen
Geschichten aus dem Frauenknast
Katrin Panier

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, September 2004
ISBN: 3-89602-612-7
9,90 Euro90008115&artiId=2858860"



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Beitrag vom 11.12.2005

AVIVA-Redaktion