Israelische Nachbarn und palästinensische Schülerinnen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 19.05.2003


Israelische Nachbarn und palästinensische Schülerinnen
Jessica Cohen

In ihrem neuen Buch "Miss, wie buchstabiert man Zukunft?" schildert Margret Greiner ihre Erlebnisse als deutsche Lehrerin im geteilten Jerusalem




Margret Greiner lebt in zwei Kulturkreisen, die politisch voneinander abgekapselt sind. Sie wohnt in dem jüdischen Viertel von Jerusalem und unterrichtet Deutsch an einer palästinensischen Schule im Osten der Stadt.
Im israelischen Teil der Stadt spürt sie alltäglich das Misstrauen und den aufkeimenden Rassismus gegenüber PalästinenserInnen. An ihrem Arbeitsplatz wird sie mit Äußerungen konfrontiert, die den Israelis die Schuld an der wirtschaftlichen Misere der palästinensischen Bevölkerung geben.

Plastisch wird die Zuspitzung der Situation seit dem Beginn der Intifada im September 2000 dargestellt. Margret Greiner schildert die Restriktionen, die sowohl der palästinensischen als auch der israelischen Seite durch die Intifada auferlegt wurden.
In diesen Zeiten ist es für PalästinenserInnen mehr als ungewiss, von Jerusalem nach Ramallah zu gelangen - zwei Städte, die "normalerweise" 10 Autominuten voneinander entfernt liegen. Durch betroffene KollegInnen erfährt sie von der Willkür, mit denen israelische SoldatInnen die palästinensische Bevölkerung die Checkpoints passieren lässt - oder eben auch nicht.
Diese Demütigung erfährt sie an eigenem Leibe, als sie mit einem palästinensischen Taxifahrer zum Flughafen unterwegs ist. Das Auto wird als einziges von Dutzenden angehalten, die Papiere ausführlich kontrolliert, das Gepäck durchsucht.

Die Angst der israelischen Bevölkerung, von einem Selbstmordattentäter mit in den Tod gerissen zu werden, dringt auch zu Margret Greiner durch, als ein Café in ihrem Viertel in die Luft gejagt wird. "Dieses Attentat hat einiges in mir verändert. Bis jetzt hatte ich gedacht, mich durch Vorsicht und Umsicht schützen zu können. Bis jetzt fühlte ich mich wenigstens in meinem Viertel sicher und geborgen. Bis jetzt gab es immer noch einige Bewegungsfreiheit. Bis jetzt war mir die Gefahr nicht auf den Leib gerückt. Seit an diesem Abend die Ambulanzen durch meine Straßen heulten und sich das Sirenengeheul nicht in der Ferne verlor, sondern in unmittelbarer Nähe blieb, ist meine Seelenruhe dahin. Ich spüre meine Verwundbarkeit."

So werden einige Momente sehr eindringlich geschildert - und doch so knapp, dass sie anekdotenhaft als einzelne Geschichten auftauchen.
Es fehlt der "rote Faden", der die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen miteinander verbinden würde. So bleiben es Eindrücke, die zeitweilig literarisch schwach ausgedrückt und vor allem inhaltlich sehr schlicht kommentiert werden: "Wahrscheinlich gäbe es ohne den Holocaust den Staat Israel nicht. Daraus leitet sich die Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel ab. Aber zu Recht kann man auch eine Verantwortung gegenüber Palästina reklamieren. Denn Palästina hat den Preis für den Holocaust mit seinem Land bezahlt." Angesichts der kaum überschaubaren Komplexität des Nahostkonfliktes ist solch ein vereinfachendes Statement unangemessen und wenig hilfreich.

Margret Greiner
Miss, wie buchstabiert man Zukunft?" Als deutsche Lehrerin in Jerusalem
Piper Verlag GmbH, 2003
ISBN 3-89029-256-9
€ 17,90
Hardcover, 250 Seiten mit 8 Seiten Farbbildteil


Literatur

Beitrag vom 19.05.2003

AVIVA-Redaktion