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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 31.07.2003


Cut!
Jana Scheerer

Wer gerne Krimis liest und Bollywoodfilme mag, wird dieses Buch lieben: Merle Kröger verbindet Hamburg mit Bombay und (post-)koloniale Geschichte mit großem Kino. Heraus kommt ein Film in Buchform




Eine Frau nimmt ein Buch in die Hand. Cut. Das Buch in Nahaufnahme: Auf dem dunklen Cover ist ein Frauengesicht und die Aufschrift "Cut!" zu sehen. Cut. Die Frau setzt sich auf einen Stuhl, das Buch im Schoß. Sie liest. Cut. Und liest. Cut. Und liest...

So oder ähnlich könnte eine Szene mit dem Titel "eine Frau liest ´Cut!´ von Merle Kröger" aussehen. Denn wer das Buch ein Mal in die Hand genommen hat, wird es kaum mehr weglegen können.

Dabei fängt die Autorin die Aufmerksamkeit ihrer LeserInnen gleich auf mehreren Ebenen ein: Inhaltlich fesselt sie mit einer spannungsgeladenen Geschichte, stilistisch durch eine Sprache, die sich stark am Film anlehnt und im schnellen Wechsel der Perspektiven viel Abwechslung bietet.

Ausgangpunkt der Handlung ist die Schließung eines Kinos, das in einem besetzten Haus in Hamburg betrieben wurde. Für die Hauptprotagonistin Madita bedeutet das mehr als nur den Verlust eines Jobs: Für sie war das Kino sinngebend und lebensfüllend - hat es sie doch nach dem Tod ihrer Großmutter aus einem tiefen Loch befreit.
Madita wird so auf Fragen zurückgeworfen, die sie in ihrem Heimatort Harmsdorf zurückgelassen glaubte. Eine von ihnen lautet: Wo ist mein Vater? Denn Hinnarck, der Mann ihrer Mutter und Maditas Ziehvater, ist offensichtlich nicht ihr "Erzeuger": Maditas biologischer Vater ist Inder.
Hinter diesem Mann stehen eine ganze Reihe von Fragen, die Maditas Mutter Emma nicht beantworten kann. Für sie verbinden sich mit der Vergangenheit so traumatische Erlebnisse, dass sie seit vielen Jahren in einer psychotischen Lähmung verharrt.

Als Detektivpaar Nick und Mattie machen Madita und ihr Freund Nikolaus sich auf, das Rätsel des "großen Unbekannten" selbst zu lösen - und stoßen auf mehr ungeklärte Fragen, als sie erwartet hatten. Durch Recherchen in London und Bombay wird immer deutlicher, dass die beiden auf einen Mordfall mit historischer Dimension gestoßen sind.

Merle Kröger spricht einen Teil der deutsch-indischen Geschichte an, der kaum im deutschen Bewusstsein vorhanden ist: Die zweifelhafte Allianz indischer Nationalisten und deutscher Faschisten, die im zweiten Weltkrieg zum Aufstellen einer indischen Legion für den Kampf gegen England führte.

Der Hintergrund liegt in Indiens kolonialer Vergangenheit, die einen erbitterten Kampf um Unabhängigkeit nötig machte. Dass die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe noch lange nicht vorbei ist, zeigt die Autorin in den Szenen, die in London und Bombay spielen.

In London treffen Nick und Mattie auf eine hybride Kultur, die indische Elemente mit westlichen verbindet. Als Metapher dient im Text der "Asian Underground", eine Musikrichtung zwischen elektrischen Beats und indischen Schlagern.
Eine andere Facette der postkolonialen Situation erfahren Nick und Mattie in Bombay: Dort gibt es Hotels und Clubs, zu denen InderInnen keinen Zugang haben. Besonders spannend wird diese Situation durch Matties erkennbaren indischen Hintergrund: Einerseits fällt sie nicht so wie Nick schon durch ihre Haarfarbe auf, andererseits steht sie den kulturellen Besonderheiten genauso hilflos gegenüber wie er.

Wie ein Refrain durchbrechen immer wieder "Songs" den Text, in denen die Gemütslage der ProtagonistInnen durch Tanzeinlagen und Lieder veranschaulicht werden. Hier macht die Autorin eine Anleihe bei den indischen Filmen "Bollywoods", die eben durch diese Songs charakterisiert sind.

Wer "Cut!" gelesen hat, sollte deshalb unbedingt mal in einen Bollywoodfilm hineinsehen, um die filmischen Zitate im Text richtig würdigen zu können. Und wer gerade in einem Bollywoodfilm war, sollte schnellstens Merle Krögers Buch lesen. So oder so: Man kommt um beides nicht herum.

Lesen Sie auch das Interview mit der Autorin.



Merle Kröger
Cut!

Argument Verlag, 2003
3-88619-876-6
9,90 €
Paperback, 208 Seiten90008115&artiId=2181381"


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Beitrag vom 31.07.2003

AVIVA-Redaktion