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Beitrag vom 14.03.2008
Und ob es sie gab - Impressionistinnen
Kristina Tencic
Der Ausstellungskatalog zu der Exposition in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main, vom 22. Februar bis zum 1. Juni 2008, zeigt, dass ebenfalls viele Frauen den Impressionismus prägten.
Vielleicht hat die/der eine oder andere die Ausstellung der Nationalgalerie in Berlin "Die schönsten Franzosen kommen aus New York" gesehen. Dort gab es Werke von Degas, Monet, Manet, Picasso, Renoir und vielen weiteren Impressionisten des 19. Jahrhunderts zu bewundern. Ein/e aufmerksame/r BetrachterIn wurde da stutzig: Gab es im 19. Jahrhundert denn nicht auch Künstlerinnen? Ist ihr Einfluss auf die Malerei so gering gewesen, oder existierten sie schlichtweg nicht?
Die Beantwortung dieser Frage mit einem "Und ob es sie gab!" widmet sich eine Ausstellung mit 150 Werken in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main vom 22. Februar bis zum 1. Juni 2008, sozusagen mit dem weiblichen Pendant zu der erfolgreichen Berliner Ausstellung. Hier kommt die Aufmerksamkeit der Kuratorin Dr. Ingrid Pfeiffer nämlich ausschließlich den Impressionistinnen zugute. Das Augenmerk wurde auf drei Französinnen und eine Amerikanerin gerichtet: Berthe Morisot (1841-1895), Eva Gonzales (1847-1883), Marie Bracquemond (1840-1916) und Mary Cassatt (1845-1926). Die meisten werden diese Namen noch nie gehört haben – was sehr schade angesichts ihres vielfältigen und schönen Oeuvres ist.
Wer die Ausstellung nicht besuchen kann (was sicherlich bedauerlich ist), kann sich dennoch mit den Künstlerinnen und ihren Werken in Form des Begleitkatalogs beschäftigen. Der große dicke Bildband gewährt einen umfassenden Einblick in das arbeitsreiche Künstlerleben, die Ära und die Unterschiede zu den männlichen Impressionisten. Dass sie ihren männlichen Künstlerkollegen in nichts nachstehen, davon kann frau und man sich mithilfe der 305 Abbildungen in dem Katalog leicht überzeugen. Außerdem vermitteln Essays von KunsthistorikerInnen, AutorInnen und Biografien eine gute Basis zum Verständnis der Kunst und deren Erzeugerinnen.
Die vier Malerinnen gehören zum Kern der ImpressionistInnen des späten 19. Jahrhunderts, welche, mit ihrem pointillistischen Farbauftrag, dem Spiel mit der Wirkung des Lichts und ihrer neuartigen Technik, die WegbereiterInnen zur modernen und abstrakten Kunst darstellen. Bisher begegnete frau/man diesen Frauen eher als Bildinhalt großer Impressionisten, wie die verschiedenen Portraits Berthe Morisots von Edouard Manet oder Bilder Edgar Degas, für die Mary Cassatt Modell stand, belegen. Dass dies noch nicht alles ist, zeigen die Künstlerinnen mit ihren virtuosen Werken, die vorwiegend Frauen, Mütter mit ihren Kindern oder Frauen bei der Arbeit darstellen. Dass sie dabei durchaus feministische Denkweisen bestätigen, kann man bei der Betrachtung der Bilder vielfach erkennen. Erinnert man sich an die voyeuristischen Bildmotive Degas und seiner Ballerinas, wird dies schnell ersichtlich. Die Feministin Linda Nochlin beschreibt es in ihrem, im Bildband abgedruckten, Essay sehr treffend: "Bemerkenswert ist zudem, dass die Frauen – Bardame oder Bierkellnerin- bei der Arbeit stets so abgebildet werden, als seien sie dazu da, um von einem männlichen Betrachter angeschaut, sprich: visuell konsumiert zu werden." Frauenarbeit wird in dieser Epoche als Freizeitbeschäftigung gesehen, sei es als Amme, Wäscherin oder Prostituierte. "Kinder großzuziehen galt als naturgegebene Funktion, nicht als Arbeit"
Die vier Künstlerinnen kreieren ihre Figuren zwar auch aus dem Blickwinkel der Voyeurin, doch ist dieser Blick weniger wertend, sondern träumerisch neugierig auf einen Menschen und seine Tätigkeiten gerichtet, ohne dabei das Geschlecht zum Hauptanliegen zu machen. Dass die Künstlerinnen selbst aufgrund ihres Geschlechts in der männlich dominierten Welt der Kunst zu kämpfen hatten, erweist sich beispielsweise aus der Tatsache, dass Marie Bracquemond von ihrem Ehemann Felix Bracquemond als Konkurrenz wahrgenommen wurde, und sie ihre Malerei aufgab. Die Ausstellung der Schirn Kunsthalle ist somit sehr lobenswert, da sie den Frauen im Nachhinein ihre rechtmäßige und verdiente Ehre zukommen lässt.
AVIVA-Tipp: Die schönsten Impressionistinnen kommen nach Frankfurt – und wenn Sie nicht zu den glücklichen BetrachterInnen dieser Ausstellung zählen, können Sie auf den bilderreichen Katalog zurückgreifen, der eine gelungene Ergänzung oder einen ausreichenden Ersatz darstellt. Die begleitenden Texte sind zwar stellenweise etwas langatmig, jedoch sehr kenntnis- und aufschlussreich und tragen zum besseren Verständnis des Oeuvres der Künstlerinnen bei. Die Zusammenstellung der Ausstellung und des Kataloges trägt entscheidend zur Komplettierung der (weiblichen) Sichtweise auf den Impressionismus bei.
Zu den ausgestellten Künstlerinnen:
Berthe Morisot (1841-1895) erhielt mit ihrer Schwester privaten Malunterricht und stellte 1864 erstmals ihre Werke aus. 1868 lernt sie Edouard Manet kennen, dessen Freundin und Modell sie wird. Sie arbeiten häufig gemeinsam und beeinflussen sich gegenseitig. Wegen ihres lockeren Pinselstrichs wird die Französin von zeitgenössischen Kritikern als "impressionistischste unter den Impressionisten" bezeichnet.
Eva Gonzales (1847-1883) lernt 1868 Edouard Manet kennen und wird seine einzige Schülerin und dessen Modell, wird somit auch zur Konkurrentin Berthe Morisots. 1870 ist sie erstmals in einer Ausstellung vertreten. Sie gilt in ihrer Zeit als herausragende französische Künstlerin. Sie stirbt jung bei der Geburt ihres Sohnes in Paris und hinterlässt aufgrund dessen ein qualitätsvolles aber wenig umfangreiches Oeuvre.
Marie Braquemond (1840-1916) absolvierte ein Zeichenstudium, bevor sie Ingres kennen lernte und 1859 erstmals im Salon in Paris ihre Werke ausstellt. 1866 heiratet sie den Maler Felix Braquemond. Sie gehört zum Kern der ImpressionistInnen und nimmt an mehreren Ausstellungen teil, für die sie hoch gelobt wird. 1886, nachdem sie schon eine jahrelange Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann hinter sich hat, gibt sie die Malerei seinetwegen auf.
Mary Cassatt (1844-1926) die in Pennsylvania geborene Amerikanerin siedelt nach einem Kunststudium in Pennsylvania nach Paris über. 1868 stellt sie erstmals im Salon und 1877 gemeinsam mit den Impressionisten ihre Malerei aus. Cassatt ist sehr gut mit Berthe Morisot und Degas befreundet und wird zu einer der bedeutungsvollsten Malerinnen des Impressionismus gezählt. Sie überlebt den Ersten Weltkrieg in Grasse und verliert 1925, ein Jahr vor ihrem Tod, ihre vollständige Sehkraft.
Impressionistinnen
Hrsg.: Ingrid Pfeiffer, Max Hollein
Hatje Cantz Verlag, erschienen Februar 2008
320 Seiten, 305 Abbildungen, davon 274 farbig
Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-2078-6
39,80 Euro