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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 11.08.2018


Das Haus des Kranichs. Die Privatbankiers von Mendelssohn & Co. (1795–1938). Herausgegeben von Sebastian Panwitz
Nea Weissberg

Der Historiker Sebastian Panwitz erzählt kenntnisreich die Chronik der Bankiersfamilie von Mendelssohn & Co. und zeichnet damit ein reichhaltiges Bild der Bankgeschichte nach. Er berichtet von der Gründung des klugen wirtschaftlichen Geistes und Handels, des Solidierens eines Familienunternehmens, das über fünf Generationen von einer einflussreichen und geachteten Familie verantwortungsvoll geleitet wurde.




Der international bekannte und geschätzte Freidenker und Philosoph Moses Mendelssohn entstammte jener Kaufmannsfamilie, ebenso der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy. Seine Mutter Lea Mendelssohn war Pianistin, ihre Tochter Fanny Hensel, geborene Fanny Zippora Mendelssohn (getauft Fanny Cäcilie Mendelssohn Bartholdy) war eine Komponistin und Pianistin.

Die Verantwortung der Mendelssohns als Privatbankiers

Die Mendelssohns waren mit ihrer etwa 1795 gegründeten Privatbank Mendelssohn und Co. bedeutend am Finanz- und Wirtschaftswesen beteiligt. Die Bankiers glaubten an den ökonomischen Fortschritt, den sie in ihrer Branche produktiv, dynamisch und geschickt mit ankurbelten und intensivierten. Sie nahmen europaweit einen Platz in der Elite der Finanzinstitute ein.
Juden wurden in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Auch als Kaufleute wurden sie reglementiert. Gewährt wurde ihnen der Geldhandel: "die Pfandleihe, der Handel mit Wechseln, die Vergabe von Krediten... Die Zinssätze waren begrenzt, die Regeln der Pfandleiher stark zugunsten der Schuldner formuliert. Hypotheken durften Juden vergeben, bei Zahlungsausfall aber nicht Eigentümer der Häuser werden." so Sebastian Panwitz.

Das Buchcover erinnert mit dem Titel "Das Haus des Kranichs" an das feinsinnige Adelswappen der Bank, welches der Gründer Joseph Mendelssohn, zweiter Sohn des Moses Mendelssohns und seiner Ehefrau Fromet, geborene Gugenheim, zunächst als Siegel für seine Privatbriefe entwerfen ließ und später als Emblem und Motto der Privatbank diente: "Ich wach".
Der Kranich, ein Symbol der Bedachtsamkeit und des Scharfsinnes, gilt als Vogel des Bonheurs und schmückte Fenster des Bankhauses. Der wachsame Kranich wurde zum Symbol der Selbstverpflichtung für die diversen Bankiers-Generationen, die mit dem Kranich Siegelringe, Ex libris etc. schmückten.
"Das Motiv ist erstmals in der "Naturgeschichte" des römisch-antiken Publizisten Plinius des Älteren (23/24-79) zu finden: Des Nachts würden die Kraniche Wachen aufstellen, die mit einem Fuß einen kleinen Stein hochhalten, der ihnen, sollten sie einschlafen, entgleite."

Familiäre Verbindungen und damit Netzwerke waren ein Charakteristikum der damaligen deutsch-jüdischen Wirtschafts- und Finanzelite. Franz von Mendelssohn (1865-1935) und seine Frau Marie geb. Westphal gaben sich traditionell nicht politisch, während sich der Bankier der Deutschen Bank, Oscar Wassermann, neben seiner wirtschaftlichen Karriere, innerhalb des jüdischen Lebens, für die Wissenschaft des Judentums und den prozionistischen Wohltätigkeitsverband Keren Hajessod einsetzte. Beide Familien galten als Kunstmäzene, dort spielte häusliche Musik eine bedeutende Rolle. Die Crème de la Crème der Gesellschaft aus Politik, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft und Adelsleute wurden hierzu eingeladen. Die Mendelssohns galten als vertrauenswürdig und unterhielten weltweite Kontakte zu ihren Kunden.
Bankkunden waren z. B. der Naturforscher Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt, der italienische Komponist und Dirigent Gaspare Luigi Pacifico Spontini, Fürst Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau oder der Philosoph Arthur Schopenhauer.

"Das Bankgeschäft, das Joseph Mendelssohn 1795 eröffnete, stieg noch unter der Leitung des Gründers zu einer der führenden Banken Berlins und Preußen und in der Folge zur wichtigsten Privatbank Deutschlands und einem der führenden Häuser Europas auf."

Damals wäre kein Staat einer Privatbank zu Hilfe gekommen, hätte das Finanzprivatinstitut Misswirtschaft betrieben. Es hätte kein Staat unterstützende Kredite oder Stützungsgelder gewährt. Die Privatbankiers waren persönlich mit ihrem gesamten Eigentum haftbar gewesen.
Die Mendelssohn-Bankiersfamilie wurde nach einer Zeit der erfolgreichen Blüte durch schwere Krisenzeiten im 20. Jahrhundert gefordert.
Beim Bankvorstand gab es schlussendlich auf einer grundlegenderen Ebene ökonomische und marktpolitische Bedenken in Bezug auf die vom NS-Regime nicht einschätzbar betriebenen Kurses-und Finanzpolitik.
Die destruierende nationalsozialistische Politik der Ausgrenzung und Verfolgung der Juden und Jüdinnen in Nazi-Deutschland und Europa bedeutete auch für die deutsch-jüdisch ökonomische Elite: "Arisierung", Emigration, Flucht, Vertreibung, Zwangsliquidation oder Tod. Das NS-Regime zerriss oder zerstörte vielfach nicht nur das Leben deutsch-jüdischer Privatbankiersfamilien, sondern unterbrach zudem die Erinnerung an deren Lebenswerk.

Ein Teil der Mendelssohn- Bank wurde bereits im Herbst 1938 "arisiert", zwangsweise abgewickelt und zum 1. Januar 1939 liquidiert. "Sie durfte alte Geschäfte abwickeln, bestehende Aktiva einziehen und Verbindlichkeiten ablösen, aber kein neues Geschäft mehr beginnen. Mendelssohn & Co. stellten nach 144 Jahren der Existenz ihre Privatbanktätigkeit ein."

AVIVA-Tipp: Die Publikation von Dr. Phil. Panwitz, ein in öffentlich und privaten Archiven sehr gut recherchiertes Buch, würdigt das Familienunternehmen, erlaubt einen historischen Einblick in die Kreise, mit denen sich die Mendelssohns umgaben und in das Bankwesen. Den heutigen Interessierten ist es ein wertvolles Dokument jener Jahre.

Zum Autor: Sebastian Panwitz, geboren 1972, Historiker, nach Promotion und wissenschaftlicher Mitarbeit an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und am Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam selbständig als Forscher und Autor tätig, mit Arbeitsschwerpunkt in der Geschichte Berlins, im deutschen Judentum und der Familie Mendelssohn.

Sebastian Panwitz
Das Haus des Kranichs: Die Privatbankiers von Mendelssohn und Co.

Hentrich und Hentrich, erschienen 2018
352 Seiten, Hardcover, 45 Abbildungen
29,90 Euro
ISBN 978-3-95565-263
Mehr Infos zum Buch unter: www.hentrichhentrich.de

Mehr Informationen zur Familie Mendelssohn

Auf den Seiten der Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv in der Staatsbibliothek zu Berlin: staatsbibliothek-berlin.de

Auf den Seiten der Mendelssohn-Gesellschaft e.V., ein gemeinnütziger Verein unter der Schirmherrschaft Daniel Barenboims: www.mendelssohn-gesellschaft.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin zur Familie Mendelssohn:

Martina Bick - Musikerinnen der Familie Mendelssohn. Jüdische Miniaturen 202 bei Hentrich & Hentrich
Die Schwestern, die Mutter, die Großmutter, die Großtante: Heute sind sie am ehesten als Verwandte des wohl bekanntesten Musikers der Familie Mendelssohn, Felix Mendelssohn, ein Begriff, als eigenständig wirkende und wirksame Musikerinnen jedoch nahezu vergessen. Mit Rebecka Dirichlet, Fanny Hensel, Lea Salomon, Sara Levy und Bella Salomon stellt die Musikwissenschaftlerin Martina Bick knapp und prägnant fünf Frauen der die europäische Musikkultur so nachhaltig prägenden Familie vor. (2018)

Nachkommen von Moses Mendelssohn zu Gast in Berlin
Fast 300 Nachkommen des jüdischen Berliner Kaufmanns und Philosophen Moses Mendelssohn waren vom 12.- 14. Oktober 2007 zu Gast in Berlin.
Das Familientreffen fand auf Einladung des Berliner Senats anlässlich der abgeschlossenen Restaurierung der Grabstelen von Joseph und Henriette sowie Alexander und Marianne Mendelssohn auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee statt, die mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der Stiftung Preußische Seehandlung und des Landesdenkmalamtes realisiert werden konnte. Jetzt als CD-ROM erhältlich: "Die Familie Mendelssohn. Stammbaum von Moses Mendelssohn bis zur siebten Generation". (2007)

Im Schatten des Bruders - Fanny Hensel, geb. Mendelssohn
Anhand ihres Briefwechsels mit dem geliebten wie verehrten Bruder Felix sowie 11 Liedern gelingt dem Label o-ton-produktion ein wundervolles Portrait der außergewöhnlichen Musikerin und Komponistin. (2005)

Quasi una Fantasia - eine Reise mit Fanny Mendelssohn
Eine Italienreise mit Fanny Mendelssohn. Das Schicksal einer Künstlerin, die sich erst gegen Ende ihres kurzen Lebens gegen die Konventionen wandte und mit ihrem Talent an die Öffentlichkeit trat. (2004)

Die anderen Mendelssohns - Dorothea Schlegel, Arnold Mendelssohn
Der erste Teil einer neuen Comic-Serie über die jüdisch-deutsche Dynastie einer Familie von Bankiers, KünstlerInnen und Gelehrten (2004)

Weiterlesen:

Oscar Wassermann und die Deutsche Bank: Bankier in schwierigen Zeiten von Avraham Barkai
www.chbeck.de

M.M. Warburg & Co: die Geschichte eines Bankhauses von Eckart Kleßmann
eckart-klessmann.de




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