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Beitrag vom 01.10.2011
Nella Larsen - Seitenwechsel
Britta Meyer
"Schwarz", "weiß", beides oder auch keins von beiden, irgendwo dazwischen. Der Klassiker über Täuschung, Schauspiel und den Wahnsinn angeblicher menschlicher Rassen ist endlich auch auf deutsch...
... erschienen.
Wer ansieht und wer sich ansehen lassen muss
Der Moment, in dem der Roman das Thema "Rasse" zum ersten Mal erwähnt, ist bezeichnend in seiner Unbehaglichkeit: die Protagonistin Irene Redfield sitzt in einem vornehmen Café und genießt ihren Eistee, als sie bemerkt, dass die fremde Frau am Nebentisch sie mit beharrlichen, aufdringlichen Blicken mustert.
"Allmählich regte sich eine leichte Unruhe in Irene, verhasst und schrecklich vertraut. Sie lachte leise, aber ihre Augen blitzten. Wusste diese Frau, konnte diese Frau irgendwie wissen, dass hier, genau vor ihren Augen, auf dem Dach des Drayton eine Schwarze saß? Absurd! Unmöglich! Weiße waren doch so dumm in solchen Dingen, trotz ihrer Behauptungen, sie könnten das anhand lächerlicher Einzelheiten feststellen: Fingernägel, Handflächen, Form der Ohren, Zähne und ähnlich blödem Quatsch. "
Es ist das Jahr 1929 und eine "Enttarnung" als Afroamerikanerin würde dazu führen, dass Irene umgehend der Lokalität verwiesen würde. Umso verblüffter ist sie, als sich die elegant gekleidete Fremde als verflossene Bekannte aus ihrer Kindheit vorstellt – sie selbst ist ebenso wenig "Weiß", wie Irene. Clare Kendry, die unter härtesten Bedingungen aufwuchs, hat sich entschieden, ihre helle Haut ebenso wie ihre außergewöhnliche Schönheit gewinnbringend einzusetzen, und heiratete einen reichen weißen Mann, den sie nie liebte und der von ihrer Vergangenheit und Herkunft nichts ahnt. Nichts will sie jetzt mehr, als sich einen Ort zurück zu erobern, an dem sie sich nicht länger verstellen und verstecken muss. Obwohl Irene von Clare`s Selbstverleugnung und Heuchelei abgestoßen ist, verfängt sie sich allzu schnell in ihrem kunstvollem Netz aus Charme und Schmeichelei.
Nichts ist so, wie es scheint
In Nella Larsen`s zweitem Roman gibt es keine klaren Grenzen zwischen Wahr und Falsch, mensch tut, was mensch tun muss, um zu überleben. Das perverse System der Rassentrennung bringt dabei eine Reihe von Leben voller Lügen, Heimlichkeiten und Halbwahrheiten hervor: Clare lebt als Weiße in privilegierten Verhältnissen, Irene verbirgt ihr Wissen um Clare`s Vergangenheit vor derem rassistischen Ehemann, Irene`s eigener Mann ist nicht ehrlich zu seiner Frau. Doch früher oder später enthüllen Blicke in "Seitenwechsel" jedes noch so gut gehütete Geheimnis...
Zur Autorin: Nella Larsen (als Nellie Walker am 13. April 1891 in Chicago, Illinois, geboren, am 30. März 1964 in Brooklyn gestorben) wuchs als "Woman of Colour" in einem weißen amerikanischen Mittelstandshaushalt in Chicago auf und studierte in Nashville, Kopenhagen und New York. Ihre Mutter war eine dänische Immigrantin. Nella Larsen heiratete 1919 deb Physiker Elmer Imes und begann zu schreiben. Nach ihrer Scheidung 193 arbeitete sie als Krankenschwester und lebte zurückgezogen. Obwohl sie nur zwei Romane und eine Reihe Kurzgeschichten veröffentlichte, kann ihr Werk als wegweisend für die Critical Whiteness-Forschung in den Literaturwissenschaften gelten und gehört inzwischen zur Pflichtlektüre amerikanischer Universitäten. "Seitenwechel" ist die erste auf deutsch erschienen Ausgabe ihres 1929 erschienenen zweiten Romans "Passing" (engl. "als etwas durchgehen"). (Quelle: Dörlemann Verlag)
Zur Übersetzerin: Adelheid Dormagen übersetzt seit mehr als 30 Jahren leidenschaftlich Literatur, unter anderem Werke von Virginia Woolf, Jane Bowles, Amy Bloom, Michael Oondatje und Doris Lessing. Für Jenseits von Babylon von David Makouf erhielt sie 1997 den Deutsch-Australischen Übersetzerpreis. (Quelle: Dörlemann Verlag)
AVIVA-Tipp: "Seitenwechsel" handelt vom Angesehen-Werden, Wahrgenommen-Werden als jemand "Anderes", als eine Person, die nicht dazu gehört, sich unbemerkt eingeschlichen hat und unerwünscht ist. Ab wann wird eine lebensnotwendige Lüge unerträglich und wie viel sind wir bereit zu opfern, um das zu erhalten, was wir uns aufgebaut haben? Larsen zeichnet jeden einzelnen ihrer Charaktere präzise und vielschichtig und lässt niemanden als nur moralisch oder nur gewissenlos erscheinen. Ein echter Klassiker.
Nella Larsen
Seitenwechsel
Originaltitel: Passing
Dörlemann Verlag, erschienen 1. September 2011
Aus dem Amerikanischen von Adelheid Dormagen
192 Seiten. Leinen mit Leseband
ISBN 978-3-908777-67-0
19,90,- Euro
doerlemann.com
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