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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 20.09.2014


Paula Fox - Die Zigarette und andere Stories
Teresa Lunz

Momentaufnahmen, teils autobiographisch, teils exemplarisch und aus dem Leben erdacht, bildet die 1923 in New York geborene Autorin in ihren Kurzgeschichten durch scharf gezeichnete Figuren ab.




Die Shortstorys, Erzählungen und Essays, entstanden zwischen 1965 und 2010, spiegeln wieder, was die Autorin, Journalistin und Essayistin bewegte. Gezeigt werden die "Risse" und ihre möglichen Auswirkungen, die jede Existenz in sich trägt. Scheinbar verfolgt ihre Anordnung kein bestimmtes Ziel: Die/der LeserIn steigt ein mit der titelgebenden Story "Die Zigarette", in der Paula Fox erzählt, wie sie zur Raucherin wurde: Der unkonventionelle Vater nötigte zum Rauchen in dem Glauben, er erspare es ihr so, es heimlich zu tun. Und sie schildert, wie sie es gut ein halbes Jahrhundert später, ebensowenig durch eine freie Willensentscheidung, wieder aufgab: Durch einen Straßenüberfall in Jerusalem erlitt sie eine Hirnblutung, die eine Odyssee durch Kliniken und Pflegestationen nach sich zog. Erinnerungen, Bewegungs-, Ausdrucksfähigkeit kehrten schrittweise zurück, das Verlangen zu rauchen nicht.

Schnitt. Es folgt eine Geschichte, in der der Protagonist während der Beerdigung seines Sohnes nicht weinen kann, weil er anscheinend die Grausamkeit der Welt zu gewöhnt ist, um noch Erschütterung zu empfinden. Erst als er mit seiner Tochter einen Zeichentrickfilm anschaut, bricht er zusammen, denn nun wird ihm die allgemeine Sinnentleerung bewusst. Schnitt. Gerald bricht die Korrespondenz mit einem alten Freund ab und verweigert ihm ein Wiedersehen. Kann er es nicht ertragen, den eigenen Werdegang in dem gespiegelt zu sehen, den der Bekannte aus diesem früheren Leben verkörpert? Schnitt. Eine Frauenstimme erzählt über ihre ungelebte Liebe zu einem alten Mann, dessen Haushalt sie führt. Obwohl ihr Küstendorf, nunmehr von Ölteppichen umspült, langsam dahinstirbt, ist sie unfähig, ihm in die Stadt zu folgen, wo die Zukunft wartete. Schnitt. Schließlich schwenkt Paula Fox wieder zur eigenen Erfahrung um. Erzählt von ihrer unter ärmlichsten Verhältnissen zugebrachten Kindheit mit der Großmutter. Von ihrer Anstellung im Kinderheim. Von der Kraft der Worte. Vom Fehldenken hinter der Zensur. Von ihrem Schwager Clem, der bei aller Selbstgefälligkeit doch scharfes Urteilsvermögen besaß. Davon, wie jede/r sich darum bemühen sollte, glücklich zu leben und zu akzeptieren, was das völlige Glück stört, auch wenn es nicht immer ganz leicht fällt.

Sobald die Autorin davon abweicht, über Selbsterlebtes zu berichten, wählt sie ausschließlich männliche Protagonisten. Was tut Paula Fox in diesen Geschichten? Sie ermutigt die LeserInnen, Fragen zu der Situation, der Figur, letztlich dem eigenen Leben zu stellen, die im Alltag untergehen. Jede Geschichte könnte auch isoliert gelesen werden, gemeinsam sind ihnen die "Risse im Leben". Es bedarf sensibler BeobachterInnen, um sie einzufangen. Paula Fox gelingt dies meisterlich, bei verschiedenen Personen, in verschiedenen Lebenslagen, durch die Jahrzehnte hinweg. Sie konfrontiert uns in diesen 17 kurzen Texten, Erzählungen oder autobiographischen Episoden, mit den verborgenen Abgründen in jeder vermeintlichen Alltagsidylle. Unaufgeregt, frei von reißerischen Untertönen – selbst wenn von der seelischen Not der in Konzentrationslagern geborenen Kinder oder einem unter ihrem Fenster in Manhattan verübten Mordanschlag erzählt wird - aber immer mit Feingefühl für das Wesentliche.

Die Literaturkritikerin Bernadette Conrad gibt uns mit ihrem Nachwort einen wertvollen Leseschlüssel in die Hand, der es ermöglicht, der Lektüre vertiefende Reflexionen zu Paula Fox selbst und der "Geschichte hinter den Geschichten" folgen zu lassen. Sie hebt auf die scheinbare Zufälligkeit ab, die der Konzeption dieses Bandes zugrunde liegt. "Sicher scheint allein die Magie der Geschichte selbst" und die "Leidenschaft der Suche", die der Autorin innewohnt, die nie eine Chance hatte, Glauben an absolute Sicherheit zu entwickeln.

Als Kind lernte Paula solche nie kennen. Als Erwachsene, als Autorin bleibt sie sensibel für die Unsicherheit in allem Alltagsgeschehen, in jeder persönlichen Geschichte, in jedem kleinen Momenterlebnis. Sie kreidet nicht an, will keine Ängste schüren. Doch sie sensibilisiert ihren LeserInnen und ermutigt, nach der tieferen Wahrheit in jedem Ereignis zu fragen. "Offenheit für das Unerträgliche", mit Bernadette Conrads Worten gesprochen, wird eingefordert, keine Verzweiflung daran.

AVIVA-Tipp: Auf jeweils maximal 25 Seiten gelingt es Paula Fox immer wieder neu, ihre LeserInnen zu fesseln, mit ihnen zu kommunizieren und Ãœberlegungen anzuregen.

Zur Autorin: Paula Fox wurde 1923 als Kind eines irisch-englischen Vaters und einer kubanischen Mutter in New York City geboren. Später war sie als Journalistin und Essayistin bei verschiedenen Zeitungen tätig, veröffentlichte sechs Romane, zuletzt "Lauras Schweigen", sowie zahlreiche Kinderbücher, für die sie mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis ausgezeichnet wurde. Paula Fox ist verheiratet, hat drei Kinder und mehrere EnkelInnen, darunter die Sängerin Courtney Love. Bei dtv erschienen von ihr auch: "Der Gott der Alpträume", "In fremden Kleidern", "Der kälteste Winter", "Pech für George", "Luisa" und "Was am Ende bleibt". (Verlagsinformationen)
Mehr Informationen zu Paula Fox unter: www.dtv.de


Paula Fox
Die Zigarette und andere Stories

Originaltitel: News from the World: Stories and Essays
Deutscher Taschenbuch Verlag, erschienen September 2014
Taschenbuch, 225 Seiten
ISBN 978-3-423-14340-0
Euro 9,90


Weiterlesen: "Zum 90. Geburtstag von Paula Fox" in der Frankfurter Allgemeinen vom 22.04.2013: www.faz.net

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Beitrag vom 20.09.2014

AVIVA-Redaktion