Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 02.04.2023


Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden
Helga Egetenmeier

Mit ihrem Sachbuch zur Klimakrise kam Ulrike Herrmann auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Inhaltlich springt die Wirtschaftsjournalistin der taz darin über ihren eigenen Schatten und fordert die sofortige Beendigung des Kapitalismus, denn...




... nur ein "grünes Schrumpfen" könne die unabsehbaren Folgen des Klimawandels stoppen.

In ihrem Buch verweist sie sowohl auf die Vorteile unseres Wirtschaftssystems als auch auf die Notwendigkeit, schnell und kontrolliert in eine "Überlebenswirtschaft" überzugehen. Sie sei selbst überrascht gewesen, dass ihr Buch mit diesem Titel so ein Erfolg wurde, sagte Ulrike Herrmann bei einer Lesung am 21. Februar 2023 in Donauwörth (Bayern). In der ausgebuchten Buchhandlung Greno trug sie mit viel Faktenwissen, einprägsamen Anekdoten und Humor vor, weshalb der Kapitalismus, "der Logik der Krebszelle" folge und deshalb schnellstmöglich enden müsse. Ihre einprägsamen Ausführungen lassen sich in einem Gespräch auf YouTube nachschauen, das im taz Salon Hamburg aufgenommen wurde.

Kapitalismus, Wohlstandsgesellschaft und Demokratie

Ulrike Herrmann ist keine Kapitalismus-Kritikerin. Sie verteidigt dessen Errungenschaften in ihrem aktuellen Buch ebenso, wie sie es in ihrem 2016 erschienenen "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung" bereits tat. Denn er steigere den Wohlstand, verbessere die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin und erlaube die Ausweitung der Schulbildung, so ihre Argumentation im ersten Teil ihres neuen Buches.

Als langjährige Wirtschaftsjournalistin bei der taz ist die Autorin jedoch nicht blind für die Kritik am Kapitalismus, auch wenn sie diese gleichzeitig relativiert: "Der Kapitalismus ist kein Paradies und hat längst nicht alle Ungleichheiten beseitigt. Neu ist aber, dass gegen Benachteiligungen zumindest protestiert werden kann. Das Thema Gleichberechtigung kommt erst auf, wenn Gesellschaften wohlhabender sind." Die historische Entwicklung zu Demokratien habe die Freiheiten und Bildungsmöglichkeiten gebraucht, die der Kapitalismus bietet.

"Grünes Wachstum" als Illusion - Falle Profitmaximierung

"Die Menschheit fackelt ihr Zuhause ab, weil es nicht genügt, allein die wissenschaftlichen Fakten zu kennen."
Herrmann argumentiert, es reiche nicht, zu wissen, dass wir den Klimaschutz umsetzen müssen. Wir müssten verstehen, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem dies durch sein inhärentes Wachstum verhindert. Deshalb helfe nur die gezielte Abschaffung des Kapitalismus, um sowohl die Klimakatastrophe abzuwenden, als auch die Demokratie zu erhalten.

Wie sich über viele Jahre gezeigt habe, schreibt Herrmann, nütze es nicht, dass die Industriestaaten darauf warten, dass die Regierungen die "Wirtschaft und den Klimaschutz irgendwie versöhnen könnten". Auch die Autorin und Filmemacherin Kathrin Hartmann schaut sich seit einigen Jahren deshalb an, was unternehmerische Selbstverpflichtungen bedeuten. Sie kommt zu der Erkenntnis, dass in der kapitalistischen Welt der Profitmaximierung "Greenwashing" das alleinige Prinzip ist und mit allen Mitteln verteidigt wird. Wie sie in "Die grüne Lüge" (2018) zeigt, halten Konzerne ohne ausreichende politische Kontrolle keine ökologischen und sozialen Versprechungen ein.

Ulrike Herrmanns Vorschlag zum Klimaschutz: "Grünes Schrumpfen"

Den Kapitalismus als Verursacher der Klimakatastrophe verurteilten vor Herrmann bereits Autorinnen, wie Elizabeth Kolbert (Wir Klimawandler, 2021), Maja Göpel (Unsere Welt neu denken, 2020) und Kate Raworth (Die Donut-Ökonomie, 2019). Naomi Klein, US-amerikanische Journalistin und Wissenschaftlerin, erbringt seit zwei Jahrzehnten in ihren Aufsätzen und Büchern den Nachweis, dass der globale Kapitalismus den Menschen und das Klima weltweit nachhaltig schädigen. Sie fordert in ihrem 2019 erschienenen Buch "Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann", wie Ulrike Herrmann, eine Änderung unseres Wirtschaftssystems. Herrmann nennt den Weg dorthin "grünes Schrumpfen", oder auch "Überlebenswirtschaft."

Als Historikerin habe sie sich gefragt, so Herrmann, was wir aus der Vergangenheit lernen könnten um zu der "Überlebenswirtschaft", der Verhinderung von Wachstum, zu gelangen. Dabei sei sie auf den "konsumreduzierenden Effekt" in der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 gestoßen. "Kriegswirtschaft" bedeutete hier, dass der Staat durch "eine Art ´privater Planwirtschaft´" alle wichtigen Entscheidungen an sich gezogen hat, um sowohl die nötigen Waffen zu produzieren, - in der "Überlebenswirtschaft" könnten das Solarzellen, Windräder und ähnliches sein - als auch die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Die britische Regierung lenkte "die Betriebe indirekt - indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte" zuteilte. Dabei blieben die Unternehmen im Eigentum der Besitzer*innen und wurden von diesen weitergeführt wie bisher.

Der Weg zum Ziel: Von der "Überlebenswirtschaft" zur ökologischen Kreislaufwirtschaft

"Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden will", daraus macht Herrmann kein Geheimnis. Deshalb müssten wir baldmöglichst in eine "Überlebenswirtschaft" übergehen. Dass der Staat schnell handeln könne, wenn er wolle, habe die Corona-Pandemie gezeigt. Und da die Klimakatastrophe weiter fortschreite, gehe es nicht ohne staatliche Lenkung und Verbote: "Unsere Lebensweise kann nur dann ökologisch sein, wenn nicht jede jederzeit unbegrenzt konsumiert."



Umgerechnet auf das Konsumverhalten in Deutschland hätten wir eine vergleichbare wirtschaftliche Situation wie im Jahr 1978, erklärte Herrmann bei ihrer Lesung in Donauwörth. "So schlimm war das nicht", sagte sie dazu und forderte die Älteren unter den Zuhörer*innen auf, sich daran zu erinnern - es war durchaus eine angenehme Vorstellung, wie an den lächelnden Gesichtern zu erkennen war. Wenn wir dieses Schrumpfen dann geschafft hätten, so Herrmann, könnten wir in die Kreislaufwirtschaft übergehen. Und damit in eine Wirtschaftsform, die weniger Zukunftsangst und mehr Zufriedenheit verspreche.

Weshalb sie "die Tücken der Ökoenergie am deutschen Beispiel erläutert", erklärt Herrmann damit, den Rahmen dadurch überschaubar zu halten. Es sei aber klar, dass der Klimaschutz nur global gelingen könne und sie durch ihre Ausführungen den "nationalen Tunnelblick" nicht befördern wolle. Für sie liege es im Eigeninteresse aller Staaten die Treibhausgase zu reduzieren. Auf Nachfrage erzählte sie noch, dass geplant sei, ihr Buch in das Japanische, Chinesische, Rumänische, Italienische, Spanische, Dänische und Schwedische zu übersetzen. Dazu komme noch eine Aufnahme in den Bestand der Bundeszentrale für politische Bildung.

AVIVA-Tipp: Ulrike Herrmann kennt ihre Kritiker*innen, da sie sich lange Zeit selbst für den Kapitalismus ausgesprochen hat. Genau deshalb ist ihr eindringliches Plädoyer für einen sofortigen Ausstieg aus diesem klimazerstörenden Wirtschaftssystem so glaubwürdig. Mit zahlreichen Beispielen und einem angenehm lesbaren Schreibstil zeigt sie, dass es nicht schwer wäre, schnell zu einer klimagerechten Gesellschaft zu werden und dabei eine lebenswerte Demokratie zu bleiben. Unbedingt lesen, verleihen, diskutieren und die Politik zum Handeln auffordern.

Zur Autorin: Ulrike Herrmann, geboren 1964 in Hamburg, ist ausgebildete Bankkauffrau, hat die Henri-Nannen-Journalist*innenschule absolviert, sowie Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin studiert. Seit dem Jahr 2000 arbeitet sie bei der Tageszeitung taz. Seit 2006 ist sie Wirtschaftskorrespondentin und gehörte von 2008 bis 2014 zum Vorstand der taz-Verlagsgenossenschaft. Sie publiziert zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen, 2010 erschien ihr erstes Buch "Hurra, wir dürfen zahlen. Über den Selbstbetrug der Mittelschicht", 2013 folgte "Der Sieg des Kapitals", 2016 "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung" und 2019 "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen".

Ulrike Herrmann
Das Ende des Kapitalismus.
Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden

Kiepenheuer & Witsch, September 2022
Hardcover, gebunden, 352 Seiten
ISBN-13: 978-3-462-00255-3
24,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.kiwi-verlag.de

Weitere Infos unter:

www.genanet.de
Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit sind die Themen von genanet, einer Wissensplattform zu Genderdimensionen in der Umwelt- und Klimapolitik.

www.gendercc.net
GenderCC - Women for Climate Justice ist ein globales Netzwerk von Organisationen, Expertinnen und Aktivistinnen, die sich für Geschlechtergleichstellung, Frauenrechte und Klimagerechtigkeit einsetzen.

www.klimabuchmesse.de
Vom 27. bis 29. April 2023 finden in Leipzig zum dritten Mal die Klimabuchmesse statt. Initiiert wurde sie durch die Parents for Future in Vernetzung mit den Writers for Future. Sie ist nicht kommerziell und findet in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse statt, der Eintritt ist frei.

www.de-ipcc.de
Die Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle - IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change, auch: "Weltklimarat" - informiert die Wisschenschaft und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Forschungen zum Klimawandel.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Elizabeth Kolbert - Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft
Dass die Erderwärmung, die den Klimawandel beschleunigt, deutlich reduziert werden muss, darüber herrscht in Wissenschaft und Politik Einigkeit. Pulitzerpreisträgerin und Wissenschaftsjournalistin Elizabeth Kolbert geht deshalb nicht nur, wie bereits in "Das 6. Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt", der Frage nach, ob die globale Krise verhindert werden kann, sondern beschreibt auch, wie dies geschehen könnte. Dazu besuchte sie weltweit Forschungsprojekte, die zu den Folgeproblemen früherer Eingriffe in die Natur arbeiten, und solche, die in größerem Maßstab Geoengineering planen. (2022)

Annalena Baerbock - Jetzt. Wie wir unser Land erneuern
Annalena Baerbock, die erste Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen, präsentiert sich in ihrem Buch als Mensch, Mutter und Politikerin. In vier Kapitel verknüpft sie ihre politische Entwicklung mit ihren privaten Erfahrungen und stellt dabei die Themen ihrer Partei vor. Mit viel Detailwissen führt sie an, weshalb die Grünen dazu prädestiniert sind, adäquat auf die Klimakrise zu reagieren und die globale Demokratie zu stärken. (2021)

Annette Kehnel - Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit
Wie sollten wir leben und wirtschaften, um die Klimakrise zu stoppen? Dies fragte sich die Historikerin und Professorin für Mittelalterliche Geschichte Annette Kehnel und fand darauf weitreichende Antworten bei den vormodernen Gesellschaften. Dass Frauen-Wohngemeinschaften, Mikrokreditbanken, Secondhandmärkte, Recycling und "Rent a Cow" jahrhundertelang die Kreislaufwirtschaft prägten, und zu nachhaltigem Wirtschaften und sozialer Gerechtigkeit beitrugen, beschreibt sie detailliert in diesem Buch. (2021)

Maja Göpel - Unsere Welt neu denken. Eine Einladung
Die Einladung der Mitbegründerin der "Scientists for Future" und Honorarprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg für ein Umdenken zu Gunsten der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft fällt in eine Zeit, die durch die Corona-Pandemie weltweit eine Aufgabe und Herausforderung für Solidarität geworden ist. Ob der fortschreitende Klimawandel mit dem Ausmaß der Virusinfektion in Zusammenhang gebracht werden kann, lässt sich heute noch nicht sagen. Doch der Appell der Autorin, dass wir uns auf die vor uns liegenden krisenhaften Zeiten vorbereiten müssen, erhält durch die aktuellen Kontaktbeschränkungen, die Einschnitte in das Wirtschaftsleben und die steigenden Zahlen der Verstorbenen eine erschreckende Realität. (2020)

Naomi Klein – Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. On Fire. The (Burning) Case for a Green New Deal
Die kanadische Klimaaktivistin Naomi Klein ("Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima", "Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus", "No Logo!") ist keine Freundin der leisen Töne. Sie fordert radikales Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit dem Planeten Erde und bietet ein klares Konzept, wie der Klimakollaps aufzuhalten ist. Ihre Antwort ist der Green New Deal. (2019)

Kate Raworth - Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Aktueller könnte Kate Raworth mit ihrer Kritik am vorherrschenden Wirtschaftsmodell und ihren Vorschlägen zum Umdenken nicht sein. Ganz im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung und deren Engagement für sofortige Klimaschutz-Maßnahmen, stellt sie die veralteten Lehren der Wirtschaftswissenschaften fundiert in Frage. Mit ihrem "Donut-Modell" diskutiert sie Alternativen und plädiert für eine ökologische und menschenfreundliche Ökonomie, die an vorhandene Konzepte anknüpfen kann. (2019)

The Green Lie - Die grüne Lüge. Buch Kathrin Hartmann, Dokumentarfilm Werner Boote unter Beteiligung von Kathrin Hartmann
Dem Greenwashing der großen Konzerne, die Nachhaltigkeit versprechen und dabei Menschenrechte verletzen, gehen Autorin Kathrin Hartmann und Regisseur Werner Boote gemeinsam auf den Grund. Der Dokumentarfilm über falsche Produktversprechen und untätige Politiker*innen hatte auf der 68. Berlinale seine Welturaufführung. Inhaltlich ergänzt das im Februar 2018 im Blessing-Verlag erschienene gleichnamige Buch die im Film vorgestellten Beispiele. Damit belegen Hartmann und Boote eine erschreckende Ignoranz und Arroganz von Manager*innen und Politiker*innen gegenüber den internationalen Menschenrechten. (2018)

Naomi Klein - Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima
Die kanadische globalisierungskritische Aktivistin, Schriftstellerin und Journalistin fordert eine Entscheidung: ein konsumorientierter Lebensstil, der das Leben auf der Welt in naher Zukunft unmöglich machen wird, oder ein Kurswechsel, der eine emanzipierte, klimafreundliche Gesellschaft etablieren kann. (2015)

The Great Warming
Die Dokumentation mit Alanis Morissette und Keanu Reeves zeigt ergreifende Bilder von den Folgen des fortschreitenden Klimawandels und stellt Projekte vor, die diesem entgegenwirken sollen. (2008)


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Helga Egetenmeier