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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 30.06.2009


Juristinnenbund fordert Neubesetzung des BVG-Vorstands
AVIVA-Redaktion

Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) ist überzeugt, dass der Vorstand der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) rechtswidrig besetzt wurde. Männerklüngelei? Lesen Sie hier die Stellungnahme des DJB.




Wie der Tagesspiegel berichtete, war sogar der Berliner Frauen- und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) Ende 2008 an der Ernennung Henrik Falks zum neuen BVG-Finanzvorstand beteiligt. Diese Stelle hätte laut DJB jedoch ausgeschrieben werden müssen. Der Juristinnenbund ist deshalb überzeugt, dass die Besetzung rechtswidrig ist und fordert, dass die Ernennung Henrik Falks rückgängig gemacht wird. Die Senatswirtschaftsverwaltung prüft derzeit die Rechtmäßigkeit, während die Senatsjustizverwaltung die Meinung von Jutta Glock, der Landesverbandsvorsitzende des Juristinnenbundes, teilt, dass gegen das Betriebegesetz und das Landesgleichstellungsgesetz verstoßen wurde. Da es im Vorstand der BVG keine Frauen gibt, hätte die Stellenausschreibung geschlechtsneutral sein müssen – obwohl sich natürlich nach der Ausschreibung auch ein Mann hätte durchsetzen können.

Lesen Sie hier die Stellungnahme vom Juristinnenbund zur geschlechtsparitätischen Besetzung von Leitungsfunktionen und Organen landeseigener Unternehmen und Unternehmen mit gesellschaftsrechtlicher Beteiligung des Landes Berlin:

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt ausdrücklich sämtliche politischen Initiativen aller Parteien und Verbände zur Vermeidung und Beseitigung der fortgesetzten rechtswidrigen Stellenbesetzungsvorgänge seit 2007, die in den Spitzenpositionen der Berliner Betriebe stattgefunden haben.

1. Die Rechtslage ist mit folgenden Vorschriften vorgegeben und von allen MandatsträgerInnen nach Art. 20 III GG - Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz - zu beachten:
Seit 1991 hat das Abgeordnetenhaus sich durch Schaffung des Landesgleichstellungsgesetzes (LGG) zur Frauenförderung verpflichtet.
Das LGG gilt nicht nur für die Berliner Verwaltung, sondern insbesondere unmittelbar für die landesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen (§ 1 Abs. 1 LGG). Somit gilt das LGG für die Berliner Wasserbetriebe (BWB), die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Berliner Stadtreinigung (BSR). Nach § 5 Absatz 1 Satz 2 LGG müssen alle Stellen, insbesondere wenn Frauen unterrepräsentiert sind, öffentlich ausgeschrieben werden.

Auch in den Betrieben, an denen das Land Berlin Mehrheitsbeteiligungen hält, ist darauf hinzuwirken, dass die Grundsätze des LGG beachtet werden (§ 1 Abs. 2 LGG). Der Berliner Senat hat auch darauf hinzuwirken, dass die Grundsätze des LGG beispielsweise auch bei der Investitionsbank Berlin (IBB) beachtet werden.

Seit Sommer 2006 gilt das Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG). Dort ist in § 28 festgeschrieben, dass das LGG in der jeweils geltenden Fassung insbesondere auch bei der Besetzung der Organe und den Vorgesetzten- und Leitungsfunktionen Anwendung findet. Das LGG gilt über die Verweisung für alle Organe (d.h. Vorstandspositionen) und Führungskräfte.

Ferner gilt nach einem Beschluss des Senats von Berlin am 17. Februar 2009 eine Neufassung der Hinweise - einschließlich einer Mustersatzung – für Beteiligungen des Landes Berlin an Unternehmen. § 17 (Gleichstellung) der Mustersatzung enthält die fast gleich lautende Formulierung wie § 28 BerlBG: "Die Grundsätze des Landesgleichstellungsgesetzes sind zu beachten; dies gilt insbesondere bei der Besetzung der Organe und der Vorgesetzten- oder Leitungsfunktionen." In Fußnote Nr. 14 der Mustersatzung wird ausgeführt, dass im Fall der Errichtung einer Gesellschaft durch das Land außerdem Maßnahmen zur Frauenförderung entsprechend den Regelungen des LGG im Gesellschaftsvertrag geregelt werden sollen (§ 1 IV LGG).

Damit ist nicht nur die Gleichstellungsverpflichtung nach § 3 LGG - es ist aktiv auf die Gleichstellung von Männern und Frauen hinzuwirken – gesetzlich vorgeschrieben. Nach § 5 I 2 LGG müssen außerdem alle Stellen in Bereichen oberhalb der Besoldungsgruppe A 9 bzw. der entsprechenden Vergütungsgruppe des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT/BAT-O), in denen Frauen unterrepräsentiert sind, öffentlich ausgeschrieben werden.

2. In der Vergangenheit kam es zu folgendem konkreten Rechtsverstoß:
Der Aufsichtsrat der BVG hat die Rechtsvorschriften bei der Besetzung von Organfunktionen nicht beachtet, da die Stelle des Finanzvorstands im Herbst 2008 nicht öffentlich ausgeschrieben wurde. Auch bei den neu zu besetzenden Positionen im Vorstand der IBB fehlt bisher die öffentliche Ausschreibung, der Vorgang der Stellenbesetzung obliegt einer beauftragten Personalberatung.

3. Rechtsfolge:
Der Beschluss des Aufsichtsrats der BVG zur Bestellung des Finanzvorstands ohne vorherige öffentliche Ausschreibung verstößt gegen § 28 BerlBG in Verbindung mit § 5 Absatz 1 Satz 2 LGG und ist daher rechtswidrig; die Bestellung kann keinen rechtlichen Bestand haben und ist rückgängig zu machen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1997 AZ: II ZR 175/95 kann sogar von der Nichtigkeit des Beschlusses ausgegangen werden mit der Folge, dass der derzeitige Finanzvorstand nicht rechtswirksam bestellt worden und die Position erneut und diesmal unter strikter Beachtung der oben genannten Vorschriften zu besetzen ist.

4. Vor diesem Hintergrund fordert der djb:

1. Die Stelle des Finanzvorstandes bei der BVG ist öffentlich auszuschreiben.
Die Vorschriften des BerlBG in Verbindung mit dem LGG sind im Stellenbesetzungsverfahren einzuhalten.

2. Der Senat von Berlin hat darauf hinzuwirken, dass auch die Stellen der nunmehr aktuell zu besetzenden Vorstandspositionen der IBB öffentlich ausgeschrieben werden und das LGG eingehalten wird.

3. Für sämtliche Unternehmen mit Beteiligung des Landes Berlin sind die Vorgaben der Mustersatzung innerhalb einer Frist von 3 Monaten umzusetzen. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, die Umsetzung der Mustersatzung zu kontrollieren.
4. Im LGG ist ein Verbandsklagerecht für den Fall festzuschreiben, dass die gesetzlichen Bestimmungen des LGG nicht beachtet werden.
5. Es bedarf der Regelung von Sanktionen gegenüber jedem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrates bei Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften des BerlBG und des LGG.

6. Im BerlBG und im LGG ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Neubestellung über die Inhalte des LGG geschult werden.

7. In § 17 LGG ist aufzunehmen, dass die Frauenvertreterin im Rahmen der Beteiligung bei Stellenbesetzungen auch bei Vorstandspositionen ein Widerspruchsrecht hat, wenn sie das Fehlen der öffentlichen Ausschreibung feststellt. Die in diesem Gesetz vorgesehenen Beteiligungs- und Widerspruchsrechte sind nicht verzichtbar.

Der djb fordert ausdrücklich die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zur Gleichstellung von Männern und Frauen, und dies gilt insbesondere für politische MandatsträgerInnen, die in Doppelfunktion einerseits als Vorsitzende/r eines Aufsichtsrats eines landeseigenen Betriebs und andererseits als demokratisch legitimierter politischer MandatsträgerIn handeln und ein öffentliches und damit transparentes Ausschreibungsverfahren sicherzustellen haben.

Jutta Wagner, Präsidentin

Prof. Dr. Marlene Schmidt, Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht

Dr. Jutta Glock, Vorsitzende des Landesverbands Berlin

Weitere Infos: www.djb.de

Quellen: Tagesspiegel, DJB


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Beitrag vom 30.06.2009

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