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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 26.08.2010


361 Grad Respekt 2010
Britta Meyer

Am 25. August 2010 startete in Hamburg und Berlin die Aktion "361 Grad Respekt - der YouTube Jugendwettbewerb gegen Ausgrenzung" unter Mitwirkung vieler Organisationen und AkteurInnen wie...




... unter anderem "Laut gegen Nazis", der Amadeu Antonio Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung und der EU-Initiative Klicksafe.

Jugendliche ab 13 Jahren aus ganz Deutschland sind ab sofort aufgerufen, eigene Videos für mehr Respekt und ein toleranteres Miteinander zu erstellen. Bis zum 16 Oktober 2010 können sie diese auf www.youtube.de/361grad hochladen. Die besten Beiträge werden von der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ausgezeichnet, den Hauptgewinn stiftet die Band "Die Fantastischen Vier": Die Erstplazierten in den Einreichungskategorien Musik, Shortstory, Freestyle und Support werden das Konzert der Band am 22. November 2010 in Berlin von der VIP-Loge aus erleben und die "Fanta4" hinterher backstage treffen.

"Freiheit fällt nicht vom Himmel oder wächst auf der Wiese",

sagte Smudo von den "Fantastischen Vier" auf der Pressekonferenz zum Start der Kampagne in Berlin. Mensch müsse auch dafür arbeiten, Freiheit zu erlangen und zu erhalten. Der Wettbewerb geht 2010 in die zweite Runde. Bereits im Sommer 2009 drehten Tausende von SchülerInnen insgesamt über 350 Videos und luden diese auf YouTube hoch. Während der Wettbewerb des letzten Jahres "361 Grad Toleranz" sich noch ausschließlich an SchülerInnen wandte, werden dieses Mal zusätzlich auch Auszubildende und StudentInnen angesprochen. Erneut starten die Initiativen "Laut gegen Nazis", die Amadeu Antonio Stiftung und Youtube den Wettbewerb gemeinsam.

Stefan Tweraser, Country Director Deutschland der YouTube-Muttergesellschaft Google erklärte, er hoffe, auch diesmal ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung setzen zu können. Ziel der Aktion "361 Grad Respekt" ist es, Jugendliche für die Themen Ausgrenzung, Rassismus, Homophobie und insbesondere Cyber-Mobbing zu sensibilisieren und sie zu mobilisieren, sich aktiv damit auseinander zu setzen.

Von links nach rechts: Hartmut Herrmann (Geschäftsführer von callmobile.de), Smudo (Fanta4), Michi Beck (Fanta4), Don Cali (Culcha Candela), DJ Chino (Culcha Candela), Kristina Schröder, Jörn Menge (Gründer und Kampagnenleiter "Laut gegen Nazis"), Itchyban (Culcha Candela) und Stefan Tweraser (Country Director Google Deutschland)
© Britta Meyer, AVIVA-Berlin.


Mobbing im Netz

"20 Prozent aller SchülerInnen geben an, selbst schon Erfahrungen mit Online-Mobbing gemacht zu haben", so Ministerin Schröder, die als Schirmherrin ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesend war. Sie nannte unter den Dingen, die eine Gesellschaft zusammenhalten unter anderem "Patriotismus", vor allem aber, wie sie betonte, "Respekt". Von AVIVA-Berlin wurde Frau Schröder gefragt, wie sie zur Kritik an ihrem Extremismus-Bekämpfungsprogramm stehe, denn dieses werfe unterschiedliche Phänomene in einen Topf, deren Bekämpfung unterschiedliche Methoden benötigten. Diese Kritik wies sie schlicht als "Quatsch" zurück.

Jeder Extremismus sei zu verurteilen, dem Links- und Rechtsextremismus, sowie dem Islamismus lägen unterschiedliche Konzepte zugrunde, die auch mit unterschiedlichen Methoden angegangen werden müssten. Auf die Nachfrage, welche Art der genannten Extremismen sie denn am bedrohlichsten einstufe, bezeichnete sie die Vergleiche zwischen diesen als "uralte Debatte" und den Versuch, das Thema Linksextremismus auf einer Veranstaltung gegen Rechtsextremismus anzuschneiden, als "albern".

Schröder hatte neben den bestehenden Programmen gegen Rechtsextremismus erstmals Bundesprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus gestartet. "Die Konsequenzen der fatalen Gleichsetzungslogik von Rechts- und Linksextremismus bekommen die Initiativen und Bündnisse vor Ort zu spüren, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus oder andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit organisieren", kritisieren Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Nicht selten würden diese "als linksextrem eingeordnet und damit automatisch als Verfassungsfeinde gebrandmarkt". Mehrere Initiativen haben bestätigt, dass mit Schröders Schwenk Verunsicherungen in der Arbeit gegen Rechts auftreten. Der Extremismusdiskurs, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin, "führt zur Kriminalisierung des zivilgesellschaftlichen Engagements". Manche Projekte würden inzwischen schon vermeiden, ihr Engagement als "antifaschistisch" zu bezeichnen, um nicht unter Linksextremismusverdacht zu geraten.

Starke virtuelle Präsenz von Rechts

Die Amadeu Antonio Stiftung beteiligt sich an der Kampagne mit der Internetplattform der stern-Aktion "Mut gegen rechte Gewalt". Auf der Plattform werden die Aktion und die eingesandten Videos laufend dokumentiert. Die Plattform MUT gegen rechte Gewalt.de berichtet seit 2003 über erfolgreiche Initiativen und Gegenstrategien gegen Neonazis, Rassismus und Antisemitismus.

"Gerade erst gestern hat jugendschutz.net seine Zählung bekannt gegeben. Es gibt mehr als 1.870 Auftritte von Neonazis im Internet", so Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. "Die Präsenz von Neonazis im Netz hat sich stark erhöht. Wir brauchen eine demokratische Zivilgesellschaft im Internet, die darauf reagiert", so Kahane weiter. "Die sozialen Netzwerke müssen sich bewusst werden, dass Neonazis ihre Passivität gezielt nutzen. Sie müssen auch erkennen, wie wichtig es für die UserInnen ist, dass sich Unternehmen wie die YouTube-Muttergesellschaft Google aktiv positionieren."

Auf die Frage, welche Maßnahmen YouTube gegen den Missbrauch der Internet-Plattform als Forum für rechte Meinungsmache unternehme, erwiderte Henning Dorstewitz: "Ein vielköpfiges Team arbeitet bei uns daran, rassistische, antisemitische und sonstige menschenverachtende Beiträge zu entfernen, sobald diese von UserInnen gemeldet werden." Eine solche Entfernung findet Dorstewitz zufolge im Durchschnitt innerhalb einer Stunde statt.
Hier scheint sich seit Anfang 2010 schließlich etwas zu tun, wenn auch erst als Reaktion auf juristischen Druck. Noch im Februar dieses Jahres hatte nämlich ein Gericht in Italien drei Google-Top-Manager aus den USA zu Bewährungsstrafen von sechs Monaten verurteilt, weil das Unternehmen die Verbreitung eines menschenverachtenden Videos nicht verhindert hatte. Im Jahr 2006 war zwei Monate lang war ein Clip auf YouTube abzurufen, auf dem zu sehen war, wie ein behinderter Junge aus Turin misshandelt wird. Schulrowdys schlugen auf den autistischen Mitschüler ein und beschimpften ihn. Vivi Down, eine Hilfsorganisation für Menschen mit Down-Syndrom war es, die die Klage einreichte. Google hatte im Juni 2009 dazu erklärt, man halte es für "vollkommen verkehrt", dass das Verfahren überhaupt stattfinde: "Das ist, als ob man Angestellte eines Postdienstleisters belangen will, weil mit der Post auch Hassbriefe geschickt werden." YouTube sei eine neutrale Plattform. Diese für die dort eingestellten Inhalte verantwortlich machen zu wollen, wäre somit ein "direkter Angriff auf ein freies, offenes Internet".

Die Freiheit des Internets hört da auf, wo Persönlichkeitsrechte anfangen

Ein angemeldeter YouTube-Nutzer hatte Anfang 2007 ein Video hochgeladen, auf dem zu sehen war, wie ein Foto des verstorbenen, ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, vor dem Hintergrund eines Hakenkreuzes verbrannt wird.
Im Juli 2007 entdeckte eine Mitarbeiterin des Zentralrats der Juden in Deutschland das Video und nutzte die vom Portal bereitgestellte Flagging-Funktion, um es als anstößig zu melden. Der zuständige YouTube-Mitarbeiter in den USA sah allerdings keinen Grund, das Video zu sperren und kennzeichnete den Vorgang als erledigt. Als das Video Mitte Februar 2008 immer noch zugänglich war, wurde es erneut per Flagging gemeldet. Gisèle Spiegel, die Witwe von Paul Spiegel, mahnte Google/Youtube USA wegen der Verbreitung des Videos ab und forderte die Abgabe einer Unterlassungserklärung, was Google/Youtube aber ablehnte. Frau Spiegel ging daher in Hamburg vor Gericht und erwirkte dort eine einstweilige Verfügung gegen den Konzern.

Anfang März 2010 entschied das Landgericht Hamburg, dass die Betreiber von YouTube als Störer haften, wenn ein die Persönlichkeitsrechte verletzendes Video trotz Anzeige über das eigene Flagging-System nicht sofort entfernt wird.

Unter dem folgenden Link finden aufmerksame UserInnen eine Anleitung, um menschenverachtende Inhalte bei YouTube zu melden: http://help.youtube.com

Weitere Informationen finden Sie unter:
361 Grad Respekt - der YouTube Jugendwettbewerb gegen Ausgrenzung
www.hass-im-netz.de
Die Initiative für mehr Sicherheit im Netz - klicksafe.de
Schröders extremer Ansatz (TAZ)
Google-Manager haften für Prügel-Clip auf Videoseite (SPIEGEL-online)
Urteil: Google haftet als Störer für Youtube-Video (Golem)
Das Urteil des Landgerichts Hamburg (Telemedicus)
Vivi Down (Seite auf italienisch)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

361 Grad Toleranz - Der YouTube-SchülerInnenwettbewerb gegen Ausgrenzung (2009)
Zentralrat der Juden bereitet Klage gegen Google und YouTube vor (2008)
Mit Antisemitismus und Antiamerikanismus in die Charts (2007)







(Quellen: taz, DER SPIEGEL, Golem.de)


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Beitrag vom 26.08.2010

Britta Meyer