AVIVA-Berlin >
Public Affairs > Diskriminierung
AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 -
Beitrag vom 07.02.2010
Schockierende Reaktionen auf geplante Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer
Claire Horst
Bereits im Mai 2009 hat die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg die Umbenennung der Straße beschlossen. Am 27. Februar 2010 soll der Beschluss umgesetzt werden. Denn...
... der Name der Straße geht auf Otto Friedrich von der Groeben zurück, einen deutschen Kolonialisten, der für den Tod zehntausender Menschen in Ghana mitverantwortlich ist. Der 1728 gestorbene Gröben etablierte die brandenburgisch-preußische Festung "Groß-Friedrichsburg" im heutigen Ghana. Sie diente später als Basis für den europäischen Sklavenhandel.
Bis heute gibt es keine nennenswerte öffentliche Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte und kaum ein Bewusstsein dafür, dass es eine solche überhaupt gegeben hat. In Berlin ist das Gröbenufer daher auch nicht die einzige Straße, die an die koloniale Vergangenheit Deutschlands bzw. Preußens erinnert: Etwa das afrikanische Viertel in Wedding, die Mohrenstraße in Mitte und zahlreiche weitere Straßennamen zeigen, dass ein Umdenken noch nicht eingesetzt hat. Ebenso wie immer noch Straßennamen an Nationalsozialisten erinnern, sind auch Kolonialisten weiterhin im Stadtbild vertreten.
Dabei gibt es durchaus eine rechtliche Grundlage für die Forderung nach der Umbenennung: Laut Paragraph 5 des Berliner Straßengesetzes können Namen dann ersetzt werden, wenn "diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde."
Dass May Ayim anstelle des Kolonialisten Groeben einer Straße ihren Namen geben soll, ist in diesem Zusammenhang mehr als gerechtfertigt. Die 1960 geborene Lyrikerin und Pädagogin gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Schwarzer Deutscher und gab 1986 das Buch "Farbe bekennen" über die Geschichte afrodeutscher Frauen mit heraus. Darin enthalten war ihre Diplomarbeit zum Thema Rassismus. Die Arbeit war mit der Begründung abgelehnt worden, in Deutschland gebe es keinen Rassismus, höchstens Fremdenfeindlichkeit. Später arbeitete Ayim als Logopädin und Lehrbeauftragte und war in der internationalen schwarzen Frauenbewegung engagiert. May Ayim nahm sich 1996 das Leben. Ein Grund für ihre Depressionen war neben ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose die alltägliche Erfahrung von Rassismus.
Nach langjährigen Bemühungen von antirassistischen Gruppen hatten SPD, Grüne und Linke in der Bezirksverordnetenversammlung im Mai 2009 die Umbenennung beschlossen. Pünktlich zur offiziellen Umbenennung melden sich nun Stimmen, die May Ayim persönlich diffamieren und die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus herunterspielen. Wenn etwa der renommierte Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung vom 2. Februar behauptet, die "deutsch-afrikanische" Schriftstellerin (die in Deutschland geboren und aufgewachsen war) habe "wenig überzeugend" gedichtet und "einiges Beachtenswertes über Rassismus" geschrieben, ist das allein schon unerträglich herablassend. Groeben dagegen wird bei Aly zu einem "Söldner, Abenteurer und Forschungsreisenden", der eben mal "Afrika bereiste" und dabei so nebenher "zum Mitbegründer der 1683 errichteten brandenburgischen Minikolonie Großfriedrichsburg" wurde. Eine Minikolonie also, warum dann die ganze Aufregung? Und dass Groeben sich für das "friedliche Zusammenleben von Polen und Deutschen" einsetzte, soll zusätzlich zu seiner Verteidigung dienen - so schlimm kann er ja dann nicht gewesen sein.
Dass Götz Aly gegen die Umwertung der Geschichte eintritt und dafür plädiert, auch die negativen Spuren im Stadtbild zu belassen, sei ihm erlaubt. Vielleicht lässt sich ja tatsächlich darüber streiten, ob eine Adolf-Hitler-Straße das Bewusstsein für historische Ereignisse wach halten würde. Dass er aber aus diesem Grund historische Fakten umdeutet und den Kolonialismus klein redet, ist ihm nicht zu verzeihen.
Leider ist Aly nicht der Einzige. Auch in der Faz vom 8. Januar 2010 findet sich ein Artikel, der in der Umbenennung nichts weiter finden kann als "ein Stück linkes Biedermeier", passend zum Kreuzberger Biotop aus "Frauenbuchläden und Selbsthilfegruppen". Widerwärtig ist die Gelassenheit, mit der der gesamte Artikel darüber hinweggeht, um wen es sich bei Groeben überhaupt handelt. Ein paar Verrückte kämpften da für einen Straßennamen, das alles sei nur parteipolitisches Geklüngel, und weder die minderwertige Autorin Ayim noch der gar nicht so schlimme Groeben seien die Aufregung wert.
Wie hier von Mehrheitsdeutschen über die mehrheitsdeutsche Vergangenheit gesprochen wird, ist erschreckend. Anscheinend wird schon eine derart winzige Veränderung wie die Umbenennung einer 100 Meter langen Straße, in der höchstens zehn Häuser stehen, als bedrohlich empfunden. Warum diese Aggression gegenüber einer politisch engagierten Dichterin, warum der Hass auf antirassistische Kämpfe? Zu hoffen bleibt, dass Aktionen wie die Umbenennung zu einem langsamen Umdenken führen werden.
Auf der Seite www.m-strasse.de findet sich ein Dossier zu den Berliner Straßennamen mit kolonialistischer oder nationalsozialistischer Herkunft.
Weitere Infos unter:
Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland
blog.derbraunemob.info (mit Kommentarmöglichkeit)