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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 31.08.2005


E-Interview mit Ina Lenke - Wen Frauen warum wählen sollten...
Ilka Fleischer

Anlässlich der vorgezogenen Neuwahlen befragten wir auch die MdB, Familien-, frauen- und zivildienstpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen





Ilka Fleischer: Der DEUTSCHE FRAUENRAT fordert anlässlich der Neuwahlen, dass für Frauenpolitik eigenständige Strukturen erhalten bleiben und Frauenpolitik nicht unter Familienpolitik subsummiert wird. Frauen nur noch in ihrer Familienrolle zu sehen, sei diskriminierend und nicht zeitgemäß. Welche frauen- und gleichstellungspolitischen Aspekte wurden in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht vernachlässigt?
INA LENKE: Die vollständige, gleichberechtigte und existenzsichernde Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt. Viele Frauen verdienen im gleichen Job weniger als Männer, Tarifstrukturen benachteiligen häufig die bislang typischen Frauenberufe. Außerdem werden Frauen häufig mit Teilzeit gleichgesetzt, Männer mit Vollzeit.. In Folge von kürzeren Arbeitszeiten und niedrigerem Einkommen sind die Erwerbsarbeit und das spätere Rentenniveau für Frauen nicht existenzsichernd. Hier muss Politik Fehlentwicklungen korrigieren. Das Teilzeitgesetz in seiner jetzigen Form zum Beispiel hat sich als Einstellungshemmnis für Frauen erwiesen. Der Mutterschutz, früher zu gleichen Teilen von Arbeitgeber und Krankenkasse getragen, ist für die Arbeitgeber immer teurer geworden, während der Krankenkassenanteil gleich blieb. Frauen im gebärfähigen Alter als Arbeitnehmerinnen gelten deshalb vielen Arbeitgebern als ein finanzielles Risiko. Im Steuerrecht empfinden viele verheiratete Frauen durch die Steuerklasse 5, dass ihnen ein erheblicher Anteil vom Einkommen fehlt. Die hohen Abzüge in dieser Steuerklasse sind oftmals der Grund, warum Frauen zögern, generell oder nach der Familienphase wieder eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Unser Steuerrecht entstammt aus einer Zeit, in der die Frau selbstverständlich als Hausfrau zuhause blieb und später bestenfalls dazuverdiente. Mit der heutigen Lebenswirklichkeit hat es nichts mehr zu tun. Dies sind nur drei Beispiele für gut gemeinte Schutzgesetze, die sich zum Nachteil für Frauen auf dem Arbeitsmarkt erwiesen haben.

Ilka Fleischer: Frausein allein ist kein Programm, heißt es. Laut einer Forsa-Umfrage wollen jedoch 5 Prozent der Wählerinnen wegen der Kandidatur einer Frau CDU wählen. Nach einer Untersuchung der Forschungsgruppe Wahlen liegt "Schröder" dennoch bei den Frauen vorn. Worin hebt sich die Frauen- und Gleichstellungspolitik Ihrer Partei inhaltlich von der anderer Parteien am meisten ab? Welche frauen- und gleichstellungspolitischen Vorhaben stehen auf Ihrer Top-3 Liste ganz oben?
INA LENKE: Wir machen Frauenpolitik im Bewusstsein, dass Frauen mehrheitlich besser qualifiziert sind als jemals zuvor und dass sie besondere Perspektiven, Wissen und Erfahrungen mitbringen, auf die die Gesellschaft nicht verzichten sollte. Die wirkungsvollste Triebfeder für ein Engagement zur Frauenförderung ist aus Sicht der FDP, Gleichstellung als Erfolgsfaktor zu erkennen. Dies gilt ganz besonders für die Arbeitswelt. Wir treiben die berufliche Gleichstellung von Frauen voran angesichts eines sich ständig vergrößernden Wettbewerbs um die besten Fachkräfte in einer alternden Bevölkerung und aus der Erkenntnis heraus, dass es für die eigene Organisation ein Verlust ist, wenn weibliche Potentiale sich aufgrund von Diskriminierungen nicht optimal entfalten. Wichtige Vorhaben sind: Im Steuerrecht will die FDP die Steuerklasse 5 abschaffen. Sie ist ein psychologisches Hemmnis zur Arbeitsaufnahme von Frauen. Durch ein qualitativ und quantitativ verbessertes Kinderbetreuungsangebot wollen wir Frauen und Männern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Aufwendungen für die Beschäftigung einer Kinderfrau, Haushaltshilfe, Pflegekraft etc. im Privathaushalt, im Rahmen eines geringfügigen oder voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses, können nach dem Gesetzentwurf der FDP im Kalenderjahr bis zur Höhe von 12.000 Euro vom Gesamtbetrag der zu versteuernden Einkünfte abgezogen werden.

Ilka Fleischer: Welche frauen- und gleichstellungspolitischen Risiken oder Rückschritte erwarten uns, wenn Ihre Partei in der kommenden Legislaturperiode nicht (mit)regieren würde?
INA LENKE: Für CDU und CSU ist Frauenpolitik ein Kapitel der Familienpolitik. Die Interessen von Frauen und Familien werden gleichgesetzt. Spezifische weibliche Interessen, die nichts mit Familie zu tun haben, kennen die Konservativen nicht. SPD und Grüne beweisen in ihrer Staatsgläubigkeit immer wieder, dass sie daran glauben, mit immer mehr Gesetzen ließen sich alle Probleme lösen. Das von Rot-Grün immer wieder angedrohte Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und das jüngst verabschiedete Anti-Diskriminierungsgesetz sind gute Beispiele für schlechte Politik. Denn immer wieder erweisen sich Schutzgesetze als Bumerang, wie oben am Beispiel von Teilzeit und Mutterschutz erläutert. Liberale Frauen- und Gleichstellungspolitik kennt kein Rollendenken, sondern steht für Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Deshalb brauchen wir mehr FDP.

Ilka Fleischer: Mit 68,5% lag die Wahlbeteiligung der 21- bis 24-jährigen Frauen knapp 11% unter der allgemeinen Wahlbeteiligung, und die Wahlbeteiligung der Frauen ab 70 lag deutschlandweit 9,2 Prozentpunkte unter jener gleichaltriger Männer. Was plant Ihre Partei für Frauen dieser Altersgruppen? Warum könnte sich der Gang zur Urne dieses Mal für "Jung und Alt" lohnen?
INA LENKE: Durch den demographischen Wandel stehen wir vor der größten sozialen Herausforderung, die es je in Deutschland gab. Die gesetzliche Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und das Gesundheitssystem stehen vor dem Kollaps. Vor allem die junge Generation zahlt tagtäglich ihre Beiträge in Fässer ohne Boden ein. Wir brauchen eine schnellstmögliche Umstellung der sozialen Sicherungssysteme auf Kapitaldeckung. Angesichts von immer mehr älteren Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern bei gleichzeitig immer weniger Beitragszahlern steht das Umlageverfahren vor dem Aus. Den Bürgerinnen und Bürgern muss mehr Netto vom Brutto bleiben, um gezielt in die eigene Vorsorge investieren zu können. Gerade junge Frauen will die FDP vom Druck der "Rush-Hour" (berufliche Etablierung, Kinder bekommen und groß ziehen, Karriere, finanzielle Absicherung im kurzen Zeitraum zwischen 20 und 40) entlasten. Mit flexiblen Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Arbeitszeitmodellen wollen wir mehrfache Wechsel zwischen Bildungs-, Berufs- und Familienphasen ermöglichen, um die immer länger werdenden Lebens- und Arbeitszeit sinnvoll zu nutzen. Auch die ältere Generation kann sich längst keines unbeschwerten Lebensabends mehr sicher sein. Eine überbordende Bürokratie frisst große Teile der Beiträge zur Pflegeversicherung auf. Das Leistungsniveau der Pflegeversicherung ist real seit 1995 um 12% gesunken. Spätestens 2008 sind die finanziellen Reserven der Pflegekasse aufgebraucht. Die Beiträge werden dann deutlich erhöht oder das Leistungsniveau wird abgesenkt. Beide Volksparteien haben keine befriedigende Antwort auf den drohenden Kollaps. Die FDP will mit einem gleitenden Übergang in eine private, kapitalgedeckte Pflegeversicherung die Einnahmesituation der Pflegekassen langfristig sichern. Nur so kann sichergestellt werden, dass nicht eines Tages durch höhere Beiträge die Enkelkinder der Pflegebedürftigen noch stärker in die Pflicht genommen werden müssen. Eine Bestrafung Kinderloser durch höhere Beiträge wie bei Rot-Grün lehnen wir ab.

Ilka Fleischer: Vielen Dank, Frau Lenke!



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Beitrag vom 31.08.2005

AVIVA-Redaktion