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Beitrag vom 19.09.2003
Wie Gender in die Technik kommt...
Ilka Fleischer
Mehr als die Hälfte der deutschen Frauen hat Probleme mit dem Tempo der technologischen Entwicklung - sagt TNS EMNID. Wenn Frauen die Technik erfunden hätten, wäre sie anders - meint Dr. Leena Suhl
Die jüngsten Untersuchungsergebnisse von TNS Emnid dürften wieder den ein oder anderen überstrapazierten "Frauen-und-Technik-Witz" heraufbeschwören: Im Auftrag des populären Wissenschaftsmagazins P.M. hat das Meinungsforschungsinstitut jüngst 1000 Männer und Frauen nach ihren Einschätzungen zur Technik-Entwicklung befragt. Dabei gaben 53 Prozent der deutschen Frauen und 31 Prozent der Männer an, die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung bereite ihnen Angst.
Dennoch meinten 57 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer, die Technik sei der Natur heute in vielen Bereichen überlegen und 52 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer sehen in der Kommunikationstechnologie mit Handys, Computern und Internet sogar einen "Segen für die Menschheit".
Zwar zeigen die Daten interessante Ambivalenzen, aber die Schlagzeile steht: Frauen und Technik...
"Wenn Frauen die Technik erfunden hätten, wäre sie anders", meint Dr. Leena Suhl, die einen Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Universität Paderborn innehat. Kürzlich organisierte die Informatikerin einen Workshop zum Thema "Keine Angst vor der Technik" - für beide Geschlechter.
Laut universitäts-eigener Website (www.upb.de) gehe es ihr nicht darum, die Männer zu diskriminieren. Dennoch wolle sie Frauen ermutigen, sich in der vermeintlichen "Männer-Domäne" zu engagieren. Die 49-Jährige ärgere sich oft darüber, dass technologische Produkte nicht anwendungsorientiert oder zu kompliziert sind und häufig nicht richtig funktionieren.
Nach ihrer Auffassung werden "viele tolle Geräte erfunden, die keiner braucht". Die Technik-Zurückhaltung der meisten Frauen hänge denn auch sehr stark mit diesem mangelnden Nutzwert zusammen. Durch die ungenügende Berücksichtigung "frauentypischer Anforderungen" bei der Konstruktion werde viel wertvolle Zeit mit dem Beherrschen von Technik sinnlos vergeudet. Dabei lässt Dr. Leena Suhl ihren Geschlechtsgenossinnen nicht die oft so bequeme Opfer-Rolle:
"Wenn sich Frauen nicht an der Planung beteiligen, bekommen sie auch nicht, was sie sich wünschen".
Dass ihre Thesen nicht unbegründet sind, zeigte sich bei der Auszeichnung der 27-jährigen Helen Freimark mit dem KTW-Software-Award für ihre Diplomarbeit zur "Geovisualisierung im Rahmen eines Warnsystems für Vulkane". Auf die Frage nach ihrem späten Einstieg in die Computer-Welt antwortete sie:
"In der Schule bestand das Programmieren zum größten Teil daraus, Texte einzutippen, bei denen nichts Interessantes herauskam. Heute kann ich sagen, dass das damals einfach zu trocken war, es fehlte der Anwendungsbezug. Damals stellte ich mir unter der Arbeit mit dem Computer vor, dass man irgendwo im dunklen Zimmer vor sich hin bastelt. Und das hat mich bis ins Studium hinein nicht gereizt."
Und Dr. Leena Suhl pointiert das Verhältnis von "Frauen und Technik" und "Männern und Technik" mit den folgenden Worten:
"Eigentlich nutzen Frauen die Technik sehr gerne, aber es muss einen Nutzen haben, während Männer in erster Linie von technischen Spielereien fasziniert sind."
Fragt sich also, ob die vielen gleichstellungs-politischen Ansätze - von "Frauen in Männer-Berufe" in den 70ern bis "Keine Angst vor Computern" im dritten Jahrtausend - fruchten können, solange Frauen ungenügend an der aktiven Gestaltung von "Technik" beteiligt sind. Oder solange Männer nicht gelernt haben, weniger auf den Spaßfaktor als auf den Nutzwert zu achten. Oder solange nicht beide beides gelernt haben.
Oder wie war noch mal die Sache mit dem Huhn und dem Ei...