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Beitrag vom 22.11.2003
Lieve Joris: Der Tanz des Leoparden. Mein afrikanisches Tagebuch.
Ilka Fleischer
Politisch fragwürdig und dennoch fesselnd: Der jüngste Reisebericht der belgischen Autorin über die Umbruchsituation in der Demokratischen Republik Kongo nach der Machtübernahme durch die AFDL...
Allein seit 1998 hat der Krieg im Kongo über drei Millionen Tote gefordert. Am 17.05.97 hatte die Rebellenbewegung AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo / Zaire) unter der Führung des späteren Staatspräsidenten der Demokratischen Republik Kongo Laurent Désiré Kabila die Hauptstadt Kinshasa eingenommen. Nachdem das ehemalige Staatsoberhaupt Mobutu, der "Leopard", kurze Zeit später im marokkanischen Exil gestorben war, wurde sein Kontrahent Kabila, der "Löwe", im Januar 2001 bei einem Attentat getötet. Sein Sohn Joseph Kabila trat die Nachfolge an und schürte weltweit Hoffnungen auf eine absehbare Pazifizierung der zahlreichen Konflikte im - und um den - Kongo.
Doch trotz des Generationenwechsels und der Unterzeichnung des "Accord Global et Inclusif" durch Kriegsparteien, politische Opposition und Zivilgesellschaft im Dezember 2002 und ungeachtet der Einführung eines neuen Grundgesetzes, das für 2005 allgemeine Wahlen vorsieht, findet die kongolesische Bevölkerung als Spielball unterschiedlichster nationaler und internationaler Machtinteressen keine Ruhe. Genozide und kriegerische Auseinandersetzungen gehören im "Herzen Afrikas" fast schon zum Alltag. Und dennoch: Sisyphos lebt.
Ein Freund der Reiseberichterstatterin Lieve Joris charakterisiert seine Landsleute im Zustand der kurzen Waffenruhen denn auch folgendermaßen: "So sind wir Kongolesen. [...] Kaum haben wir wieder zu essen und zu trinken, vergessen wir´s." Ein besonderer Verdienst ihres afrikanischen Tagebuches "Der Tanz des Leoparden" liegt darin, gerade diese Haltung ohne schrägen Exotismus nachvollziehbar zu machen. So beschreibt die Autorin z.B. die geradezu panische Sorge um den Verlust ihres Gepäcks eindringlich und selbstkritisch in Anbetracht des allgemeinen gewöhnlichen Ausnahmezustandes. Zum Überleben der konkreten existenziellen Bedrohung gehört die Ausblendung und die Kultivierung der Alltags-Sorgen: Ein toter Junge mit Schulranzen auf dem Gehsteig lässt sie unberührt. Bei dem Gedanken an den Verlust ihrer parfümierten Seife verzweifelt sie.
Nach ihrem ersten Reisebericht aus dem Kongo "Das schwarze Herz Afrikas" - 11 Jahre zuvor - konzentriert sich die Belgierin in ihrer zweiten Erzählung vor allem auf die unterschiedlichen Reaktionen der KongolesInnen auf die politischen Entwicklungen kurz nach der Machtübernahme durch Laurent Désiré Kabila. Von der Fähnlein-im-Winde-Haltung bis zum rigiden Konservatismus, von der Flucht in den religiösen Wahn bis zur intellektuell distanzierten Reflexion - ihre Skizzen individueller Verarbeitungswege zeichnen die vielschichtige Stimmung der Bevölkerung. In zahlreichen Begegnungen mit KongolesInnen unterschiedlicher Kulturkreise gelingt es Lieve Joris dem privaten Alltag auf der Bühne des permanenten politischen Schlagabtausches in seinem Facettenreichtum nachzuspüren, ohne auf schlichte Täter-Opfer-Zuschreibungen zurückzugreifen.
Weitgehend unberücksichtigt bleibt jedoch die Kolonial-Geschichte , was insbesondere vor dem Hintergrund des belgischen Kolonialismus zu Zeiten Leopold II. erstaunen muss: "Das Chaos und die totale Abwesenheit von Entwicklung hat natürlich etwas mit der Vergangenheit zu tun. Das Land ist schließlich über mehrere Jahrhunderte ausgebeutet worden", gibt z.B. die Kongo-Spezialistin Colette Braeckman zu bedenken. Unter Leopold II. seien die KongolesInnen mit einem ausgeklügelten Bestrafungssystem und perfiden ethnischen Hierarchien gegeneinander aufgewiegelt worden. Gerade das erweise sich heute als besonders schwere Hypothek.
Neben dem historischen Rückblick mangelt es in Lieve Joris Reisebericht auch an der Beleuchtung gegenwärtiger ausländischer Profit-Interessen, die zum Fortbestand der Unruhen und Völkerkriege in der DR Kongo beitragen - wie sie z.B. Joseph M. Kyalangilwa, Präsident der Zivilgesellschaft der Provinz Süd-Kivu in seinem Beitrag "Die Umsetzung des Friedensabkommens ist im Gange" erläutert.
Doch nichtsdestotrotz erweitert "Der Tanz des Leoparden" den Horizont und brilliert durch einfühlsame Schilderungen individueller Schicksale und politischer Haltungen. Wer nicht analytischen Tiefgang oder historische Spurensuche erwartet, wird Lieve Joris Reise-Impressionen zu schätzen wissen.
Der Tanz des Leoparden. Mein afrikanisches Tagebuch.
von Lieve Joris
Sondereinband - 416 Seiten - Malik
Erscheinungsdatum: Oktober 2003
ISBN: 3890292356
Preis: EUR 23,90200902950875" .rn