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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 08.09.2011


Claudia Breitsprecher - Auszeit
Gertrud Lehnert

Wie kann man leben, wie will man leben, wenn man verlassen wurde, vollkommen überarbeitet ist und am Sinn der eigenen Arbeit zweifelt? Martina Wernicke nimmt sich eine Auszeit. Nicht ...




... freiwillig, nein: Die grüne Bundestagsabgeordnete ist Monate zuvor Opfer eines Attentats geworden.

Sie hat Klinik und Reha überstanden und will nun, bevor sie wieder in den Alltag einsteigt, ernsthaft überlegen, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Denn fast ebenso traumatisch wie das Attentat ist, dass ihre Geliebte Eleni sich von ihr getrennt hat. Eleni wollte nicht länger mehr damit leben, dass Martina vor lauter Arbeit keinen Raum mehr hatte für die Beziehung, für Gemeinsamkeit, Zärtlichkeit und Sexualität.

Mehrere Schocks also, fast zeitgleich, die Martinas Leben von Grund auf erschüttert haben. Wäre sie nicht dem Attentat zum Opfer gefallen, wäre sie vermutlich aufgrund eines Burnouts zusammengebrochen – darauf verweist auch das Motto des Romans aus "Brief an mein Leben" von Miriam Meckel. Wie kann man leben, wie will man leben, wenn man jeden Moment Angst hat, dass hinter der nächsten Ecke wieder jemand mit einem Messer lauert?

Martina zieht sich allein in das Haus ihrer Kollegin und besten Freundin Frauke auf dem Land zurück. Sie will im Garten sitzen, Blumen gießen und pflanzen, Tagebuch schreiben und ihre Angst in den Griff bekommen. Dies ist nicht so leicht, denn auch auf dem Land lauern Gefahren. Die Idylle trügt, wenigstens zuweilen – und das reizende, hilfsbereite junge Ehepaar im Nachbarhaus scheint plötzlich auch nicht mehr das zu sein, was es anfangs war.

Claudia Breitsprecher zieht ihre Leserinnen mit Leichtigkeit in die Geschichte hinein. Martinas Wahrnehmungen und Gefühle werden glänzend mit äußeren Ereignissen verwoben. Die Dialoge mit anderen klingen so echt wie Martinas Selbstgespräche und Gedanken. Die Beschreibungen der Landschaft, des Gartens, des täglichen Lebens sind anschaulich – man sieht die Menschen vor sich. Die Konflikte, nicht nur die Martinas, sind hochaktuell und gehen in der einen oder anderen Variante viele Leserinnen an. Martina ist eine sympathische Heldin, gerade weil sie Ecken und Kanten hat. Ihre Not, ihre Sehnsucht, ihre Zweifel, aber zuweilen ihre Ambivalenz sind vollkommen nachvollziehbar und machen sie lebendig. Manchmal ist sie mit ihrem Urteil zu rasch bei der Hand, doch jetzt hat sie die Chance zu lernen, wieder genauer hinzuhören und hinzusehen. So kann sie schließlich auch begreifen, warum Eleni gegangen ist: Martina hatte ihr nicht mehr zuhören können, weil sie immer ausschließlicher mit ihrer Arbeit beschäftigt war.

Auf überraschende Weise lernt Martina schließlich, wieder ins aktive Leben zurückzukehren. Sie entdeckt ihre Fähigkeit neu, buchstäblich für das zu kämpfen, was ihr wirklich wichtig ist – und das ist nicht nur die Liebe, sondern das sind auch grundlegende ethische Werte wie Loyalität und Gerechtigkeit.

Es passiert viel in diesem Roman, innerlich und äußerlich. Nur so viel sei noch verraten: Es gibt ein Happy End. Aber glücklicherweise eines, das viele Fragen und viele Möglichkeiten offen lässt.

AVIVA-Tipp: Es ist ein Vergnügen, den Roman zu lesen, denn bei aller Ernsthaftigkeit der Themen ist er im besten Sinne unterhaltsam, wofür nicht zuletzt Claudia Breitsprechers Fähigkeit zur ironischen Lakonie sorgt. Fazit: Unbedingt lesen.

Zur Autorin: Claudia Breitsprecher ist 1964 in Westfalen geboren und in Berlin aufgewachsen, wo sie auch heute mit ihrer Frau lebt. Sie studierte Soziologie, Psychologie und Politik an der Freien Universität und arbeitete nach dem Abschluss als Diplom-Soziologin im Bildungs- und Sozialbereich. Als freiberufliche Autorin schreibt sie sowohl literarische als auch sachbezogene Texte. 2007 war sie Preisträgerin des 6. Autorinnenforums Berlin-Rheinsberg. Im Verlag Krug & Schadenberg sind bereits erschienen: der Ost-West-Roman "Vor dem Morgen liegt die Nacht" (2005), "Bringen Sie doch Ihre Freundin mit!" – Gespräche mit lesbischen Lehrerinnen (2007) sowie die Erzählung "Ende der Schonfrist" in der Anthologie "Fein & gemein – Rachegeschichten" (2008).

Claudia Breitsprecher
Auszeit

Berlin 2011
Verlag Krug & Schadenberg
Gebunden, 224 Seiten
ISBN: 978-3-930041-79-4
19,90,- Euro
www.krugschadenberg.de

Weitere Informationen finden Sie unter: www.claudiabreitsprecher.de

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Vor dem Morgen liegt die Nacht - Claudia Breitsprecher

fein und gemein. Rachegeschichten. Hrsg. von Andrea Krug und Dagmar Schadenberg


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Beitrag vom 08.09.2011

AVIVA-Redaktion