Teffy - Champagner aus Teetassen. Meine letzten Tage in Russland - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 18.08.2014


Teffy - Champagner aus Teetassen. Meine letzten Tage in Russland
Daniélle Aderhold

Nur ein paar Wochen soll die Flucht aus dem revolutionären Moskau dauern. Noch ist nicht abzusehen, welch unfreiwillige Irrfahrt sich daraus ergeben und dass der Abschied endgültig sein wird.




Eine Welt im Wandel

Moskau im Herbst 1918. Die Zeit des Zaren ist vorbei und damit eine gesamte Epoche. Die Zukunft der Menschen ist ungewiss. Im Wirbel gesellschaftlicher Unsicherheiten findet sich auch die berühmte russische Satirikerin und Schriftstellerin Nadeshda Lochwizkaja alias Teffy wieder. Schon 1928 veröffentlichte sie ihren Reise- oder vielmehr Fluchtbericht, in dem sie rückblickend ihre bewegten letzten Tage und Wochen in Russland schilderte, als Feuilletonserie. Drei Jahre später wurde er als Buch publiziert. Dieses veröffentlicht der Aufbau Verlag im August 2014 nun in deutscher Erstausgabe.
Teffy war vor der Revolution eine der berühmtesten Satirikerinnen des Zarenreichs. In jeder Gesellschaftsschicht wurden ihre Bücher und Artikel gelesen, sogar der Zar zählte zu ihren Bewunderern. Sogar Schokoladen- und Parfum-Marken wurden nach ihr benannt. Im Verlauf der Oktoberrevolution und dem daraus resultierenden Bürgerkrieg sollte sich dies jedoch schnell ändern, denn obwohl sie selbst der progressiven Intellektuellenbewegung angehörte, floh sie aus Moskau vor den Bolschewiki – so wie viele andere KünstlerInnen auch.

Flucht in Etappen

Als 1918 die Zeitung "Russkoje slowo" (Übersetzt: "Russisches Wort"), für die Teffy Texte schreibt, verboten wird, sieht sie für sich nur noch die Möglichkeit der Flucht aus Moskau. Als angebliche Literaturreise nach Kiew getarnt, reist sie zusammen mit ihrem Kollegen und Freund Arkadi Awertschenko und einigen anderen BegleiterInnen aus Moskau ab, in dem festen Glauben, bald zurückkehren zu können. Doch schnell wird klar, dass diese Flucht eine Reise ins Ungewisse sein wird. Nur knapp durch gefahrvolle Umwege am vermeintlichen Ziel angekommen, muss sie nach wenigen Wochen erkennen, dass sie auch hier nicht bleiben kann und erneut fliehen muss. Immer weiter in den Süden reist sie nun, nach Odessa. Doch auch dies wird nur eine weitere Etappe auf ihrer langen Reise sein. Wie viele noch vor ihr liegen, ist fraglich.

Alltag im Ausnahmezustand

Das Herzstück ihres Fluchtberichts sind ohne Zweifel die Beschreibungen der unterschiedlichsten Mitmenschen, die Teffy auf ihrer Reise trifft. Diese zeichnet sie oft komisch, manchmal zynisch, aber stets ehrlich nach. Ob es nun ihr zweifelhafter Reiseleiter Guskin, die zu unverhoffter Macht gekommene Kommissarin eines kleinen Dorfes oder eine aufgeregte Dame in Odessa ist, die während der Räumung der Stadt keinen freien Friseursalon mehr finden kann. Auch sich selbst nimmt sie davon nicht aus und blickt ironisch auf sich zurück.
Die Menschen, die sie beschreibt, sind zum Teil aus der Zeit gefeierte und anerkannte SchriftstellerInnen oder aber auch vollkommen Unbekannte. Wie sie selbst im Vorwort erklärt, wählte sie die Menschen aus, die sie "originell oder amüsant fand". Durch die Beschreibung der teils tragischen, oft komischen Erfahrungen ihrer Mitmenschen gelingt es Teffy, den LeserInnen den Ernst mancher Situation vergessen zu lassen. Die Dinge, die sie beschreibt, sind zum einen Alltagssituationen unter dem Eindruck ständiger Bedrohung und möglicher neuer Flucht, aber auch wortwörtliche Grenzerfahrungen, die teilweise in das Absurde abdriften.

Abschied für immer

"Champagner aus Teetassen: Meine letzten Tage in Russland" ist vor allem die Geschichte eines Abschieds und somit trotz aller Komik auch teilweise verbittert und verzweifelt. So porträtiert Teffy mit viel Gefühl für die Fragen und Probleme ihrer Zeit. ein Bild einer Gesellschaft, die sich im extremen Wandel befindet, deren Zukunft unsicher ist und deren Menschen genauso zerrissen und entwurzelt sind wie ihre Nation. Geschichten von traumatisierten Soldaten finden sich ebenso wieder wie die von verstreuten Familien. Teffys eigenes Schicksal ist dabei exemplarisch für viele RussInnen, die durch die politischen Unruhen ihre Heimat für immer verloren haben.
Deutlich wird ihre Trauer vor allem an dem etwas zu plötzlichen Ende ihres Berichts, der allerdings noch nicht das Ende ihrer Reise darstellt. Noch gibt sie sich der vagen Hoffnung hin, im nächsten Frühling nach Petersburg zurück kehren zu können. Doch dann entlässt sie die LeserInnen abrupt aus ihren Erzählungen, ebenso wie zum gleichen Zeitpunkt ihre Heimat Russland hinter hier im schwarzen Rauch des Schiffes verschwindet, in eine ungewisse Zukunft.

AVIVA-Tipp: Teffy war eine der interessantesten und vielseitigsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit und wird heutzutage nur langsam wiederentdeckt. In ihrem erstmalig auf Deutsch erhältlichen Buch "Champagner aus Teetassen: Meine letzten Tage in Russland" zeichnet sie geschickt und kurzweilig eine der bewegtesten Zeitepochen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts und deren Menschen nach, ohne dabei den angebrachten Ernst, aber auch die nötige Komik zu vergessen.

Zur Autorin: Nadeshda Alexandrovna Lochwizkaja alias Teffy, 1872 als Tochter einer alten Adelsfamilie geboren, kam schon früh mit Poesie und Dichtung in Berührung. Ihre französisch-stämmige Mutter war Kennerin der Literatur, ihr Vater Rechtsanwalt. Auch ihre beiden Schwestern waren Schriftstellerinnen (Maria Wawara und Jelena Lochwizkaja). Nachdem sie einen polnischen Juristen geheiratet und drei Kinder mit ihm bekommen hatte, trennte sie sich 1900 von ihrer Familie und ging nach St. Petersburg, um dort zu schreiben. Sie erschuf ihr Pseudonym "Teffy" und wurde zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerin des vorrevolutionären Russlands. Sie schrieb Bücher, veröffentlichte allerdings auch etliche Artikel in satirischen Zeitungen. Mit viel Ironie und Sarkasmus blickte sie hinter die Kulissen der verschiedenen Gesellschaftsschichten.
1918 reiste sie aus Moskau unter einem Vorwand ab. Ihr gefährlicher Weg führte sie über Umwege nach Kiew, Odessa, Noworossijsk und Istanbul bis schließlich nach Paris. Dort lebte und arbeitete sie bis zu ihrem Tod 1952 weiterhin als Schriftstellerin.
Nach ihrer Flucht aus Russland und ihrer Immigration nach Frankreich sah sie ihre Heimat nie wieder.
(Quelle: Verlagsinformationen, Deutsch Russisches Zentrum Sachsen e.V.)

Teffy
Champagner aus Teetassen
Meine letzten Tage in Russland

Herausgeberin: Christa Ebert, Ãœbersetzerin: Ganna-Maria Braungardt
Originaltitel: воспоминания (Ãœbersetzt: Erinnerungen)
Aufbau Verlag, erschienen 18. August 2014
Gebunden, 285 Seiten
ISBN 978-3-351-03412-2
Auch als E-Book erhältlich: 9783351034122
19,95 Euro
www.aufbau-verlag.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Elena Chizhova - Die stille Macht der Frauen

Irène Némirovsky

Weitere Infos unter:

www.juden-in-sachsen.de

great.russian-women.net

www.theguardian.com

books.google.de

www.pushkinhouse.org



Buecher

Beitrag vom 18.08.2014

AVIVA-Redaktion