AVIVA-Berlin >
Buecher
AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 -
Beitrag vom 05.08.2009
Edith Devries - Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da. Eine jüdische Kindheit zwischen Niederrhein und Theresienstadt
Iella Peter
Die Autorin überlebte als Kind mit ihren Eltern die Haft in Theresienstadt und gewährt in ihrem beeindruckenden Buch, aus der Perspektive kindlicher und jugendlicher Erinnerungen, Einblick in...
...das wechselvolle Schicksal ihrer Kindheit.
Bis Heute wissen nicht viele, dass in dem Konzentrationslager Theresienstadt, ein Durchgangslager für den Weitertransport in Vernichtungslager wie Auschwitz, zehntausende Menschen durch Hunger und Krankheit starben. Edith Devries musste mit ihren Eltern drei Jahre ihrer Kindheit in dieser Hölle verbringen.
Aufgewachsen ist sie in Weeze, einem kleinen Ort am Niederrhein. Ihr Vater Max Devries, auch in Weeze geboren, war ein stolzer Veteran des 1. Weltkriegs. Er und Julie Devries, geb. Hartoch heirateten 1934. Die Autorin beschreibt die Heirat der beiden als "gewiss keine Liebesheirat". Denn Max Devries hatte eine Beziehung zu einer Nicht-Jüdin, musste aber auf Anraten des damaligen Weezer Bürgermeister Heitmeyer von dieser Abstand nehmen, um nicht den Vorwurf der Rassenschande auf sich zu ziehen.
Bereits ein Jahr nach der Hochzeit, 1935, wurde Edith geboren. Das kleine Mädchen war das Ein und Alles ihrer Mutter und wuchs in einem geborgenen und liebenden Umfeld auf. Ihre Familie war im Dorf sehr geachtet und das einvernehmliche Zusammenleben zwischen Christen und Juden selbstverständlich. Nur wenige Weezer Bürger zeigten Ressentiments gegen die Familie Devries.
Als am 09. November b>1938 die Synagogen in den Nachbarstädten brannten blieb es in Weeze relativ ruhig. Vereinzelt wurden aber auch hier Juden verhaftet, ins KZ-Dachau gebracht, bedroht und aufgefordert, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Den Geschwistern von Ediths Vater wurde bewusst, dass sie Deutschland verlassen mussten und es gelang ihnen die Flucht. Familie Devries blieb in der tiefen Überzeugung, dass der Familie eines solch verdienten Soldaten und Patrioten, wie Max Devries es war, nichts geschehen könne.
Der Schock war deshalb umso größer, als am 13. Juli 1942 der Weezer Bürgermeister Heitmeyer unter Tränen, wie Devries sehr berührend in ihrer Autobiographie erzählt, der Familie die Mitteilung über die bevorstehende Deportation nach Theresienstadt überbrachte.
Von der Ankunft und dem Leben in Theresienstadt berichtet die damals Siebenjährige in eindrucksvollen Bildern. In ihrem Buch beschreibt die Autorin die Wohnstätte, in welcher das Mädchen mit ihrer Mutter und weiteren 160 bis 180 Frauen lebte, als "unser Haus". Sie berichtet von der bedrückenden Realität aus der Sicht eines Kindes. Wenn sie beispielsweise von den lustig hüpfenden Flöhen in ihrer Essensschale oder anderen absurden Situationen erzählt, gewinnt sie diesen, trotz des Elends, noch etwas Positives ab.
Bis zur Befreiung am 08. Mai 1945 blieb die Familie Devries, zwar räumlich voneinander getrennt, in Theresienstadt und wurde nicht wie so viele andere nach Auschwitz weitergeschickt. Die Geschwister Julie Devries` aber waren von den Nazis ermordet worden.
Im September 1945 kehrte das junge Mädchen mit ihren Eltern zurück nach Weeze. Krampfhaft wurde versucht, wieder ein Leben in normalen Bahnen zu führen. Doch der Verlust ihrer Geschwister belastete Ediths Mutter sehr. Im Buch wird beschrieben wie sie immer ein schlechtes Gewissen bekam, sobald sie sich mit anderen Menschen amüsierte und lachte. Für die zehnjährige Edith war das schwer zu ertragen.
Edith Devries holte die verlorenen Schuljahre nach und machte eine Ausbildung als Kindergärtnerin. Nach einer ersten missglückten Liebe lernte sie Adi kennen. Einen jungen Mann, der im Holocaust seine Eltern und Geschwister verloren hatte. 1958 verlobten sich die beiden. Jahre später begann Edith Devries als Zeitzeugin in Schulen von ihrer verlorenen Kindheit zu sprechen und SchülerInnen für das Thema Holocaust zu sensibilisieren.
Mit ihrer einfachen, kindlichen Art zu schreiben ist es Edith Devries und ihrer Tochter Ruth Bader gelungen, ein wichtiges Buch gegen das Vergessen der Geschehnisse des "Dritten Reiches" zu verfassen. Die detaillierten Aufzählungen der Namen von Tanten, Onkel, Brüdern und den anderen Verwandten in den ersten Kapiteln des Buches sind ziemlich verwirrend für die LeserIn. Doch nur so werden sie in der Erinnerung wieder zu realen Menschen und sind nicht irgendwelche namenlosen Toten. Manchmal ist das Buch ein wenig stockend geschrieben, aber das nimmt ihm nichts von seinem Charme. Denn diejenigen, die noch das Schrecken miterlebt haben, werden immer weniger und ihre Zeugnisse, egal ob stilistisch einwandfrei geschrieben oder nicht, sind dadurch umso wichtiger.
AVIVA-Tipp: Ein berührendes Buch, das durch seine einfache Lesart besticht. Edith Devries gewährt der LeserIn mit ihrem sehr persönlichen Werk tiefe Einblicke in ihre bewegte Lebensgeschichte, um so, wie der Titel schon offenbart, dem großen Ziel eines würdevollen und sensiblen Umgangs mit der Thematik "NS-Zeit" ein Stück näher zu kommen.
Zur Autorin: Edith Devries, 1935 am Niederrhein geboren, war ab Mitte der 1950er Jahre Leiterin der jüdischen Kindergärten in Köln, Düsseldorf und München. Seit über dreißig Jahren berichtet sie darüber hinaus in Schulen und Vereinen vom Schicksal ihrer Familie. Das vorliegende Buch entstand in Zusammenarbeit mit ihrer Tochter Ruth Bader. Sie wurde 1967 geboren und wuchs ebenfalls im Heimatort ihrer Mutter auf. 1997 wanderte sie nach Australien aus.
Weitere Infos und Kontakt finden Sie unter: www.edithdevries.de
Edith Devries
Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da. Eine jüdische Kindheit zwischen Niederrhein und Theresienstadt.
Books on Demand, erschienen 2008
Broschur, 220 Seiten
ISBN: 978-3837060812
Preis: 12,95 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Terezin – Theresienstadt. Anne Sofie von Otter, Daniel Hope und Bengt Forsberg vertonten Werke aus dem Ghetto Theresienstadt, die einen Einblick geben in den Versuch der Verfolgten, dem Leid für kurze Zeit durch die Musik zu entfliehen.
Eva Erben. Mich hat man vergessen. Die Erinnerungen des jüdischen Mädchens Eva Erben an das Ghetto Theresienstadt, KZ und Todesmarsch sind kaum vorstellbar. Vierzig Jahre nach ihrer Flucht erzählte sie der Schulklasse ihres Sohnes was damals geschah.
Eva Mändl-Roubickova. Langsam gewöhnen wir uns an das Ghettoleben - Ein Tagebuch aus Theresienstadt