Esskulturen. Gutes Essen in Zeiten mobiler Zutaten - herausgegeben von Andrea Heistinger und Daniela Ingruber - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 01.02.2011


Esskulturen. Gutes Essen in Zeiten mobiler Zutaten - herausgegeben von Andrea Heistinger und Daniela Ingruber
Ute Vetter

Die traditionellen Kochkünste der Menschheit sind gefährdet. Fertig- und Tiefkühlgerichte zerstören den Geschmackssinn und das Gemeinschaftliche Essen verlagert sich in Imbissbuden und...




... Fastfood-Ketten. Unbegrenzt scheinen die Möglichkeiten der Zubereitung des täglichen Essens. Unbegrenzt scheinen auch die Perspektiven, es zu erörtern. Der Band vereint 16 Beiträge, die auf einem Symposium im Dezember 2009 in Vorbereitung auf eine Ausstellung diskutiert wurden.

Frau könnte hinter dem Titel und dem appetitanregenden Cover ein Kochbuch vermuten. Hinweise für geheimnisvolle Gewürzmischungen oder besondere Zutaten, die uns in ungeahnte himmlische Sphären befördern, fehlen jedoch gänzlich. Es handelt sich bei dem Buch um eine bunte Mischung von kleinen Artikeln und Aufsätzen zu den weitgefassten Begrifflichkeiten des Guten Essen, der Esskultur und der mobilen Zutat.

WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und AktivistInnen aus verschiedensten Disziplinen trafen sich im September 2009, um ihre Gedanken, Erfahrungen und Assoziationen zu der geplanten Ausstellung 2011 in Oberösterreich "Essen unterwegs. Eine Ausstellung über Mobilität und Wandel" zu diskutieren.

Die Artikel mit den Überschriften wie "Food Design - Über die Formgebung und Gestaltung von Esswaren", "Klima im Müll. Eine abfällige Betrachtung" oder "Gutes Essen - Eine Geldfrage? Gesunde Ernährung aus der Perspektive der Leistbarkeit" spiegeln die Vielfalt der diskutierten Themen des Symposiums. Die Entfremdung von Natur und Gesellschaft durch die industrielle Nahrungsmittelproduktion rückt ins Blickfeld, ebenso wie der Zusammenhang von Essen, Gesundheit und Luxus und Gedanken zur Formgebung des Essens. Ein kurzer kulturhistorisch-feministischer Streifzug zum Thema fehlt ebenfalls nicht. Die Beiträge beleuchten facettenreich Perspektiven und Ideen zur und um die Produktionskultur des Essens.

Die Oberösterreichischen Landesmuseen als Veranstalter des Symposiums und der Ausstellung 2011 in Linz hatten Interesse an der Veröffentlichung der Texte, um die Diskussion aus der Abgeschlossenheit der Fachwelt zu führen. Peter Assmann, als Direktor der Oberösterreichischen Landesmuseen, formuliert im Geleit des Bandes sein Anliegen. Dort heißt es, den Hauptgegenstand der Beiträge bildet die Sichtbarkeit der langen Wege, die unsere Nahrungsmittel hinter sich haben, sowie ihre Herkunft und der wirtschaftlich machtpolitische Blickwinkel auf das Essen. Die Idee des transdisziplinären Zugangs und eine leicht zugängliche Alltagssprache der Texte sollte dabei unbedingt gewahrt bleiben.

Die Herausgeberinnen: Andrea Heistinger und Daniela Ingruber, machten sich auf die Suche nach allerlei Aspekten zum Begriff der Esskultur. Thematisch bewegen sich die Beiträge der Publikation zwischen Überlieferung und aktuellen Formen des Essens. Die Beziehung von Essen und Globalisierung sollte dabei stark betont werden und auch das Konzept der Ausstellung mitbestimmen.

Die Einteilung des Bandes in die fünf Abschnitte "Alle essen", "Bewusst Essen", "Essen in Armut", "Essen in der Kunst" und "Essen und Tradition" versucht das Spektrum aller Beiträge zu fassen und auch hilfreich zu gliedern. Das ist jedoch nicht ganz gelungen, denn die Unterteilung wirkt unglücklich erzwungen. Die Zuordnung der Artikel erschließt sich nicht ganz sinnvoll.

Im Gedächtnis bleibt nach der Lektüre, dass die Nahrungsmittelindustrie frech und dreist in die privaten Küchen vordringt und ein unaufhaltsames Imperium ohne ernstzunehmenden Widerstand begründet. Weiter bleibt in Erinnerung, dass kostenträchtige Müllberge von Lebensmitteln zukünftig zu bewältigen sind und dass sich die traditionelle Küche dadurch veränderte, indem Frauen vom Herd weg in die Produktionsstätten drangen, um eigenes Geld zu verdienen.

Die Beiträge machen deutlich, dass Kartoffelpuffer, Ratatouille, Spätzle oder Spirelli komplexes Wissen der Menschheit in sich tragen und kulturelle Erfahrungen codieren. Die Informationen können bei Bedarf jedoch entschlüsselt werden.

Offen bleibt, welche Geheimnisse sich wohl lüften würden, wenn in einer theoretischen Abhandlung der Berliner Bockwurst die zarte Wienerin gegenüber gestellt werden würde oder dem Königsberger Klops die Boulette. Hinsichtlich der Form und der Konservierungsmittel scheint ein Nachdenken darüber interessant und unterhaltsam. Die bittere Wahrheit bleibt jedoch, dass ökologisch nachhaltig und fair produzierte Lebensmittel ein gutes Ziel sind, das noch in weiter weiter Ferne zu liegen scheint.

Mit Beiträgen von:

Peter Assmann, Andrea Ebner-Pladerer, Dagmar Frühwald, dem Verein Grenzenlos Kochen, Andrea Heistinger, Daniela Ingruber, Martina Kaller-Dietrich, Christoph Kirchengast, dem KünstlerInnenkollektiv Mahony, Elisabeth Meyer-Renschhausen, Christian Pladerer, Joschi Sedlak, Gabriele Sorgo, Barbara Stocker, Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter, Ursula Trübwasser und Maria Vogt.

Zu den Herausgeberinnen:

Andrea Heistinger
ist Agrarwissenschafterin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Kulturpflanzenvielfalt und Lokales Wissen, Frauen in Landwirtschaft und Gartenbau. Sie nimmt Lehraufträge an der Uni Wien und der Universität für Bodenkultur Wien wahr.
Andrea Heistinger im Netz: www.semina.at/heistinger

Daniela Ingruber ist Politikwissenschafterin und Kriegsforscherin. Sie gehört zum Lehrkörper des UNESCO-Chairs for Peacestudies an der Universität Innsbruck.
Daniela Ingruber im Netz: www.nomadin.at

AVIVA-Tipp: Das Verspeisen von Hirn, Herz und Hoden stärkt im Volksmund Weisheit, Gesundheit und Potenz. Der Band regt zur Verdauung von jahrhundertealten Informationen über Esskultur an und bietet Ideen zur Diskussion rund um das Thema des mobilen Essens. Er gibt einen Vorgeschmack auf die Ausstellung im Linzer Schlossmuseum, die ab Mai 2011 dort kredenzt sein wird.

Andrea Heistinger und Daniela Ingruber (Hrsg.)
Esskulturen. Gutes Essen in Zeiten mobiler Zutaten

Mandelbaum Verlag Wien, erschienen am 15. Oktober 2010
www.mandelbaum.at
Gebunden, 310 Seiten
ISBN: 978385476-342-0
19,90 Euro

In Linz findet vom 09. Mai - 20. August 2011 die Ausstellung "Essen unterwegs. Eine Ausstellung über Mobilität und Wandel" statt.

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Beitrag vom 01.02.2011

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