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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 14.07.2013


Jean Frémon (Hg.) - Louise Bourgeois: Moi, Eugénie Grandet
Annika Hüttmann

Ihren letzten Werkzyklus widmete die 2010 verstorbene Künstlerin Louise Bourgeois einer Romanfigur Balzacs: Eugénie Grandet. Oder sich selber? Jean Frémon führt die LeserInnen so nah an...




... Bourgeois´ Biographie und Schaffen heran, dass die Grenzen zwischen Literatur und Wirklichkeit verschwimmen.

"Louise Bourgeois hat oft über die Figur Eugénie Grandet geredet. Es ist auffällig, dass sie sich selbst meinte, wenn sie von ihr sprach."

Literatur war für die 1911 in Paris geborene Künstlerin allgemein eine wichtige Inspirationsquelle, laut Jean Frémon, Schriftsteller, Kunstkritiker und langjähriger Freund Bourgeois´, war jedoch kein Autor so bedeutend für sie wie Honoré de Balzac. In dessen Romanheldin Grandet fand die Künstlerin ihre eigene Biographie beschrieben: Beide litten unter einem autoritären und arroganten Vater, standen stattdessen ihrer Mutter sehr nah und litten unter deren frühen Tod. Die Emigration nach New York 1938 eröffnete Bourgeois Möglichkeiten, die es für die Figur Balzacs nicht gab, als Symbol für ihre eigene Vergangenheit blieb Eugénie Grandet jedoch eine wichtige Identifikationsfigur.

Um die enge Bindung zwischen der Künstlerin und Grandet verständlich zu machen stellt Frémon dem Werkzyklus Eugénie Grandet von 2009 ein umfangreiches und sehr interessantes Essay voran, gefolgt von Auszügen aus Balzacs Roman und einer von Bourgeois verfassten Ode an Eugénie Grandet.
Das Essay befasst sich auch mit anderen Werken Bourgeois´, mensch erfährt, welche Erfahrungen und Personen die Künstlerin prägten und wie ihre Kunst lange Zeit als minderwertig betrachtet wurde, da sie eine Frau war. Erst 1982, mit über 70 Jahren wurden Bourgeois´ Arbeiten durch eine Ausstellung im New Yorker MoMA einem großen Publikum vorgestellt. Das Besondere an Frémons Art sich der Künstlerin zu nähern, ist, dass er sowohl als enger Bekannter als auch Kunstkritiker schreibt. Mal betrachtet er objektiv einige ihrer Kunstwerke, mal gibt er intime Einblicke in das Leben der Person, die diese geschaffen hat. Auf diese Weise entsteht ein sehr persönlicher Text, zugleich wissenschaftlich und emotional.

Die Kunstwerke, aus denen der Zyklus Eugénie Grandet besteht, zeigen eine für Bourgeois typische Weise, Vergangenheit gleichzeitig umzugestalten und zu bewahren. Die Künstlerin verwendet Gegenstände aus ihrer Kindheit, wie beispielsweise Geschirrhandtücher, um sich mit der "Demut weiblicher Handarbeit" auseinander zu setzen. Was auf den ersten Blick durch Stickereien und Blumen wie filigrane "feminine" Arbeiten erscheint, verweist bei genauerem Hinsehen auf häusliche Enge und damit einhergehende Unerfülltheit und Unzufriedenheit.

Frémon schreibt: "Louise Bourgeois geht es in ihrer Arbeit darum, Wünsche und Ängste in anschaulicher Form auszugestalten. In den vorliegenden Werken werden Gemächlichkeit und Resignation in eine spirituelle Übung verwandelt, die kleinen Bilder sind Mandalas, Gebete, die Stunden sind Perlen, man lässt sie durch die Finger gleiten wie die Perlen eines Rosenkranzes. Die Bilder sind keine bloßen Objekte, sie sind Gefühlsträger, Ruhealtäre. Als würde Louise Bourgeois der Geist von Eugénie Grandet umtreiben. Wer vereinahmt hier wen?"

AVIVA-Tipp: Mit Moi, Eugénie Grandet will Frémon mehr als Bourgeois´ letzte Arbeiten abzubilden. Das Buch ist ein liebevoller Nachruf für eine große Künstlerin, es will ihr Leben und ihr Werk zusammenführen, will, dass die BetrachterInnen verstehen, was in ihrer Kunst ausgedrückt wird. Durch die umfangreiche Heranführung an Bourgeois´ letzten Werkzyklus wird mensch zwar sehr gesteuert, wie sie oder er die abgebildeten Kunstwerke zu interpretieren hat, bekommt aber auch einen ganz besonderen und intimen Zugang zu ihnen. Ein sehr interessantes und wunderschönes Buch!

Zur Künstlerin: Louise Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren. Sie arbeitete vor allem als Bildhauerin und war eine der ersten KünstlerInnen, die sich mit Installationen auseinandersetzten. 1938 emigrierte sie nach New York, wo sie 2010 starb.
Mehr Infos unter: www.moma.org

Zum Autor und Herausgeber: Jean Frémon, französischer Schriftsteller, Übersetzer und Kunstkritiker. Er lebt in Paris und hat zur Kunst des 20. Jahrhunderts zahlreiche Publikationen vorgelegt, von denen keine bislang ins Deutsche übersetzt worden ist. Er war mit Louise Bourgeois längere Zeit eng befreundet. (Verlagsinformationen)

Jean Frémon (Hg.)
Louise Bourgeois: Moi Eugénie Grandet

Aus dem Französischen von Cordula Unewisse
Piet Meyer Verlag, erschienen: April 2013
Broschur, 30 Abbildungen, 124 Seiten
ISBN 978-3-905799-24-8
12,80 Euro
www.pietmeyer.ch

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Beitrag vom 14.07.2013

Annika Hüttmann