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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 23.04.2010


Nina Hagen - Bekenntnisse
Claire Horst

Eins kann man ihr auf gar keinen Fall vorwerfen: Nina Hagen hat sich nie an die Erwartungen ihrer Umwelt angepasst, weder an die Kulturbehörden der DDR noch an die Musikfans, die von ihr nur ...




... rotzigen Punk hören wollten.

In einer Zeit, als Frauen noch häufig ein braves Dasein als Mutter und treusorgendes Heimchen am Herd fristeten, sang Nina Hagen über Abtreibung und führte im österreichischen Staatsfernsehen vor, wie Frauen masturbieren.

Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen. Als Schlagersängerin trat die Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen in der DDR auf, bis sie nach der Ausweisung ihres Ziehvaters Wolf Biermann die Nase voll vom Realsozialismus hatte. Im Westen gründete sie erste Punkrockbands, ließ sich aber nie festlegen. Ihre Punkattitüde ließ immer genug Raum für Ironie. So traute sie sich an Zarah Leander-Cover heran und spielte mit Rockstars wie Udo Lindenberg genauso selbstverständlich wie sie mit Max Raabe die Dreigroschenoper einsang. Nina Hagen musste man lange Zeit einfach toll finden. Selbstbestimmte und durchgeknallte Frauen wie sie kann es gar nicht genug geben.

Spätestens als sie aber anfing, von ihren UFO-Kontakten zu berichten, kamen die ersten Befürchtungen auf, Ninas Exaltiertheit könne ein wenig zu weit gegangen sein. Außerirdische? Nina Hagen ist von deren Existenz fest überzeugt, damit hat sie schon Talkshows gesprengt. Natürlich spielen die UFOs auch in ihrer Autobiographie eine Rolle. Einen weitaus größeren Raum nimmt aber ihr Glaube an den christlichen Gott und ihre Liebe zu Jesus ein, nein, ihre LIEBE zu JESUS!, so steht das im Buch auf jeder zweiten Seite.

Von Erweckungserlebnissen, Begegnungen mit Jesus und Nina Hagens eigener, von Liebe erfüllter Seele handelt das Buch zum großen Teil. Es lässt sich viel Spannendes daraus erfahren: Wie es sich lebte als Schlagersternchen in der miefigen DDR, wie Biermann sich als Pflegevater machte, wie man im Amsterdam der Siebziger den Drogensumpf überstand, auch die Geschichte ihres Großvaters, eines Widerstandskämpfers wird erzählt. Alles interessant, aber leider durch die andauernde Aufgeregtheit und Selbstbeweihräucherung der Autorin schwer erträglich.

Im Rückblick sieht Nina Hagen ihr ganzes Leben als einen Kampf zwischen Gut (Gott, der Glaube, die Liebe) und Böse (Drogen, Selbstsucht, Gottesferne). Das liest sich in Bezug auf ihre Zeit in Amsterdam dann so: "In jedem Leben, denke ich, gibt es diesen Mix aus dunkel und hell. Nur in Gott ist reines Licht ´und keine Finsternis ist in ihm´ (1 Joh 1,5). Manchmal hast du großartige göttliche Flashs und Erkenntnisse, die dich vom Himmel her überfallen. He, ich werde von Gott geliebt! Whow! Du bist besoffen vor Glück, alles vibriert vor Sinn. Du springst dem himmlischen Vater wie ein kleines Kind auf den Schoß: Danke, Gott, dass es dich gibt! Alles easy forever, denkst du, das Leben ist doch ein Kinderspiel!
Aber dann vergisst du, deine Erkenntnis zu speichern. Ein anderer drückt auf DELETE! Und dann sind sie wieder da, die verführerischen Lügengangster, die uns einen Torpedo ins Hirn jagen, uns kaputtmachen, ja töten wollen."


Nina Hagen ist die große Heldin ihrer Biographie. Sie sei keine Rosa Luxemburg und keine Jeanne d`Arc, versichert sie, nachdem sie wieder einmal von ihren guten Werken berichtet hat, sie sei einfach voller Liebe. Als hoffe sie, dadurch weniger selbstherrlich zu erscheinen - und macht es nur noch schlimmer. Oder wäre irgendjemand ernsthaft auf die Idee gekommen, Nina Hagen für eine politische Revolutionärin zu halten? Eine kulturelle ist sie allemal, und daran kann auch ihr Gefasel nichts ändern.

Witzig ist ihr Buch dann, wenn Nina Hagen böse wird. Ihre esoterische Indienphase betrachtet sie nun aus der Distanz - und ihre Schilderungen der heuchlerisch Askese predigenden, aber insgeheim Sex und Hasch huldigenden Gurus machen Spaß. Wenn da nur nicht ihre eigenen Predigten wären. Die bestehen entweder aus seitenlangen Bibelzitaten oder aus unsäglichen Textstellen wie ihrem Brief an den Papst: "´Lieber Papst Benedikt! Ich habe Sie lieb und wünsche Ihnen Gottes Segen auf all Ihren irdischen Wegen! Gott hat Sie lieb! Gott hat mich auch lieb! Ich hoffe, wir lieben uns alle sehr! Und immer, immer mehr!`" Das mag vielleicht kindisch klingen, kommt aber von Herzen und ist ehrlich gemeint!" Über Hagens Grad an politischer Informiertheit möchte man da lieber gar nicht nachdenken.

Nina Hagen hat zu sich selbst gefunden, das versucht sie mit ihrem Buch zu beweisen. Schade nur, dass es meist so verkrampft klingt wie hier: "Oh, ich bin sicher: Ich sang schon am Morgen der Schöpfung mit, sang und hüpfte mit King David zur Harfe, ich sang und machte im Geist den Moonwalk mit dem armen Michael Jackson, was für immer und ewig im Gospel-Kanon vereint mit dem geliebten Bruder Elvis, sang im Arm mit dem elend verstummten kleinen Brüderchen Kurt Cobain, sang mit allen armen Hunden dieser Erde, gospelte mit Mama Mahalia, Mama Marion und den Dixie Hummingbirds um die Wette – mit Mahalia & Marion im Himmel, den Guten, den Starken, meinen Schwestern im Glauben, jubilierte und sang mit allem Gospel-Mamis & Gospel-Papis alle Zeiten in The All Saints All Christian Band." An mangelndem Selbstbewusstsein leidet Nina Hagen zumindest nicht, und das ist es, was nach dem Lesen dieses Buches noch am ehesten für sie einnimmt.

AVIVA-Tipp: Nina Hagen ist eine der wichtigsten Protagonistinnen der deutschen Popkultur. Ihr musikalischer und stilistischer Einfluss ist nicht von der Hand zu weisen. Dass sie als "Mother of Punk" die spießige Bundesrepublik aufgemischt hat, ist eine großartige Leistung. Durch ihr Buch werden sich trotzdem nur hartgesottene Fans und am Absurden Interessierte kämpfen.

Nina Hagen im Netz: Nina Hagens Interims-Homepage

Nina Hagen - Bekenntnisse.
Pattloch Verlag, erschienen am 18.03.2010
296 Seiten
Preis: 18,00 Euro
ISBN 978-3-629-02272-1


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Beitrag vom 23.04.2010

Claire Horst