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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 26.08.2012


Natasha Solomons - Als die Liebe zu Elise kam
Sharon Adler

Elise Landau war eines von etwa 10.000 jüdischen Kindern, das aus Europa nach Großbritannien emigrieren konnte. Ihre Geschichte steht stellvertretend für die vielen namenlosen Schicksale derer, ...




... die Familien und Zuhause für immer verloren haben.

Anders als den Klein- und Kleinstkindern, die sich später nur schemenhaft daran erinnern konnten, wie ihnen die Eltern zum Abschied fröhlich wie zur Verabschiedung bei einem Schulausflug zugewunken haben, ist es der neunzehnjährigen Elise bei ihrer Abreise bewusst, dass es ein Abschied auf lange Zeit, vielleicht sogar bis immer sein könnte.

An ihrem letzten Abend im Kreise der Familie in Wien feiert die Familie ein letztes Mal Pessach miteinander. "Wir gingen nie in die hübsche Synagoge in der Leopoldstadt, feierten eher Weihnachten als Chanukka und waren stolz, zur neuen Klasse des österreichischen Judentums zu gehören."

Die areligiösen, assimilierten Landaus hatten viele ihrer Bekannten und Freunde zum Fest geladen, von denen längst nicht mehr alle erschienen. Es schickte sich nicht und war gefährlich, zu Juden zu gehen und seien sie noch so berühmt. Jahrelang hatten die Landaus zum Teil der Wiener Gesellschaft gehört. Allen voran die charismatische Mutter, Anna, die gefeierte Opernsängerin und Julian, der begnadete Schriftsteller. Elise leidet schon lange heimlich unter der Schönheit ihrer Schwester Margot, die so ganz anders ist als sie selbst: Schön, blond, grazil, begabt. Elise selbst hat keine besondere Begabung, sie ist einfach nur das Nesthäkchen der Familie.

Der erzwungene Weg ins Exil bedeutete den Wechsel in eine neue, häufig genug auch fremde Existenz. Die ExilantInnen erhielten neue Namen und Identitäten und nicht immer wurden sie wohlwollend aufgenommen. Als untergeordnet behandelt, mussten diejenigen, die noch ein Visum bekommen konnten, fern ihrer Familien, die harte Arbeit von DienstbotInnen verrichten und erhielten dafür Essen und ein Bett in einer Abstellkammer. Und bleiben am Leben.

Als im Frühling des Jahres 1938 Elise Landau das Exil aus Wien nach Tyneford House führt, einem Anwesen an der Südküste Englands, erwartet die junge Jüdin aus wohlhabender Familie eine Anstellung als Hausmädchen. Ihr Leben ändert sich radikal und sie fühlt sich einsamer als je zuvor. Doch tapfer poliert sie Silber und serviert das Essen, die Perlenkette ihrer Mutter in der Schürze eingenäht. Während Elise weiter darauf wartet, ihre Schwester in den USA wiedertreffen zu können, wohin diese flüchten konnte und darauf, dass ihre Eltern ein Visum für England erhalten, gibt es für sie nur einen einzigen Lichtblick: Kit, der unkonventionelle Sohn des Hausherrn. Mit ihm erlebt sie ihre erste Liebe – eine Liebe gegen die Konventionen. Doch dann erreicht der Krieg das abgelegene Dorf an der Küste von Dorset und verändert Tyneford House und seine BewohnerInnen für immer.

Die Autorin Natasha Solomons schildert das Leben der jungen Exilantin farbig, authentisch und voller (Mit-)gefühl. Inspiriert für die Figur der Elise Landau wurde sie von ihrer Großtante Gabi Landau, die mit Unterstützung der Großmutter Natasha Solomons aus Europa fliehen und in den späten 1930er Jahren bei einer englischen Familie als Haushaltshilfe arbeitete. Gabi Landau traf ihre Schwester Gerda erst dreißig Jahre später wieder.

Viele jüdische Familien versuchten, ihre Kinder in letzter Minute auf diese Weise zu retten. Im Zeitraum von neun Monaten vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs wurden etwa 10.000 jüdische Kinder nach Großbritannien vom Festland Europa gebracht.
Diese Rettungsaktionen sind heute als Kindertransporte bekannt.

Die britische Regierung erlaubte jedoch nur eine begrenzte Anzahl von unbegleiteten jüdischen Kindern unter 17 Jahren. Reisedokumente wurden eher an Gruppen als an Alleinreisende vergeben, wobei ein Pfand für eine eventuelle Rückreise mitgebracht werden musste. Die Kinder wurden allein, ohne ihre Familien, auf die Reise in ein unbekanntes Land geschickt. Nur sehr wenige sahen ihre Familien nach dem Holocaust jemals wieder.

Der erste Kindertransport verließ Berlin am 1. Dezember 1938, der erste Kindertransport aus Wien am 10. Dezember. Transporte polnischer Kinder wurden erst im Februar und August 1939 organisiert. Die Transportzüge kamen durch die Niederlande und Belgien, wo sie weitere Kinder aufnahmen, doch das Ausbrechen des Krieges machte weitere Kindertransporte unmöglich. Das letzte Transportschiff verließ die Niederlande am 14. Mai 1940, der Tag, an dem die niederländische Armee sich Deutschland ergab.

Zur Autorin: Natasha Solomons wurde 1980 geboren. Mit neun Jahren hatte sie ihren ersten Job: Sie hütete als Schäferin die Herde von Bulbarrow Hill. Mittlerweile arbeitet sie gemeinsam mit ihrem Mann David am Drehbuch ihres ersten Romans "Wie Mr. Rosenblum in England sein Glück fand", der 2010 im Kindler Verlag erschien und promoviert außerdem über Lyrik des 18. Jahrhunderts. Natasha und David leben in einem baufälligen Naturstein-Cottage in Dorset. Zum Arbeiten zieht sie sich in ein bemaltes Sommerhaus neben einer Apfelplantage zurück, wo ihre nächsten Nachbarn ein Paar neugieriger Fasane sind. Zu ihrem ersten Roman wurde sie von ihrer deutsch-jüdischen Großmutter inspiriert.
Weitere Infos unter: www.natashasolomons.com


AVIVA-Tipp: Natasha Solomons erzählt in "Als die Liebe zu Elise kam" aus der Perspektive einer zu dieser Zeit neunzehnjährigen jungen Frau und schafft so ein atmosphärisch dichtes Bild dieser Zeit. Indem sie ihre Protagonistin Jahrzehnte später auf ihr Leben zurückblicken lässt, wird für die LeserInnen ein Schicksal erfahrbar gemacht, das auch bis heute nichts von seiner Traurigkeit verloren hat.
Abgemildert wird die Tragik um eine verlorene Welt durch die eingewebte Liebesgeschichte, die vor jedem anderen Hintergrund als kitschig gelten könnte.

Natasha Solomons
Als die Liebe zu Elise kam

(Originaltitel: The House at Tyneford (US) and The Novel in the Viola (UK)
Kindler Verlag, erschienen 9.03.2012
19,95 Euro
ISBN 978-3-463-40579-7


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Lilian R. Furst und Desider Furst - Daheim ist anderswo. Ein jüdisches Schicksal. Erinnert von Vater und Tochter

Louise Carpenter - Ida und Louise

Vienna´s Lost Daughters – ein Dokumentarfilm von Mirjam Unger

Weitere Links:

www.20thcenturylondon.org

www.kindertransporte-1938-39.eu

news.bbc.co.uk


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Sharon Adler