Jami Attenberg – Die Middlesteins - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher Juedisches Leben



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 20.03.2015


Jami Attenberg – Die Middlesteins
Romina Wiegemann

Mit Empathie und Humor erzählt die jüdisch-amerikanische Autorin und Journalistin von den Middlesteins, deren ganze Sorge ihrem Familienoberhaupt gilt. Die fettleibige Edie ist nämlich drauf und...




... dran, sich buchstäblich zu Tode zu fressen.

Rettet Edie

Seit ihr Mann Richard nach vier Jahrzehnten Ehe das Weite gesucht hat, erfährt Edies Esssucht lebensgefährliche Ausmaße. Die stets um Wohltätigkeit bemühte Schwiegertochter Rachelle stellt sich an die Spitze einer Rettungsaktion. Die ganze Familie wird mobilisiert, um Edie vor einem Tod durch Überfettung zu bewahren. Während Edies Kinder, Rachelles Mann Benny und seine Schwester Robin, schnell in verzweifelter Resignation verharren, bleibt Rachelle als einzige hartnäckig. Auch ihre Kinder, die Zwillinge Emily und Josh, werden eingespannt, um die unwillige Edie zu unterstützen. Und so werden mit der Großmutter Runden auf dem Sportplatz gedreht, während die beiden Teenager eigentlich nur ihre bevorstehende B‘nei-Mizwah im Kopf haben.

Eine neue Liebe und noch mehr Kalorien

Die Situation verschärft sich, als bekannt wird, dass Edie einen neuen Liebhaber hat. Ausgerechnet Kenneth, der in seinem China-Restaurant fantastische Gerichte zubereitet, hat sich in Edies Herz gekocht. Er liebt ihre Pfunde und sie sein Essen. Richard, Edies abtrünniger Ehemann, ist mittlerweile mit der schönen Beverly liiert und passt nicht in Rachelles Konzept einer heilen Welt. Sie verbietet Benny und ihren Kindern den Kontakt zu ihm. Als auf der B´nei- Mizwah schließlich doch alle Familienmitglieder zusammen kommen, gerät die Situation endgültig außer Kontrolle.

Die Abgründe der Middlestein-Ladies

Was sich zunächst anlässt wie ein Roman, der die Fast Food Nation Amerika behandelt, ist in Wirklichkeit ein zutiefst jüdischer Familienroman, dessen ProtagonistInnen mit einer gehörigen Portion Fingerspitzengefühl und Ironie entworfen wurden. Die unterschiedlichen Frauenfiguren spielen dabei eine besondere Rolle. Gut lernen wir die traurige Robin kennen, die als Jugendliche beschlossen hat, nicht so zu werden wie ihre Mutter. Seitdem joggt sie sich jeden Tag die Seele aus dem Leib und macht einen großen Bogen um alles, was jüdisch ist. Eine regelmäßige Dosis Alkohol hilft ihr, das Leben auszuhalten.

Ihre Schwägerin Rachelle, eine Jewish American Princess von der sympathischen Sorte, ist aus etwas anderem Holz geschnitzt. Zwischen Pilatestraining und ihren Tätigkeiten im Frauenverein der Synagoge bemüht sich die disziplinierte Supermom mit korrigierter Nase in allen Belangen um Perfektion.

Edies schweres Erbe

Und Edie? Als jüdisches Emigrantenkind weiß sie nicht nur um die Bedeutung von harter Arbeit, sondern auch von der guten Essens. Die wohlgemeinten Ratschläge ihrer Familie können die ehemalige Juristin nur schwer erreichen. Der Trost, den ihr ihre geliebten Kartoffelchips und Kenneths Wan-Tan-Taschen bescheren, dagegen schon.

Richards zweiter Frühling

Auch bei der Darstellung der Sehnsüchte der Männer Middlestein beweist Jami Attenberg beachtliches Gespür. Die Nörgeleien der Ehefrau und sein Verlangen, auch im Alter ein erfülltes Sexualleben zu genießen, ließen Richard die immer dicker werdende Edie und das in über vierzig Jahren gemeinsam aufgebaute Leben verlassen. Mit Beverly erlebt der gestandene Apotheker seinen zweiten Frühling. Der Preis, den er dafür bezahlen muss, ist hoch. Einige Familienmitglieder strafen ihn vorübergehend mit Liebensentzug und auch sein Ansehen in der jüdischen Gemeinde nimmt Schaden.

Benny und Rachelle – das perfekte Paar?

Ein scheinbar intaktes Familienleben führt dagegen sein Sohn Benny. Der fröhlich-smarte Familienvater ist beruflich erfolgreich, hat zwei gelungene Kinder und die schöne Rachelle als Frau an seiner Seite. Doch auch er stößt angesichts des sich abzeichnenden Familiendramas allmählich an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Dagegen kann selbst der abendliche Joint, den er sich seit Jahrzehnten genehmigt, nichts mehr ausrichten.

AVIVA-Tipp: Ein packender Familienroman, der nicht nur durch seine sprachliche Schärfe, sondern vor allem durch den psychologischen Tiefgang, mit dem die Autorin ihre Figuren entworfen hat, besticht. Zusätzlich wird den LeserInnen ein interessanter Einblick in die jüdische Lebenswelt amerikanischer Vororte gewährt. Ein Milieu, aus dem die Autorin selbst stammt.

Zur Autorin: Jami Attenberg, geboren 1971 in Illinois, studierte an der John Hopkins University in Baltimore und lebt in Brooklyn, New York. Mit dem erfolgreichen Kurzgeschichtenband "Instant Love" gab sie im Jahr 2006 ihr schriftstellerisches Debut. Seither hat Jami Erzählungen und Romane veröffentlicht und ihr Erzählstil bescherte ihr Vergleiche mit Margaret Atwood und Alice Munro. Als Journalistin hat Jami Artikel und Reportagen für THE NEW YORK TIMES, VOGUE und THE WALL STREET JOURNAL verfasst. Sex, Design, Technologie, Bücher, TV und Stadtleben gehören dabei zu den Themenschwerpunkten, die sie auch in ihrem seit 1998 existierenden Blog WHATEVER WHENEVER behandelt.
Für DIE MIDDLESTEINS, ihr viertes Buch, wurde Jami Attenberg vielfach ausgezeichnet.
(Quelle: Verlagsinformationen und Website der Autorin)
Mehr Informationen unter:
www.jamiattenberg.com
www.whatever-whenever.net

Jami Attenberg
Die Middlesteins

Originaltitel: The Middlesteins
Ãœbersetzt aus dem Englischen von Barbara Christ
Schöffling & Co., erschienen im Februar 2015
Gebunden, 264 Seiten
ISBN: 978-3-89561-202-2
21,95 Euro
www.schoeffling.de


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Francesca Segal - Die Arglosen

Vanessa F. Fogel - Hertzmann´s Coffee

Charlotte Mendelson – Meschugge




Buecher > Jüdisches Leben

Beitrag vom 20.03.2015

Romina Wiegemann