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Beitrag vom 01.03.2017
Marc Boettcher – Sing! Inge, sing! Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg. Verlosung
Ahima Beerlage
"Die eine Hälfte von mir ist emanzipiert, die andere überhaupt nicht", schrieb Inge Brandenburg über sich selbst. Sie war die beste Jazzsängerin Europas und doch Zeit ihres Lebens am Rande des Ruins. Mit dem gleichnamigen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2011 und dem nun.. AVIVA verlost 2 Bücher
… folgenden Buch wird ihre einzigartige Stimme aber auch ihre tragische Geschichte endlich gewürdigt.
Out of nowhere
Manchmal lässt uns ein Buch verletzt, traurig oder verwirrt zurück. Es ist dann Aufgabe der so berührten Leserin herauszufinden, wo genau uns dieses Buch trifft. Die Biografie Inge Brandenburgs hat die Rezensentin traurig und gleichzeitig froh zurückgelassen: traurig über die Anstrengungen der Sängerin, ihrer lieblosen und verletzenden Vergangenheit zu entfliehen und die Anerkennung zu finden, die sie verdient hat, froh darüber, diese wunderbare Stimme und Interpretation von längst bekannten und auch neuen Jazztiteln durch diese wunderbare Sängerin wieder zu entdecken.
Love for sale
Ihre Mutter ist 1913 als junges Mädchen nach Berlin gezogen, um die Großstadt zu erobern. Sie verdient ihr Geld als Bedienstete in einem Haushalt. Die großen Träume platzen, als der erste Weltkrieg ausbricht. Auch ihr Vater, der Schlossergeselle Paul Julius Brandenburg, ist mit großen Erwartungen nach Berlin gekommen. Er ist Anhänger von Karl Liebknecht und den Spartakisten und gerät bald ins Visier der Obrigkeit, weil er den Wehrdienst verweigert. 1918 wird er verhaftet. Nach seiner Haftentlassung findet er nie wieder eine lukrative Stelle und rutscht zunehmend ab. Er hält sich bereits durch Diebstahl über Wasser, als er Inges Mutter kennenlernt. Wirtschaftliche Not und politische Überzeugung ziehen die Familie in einen Strudel, der in der Nazizeit für beide im Konzentrationslager und für die inzwischen sechs Kinder im Heim endet. Den Eltern wird das Sorgerecht entzogen und Inge kommt in ein Heim für "Schwererziehbare Asoziale". War das Elternhaus durch den Existenzkampf schon kühl und gewalttätig, so ist die Strenge und Härte im Heim fast unerträglich für die eigenwillige Inge. Nach der Kapitulation des Nazistaates verlässt sie das Heim und will sich nach Westdeutschland durchschlagen. Auf der Flucht wird sie vergewaltigt. Ihr Talent, in späteren Jahren Menschen mit ihrem Jazzgesang tief zu berühren wurzelt in diesem ganz persönlichen Leid, das sie erfahren hat. Das graue Rauschen einer lieblosen Kindheit begleitet aber auch ihr privates Leben, macht sie bisweilen stachelig und unausstehlich. Zahlreiche Affären können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie im Grunde einsam ist.
All of me
Ihre Jazzkarriere startet in den Soldatenclubs der Amerikaner nach dem Krieg. Hier lernt sie auch die Jazzgrößen der frühen Bundesrepublik kennen. Die Agentur für Truppenbetreuung der Alliierten organisieren ihr Auftritte quer durch das neue Westdeutschland. Sie tritt vor einfachen Soldaten und Offizieren auf. Stets gut gekleidet in selbstgeschneiderten Roben erlebt sie ihre beste und aufregendste Zeit als Sängerin. "Die Amerikaner waren ein zauberhaftes und dankbares Publikum. Ich war jemand. Und obwohl ich sehr unter den Nachstellungen der Musiker und Clubmanager litt, waren die nächsten acht Jahre die schönsten." Die Musik, die Bands und die Soldaten werden ihre neue Heimat, denn mit ihren Geschwistern hat sie sich auseinandergelebt, ihr Vater starb im Konzentrationslager Mauthausen, vom Tod ihrer Mutter erfährt sie über das Rote Kreuz. Sie wurde auf dem Transport vom Konzentrationslager Ravensbrück ins KZ Dachau ermordet. Inge Brandenburgs Stern steigt und steigt. 1954 reist sie zum ersten Mal ins Ausland zur Truppenbetreuung nach Libyen.
Schlager versus Jazz
Doch jenseits der G.I.-Clubs tut sich der Jazz schwer. In der Nazizeit als entartete Musik verboten, braucht der Jazz in Deutschland bis zum Anfang der sechziger Jahre, um einen eigenen Stil zu finden. Die beliebteste Sängerin ist Inge Brandenburg, gefolgt von Ingrid Werner und Caterina Valente. 1960 holt sie sich auch europäisch die Krone als beste deutsche Jazzsängerin. Inge Brandenburg sieht sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Doch der Druck der Plattenfirmen, auch Schlager zu singen, lastet schwer auf ihr. Sie will eine reine Jazzsängerin bleiben. Auch die PuritanerInnen unter den JazzkennerInnen wollen es so. Sängerinnen, die auch Schlager singen, werden nicht mehr zu den renommierten Jazzfestivals eingeladen. Andererseits lebt Inge Brandenburg mehr als bescheiden. Irgendwann lässt sie sich erweichen und veröffentlicht auch Schlager. Aber während Caterina Valente und später auch Gitte Haenning und Joy Flemming im Schlager Erfolge feiern, gelingt Inge Brandenburg dieser Durchbruch nie. Doch die wenigen Schlagertitel verzeihen ihr die Hüter des reinen Jazz nie. Auf der ohnehin von männlichen Musikern und Bandleadern bestimmten deutschen Jazzszene wird ihr Spiel- und Auftrittsraum immer kleiner. Auch ebbt der Jazzboom in den 70er Jahren ab. Inge Brandenburg verfällt immer mehr dem Alkohol. Betrunken ist sie aber unausstehlich und wird unflätig, was ihr auch kurzzeitige Aufenthalte in Ausnüchterungszellen und schlechte Schlagzeilen einbringt. Sie endet schließlich einsam und verarmt. Die Musikgeschichte in Deutschland begräbt sie unter Popmusik und Ignoranz. Dem Autor und Filmemacher Marc Boettcher haben wir es zu verdanken, dass ihr posthum die Ehre gebührt, die sie verdient hat.
Zum Autor: Marc Boetcher in Berlin geboren, studierte nach seiner Schauspielausbildung Theaterwissenschaft und Germanistik. Er arbeitet seit 1988 als Dramaturg, Regisseur und Autor. Er leitete ein Theater und war auf der Bühne und im Film zu sehen. Hunderte deutsche Synchronfassungen entstanden unter seiner Federführung. Neben zahlreichen Essays veröffentlichte er Biographien über die Sängerin Alexandra und den Komponisten Bert Kaempfert. Seine Fernsehporträts über Alexandra, Bert Kaempfert, Gitte Haenning und Rosenstolz machten Furore und wurden von einem Millionenpublikum gesehen. Mit der Wiederentdeckung von Inge Brandenburg gelang ihm ein weiterer Coup. Film und CD erhielten u.a. den "Preis der deutschen Schallplattenkritik". (Quelle: Verlag parthas berlin)
AVIVA-Tipp: Inge Brandenburg (geboren am 18. Februar 1929 in Leipzig, gestorben am 23. Februar 1999 in München), die größte deutsche Jazzsängerin in der frühen Bundesrepublik, scheiterte an ihrer persönlichen Vergangenheit, an der rassistischen Verteufelung des Jazz durch die Nazis und an der patriarchalen Musikszene der sechziger und siebziger Jahre. Dass sie nicht gänzlich vergessen wird, dafür sorgen dieses Buch und der gleichnamige Film. Eine berührende und gleichzeitig erhellende Lektüre über eine bemerkenswerte und gleichzeitig tragische Musikerin, die nicht nur für Musikfreundinnen spannend erzählt ist.
Marc Boettcher
Sing! Inge, Sing!: Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg
Mit einem Vorwort von Emil Mangelsdorff
Gebundene Ausgabe, 300 Seiten, s/w illustriert
Parthas Verlag Berlin, Auflage: 1 (29. Februar 2016)
ISBN: 978-3869641133
24.00 Euro
www.parthasverlag.de
Inge Brandenburg im Netz (von Marc Boettcher):
www.inge-brandenburg.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:Sing, Inge, sing - Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg. Der FilmSchon mal von der "deutschen Billie Holiday" gehört? Nein? "Die Zeit war nie reif für mich", sagte Inge Brandenburg einst in einem Interview. Die zu Lebzeiten gefeierte und gleichzeitig verkannte Jazz-Virtuosin führt bisher ein Schattendasein in der deutschen Musikgeschichtsschreibung. Der Dokumentarfilm von Marc Boettcher begibt sich auf Spurensuche. (2011)
Frauen im Jazz, ein Film von Greta Schiller und Andrea WeissGreta Schiller und Andrea Weiss zeichnen ein detailliertes Portrait von einer der allerersten All-Female-Gruppen in der Musikgeschichte. Die International Sweethearts Of Rhythm waren eine 16köpfige Jazz-Big-Band, deren bunte Crew aus feminin charismatischen Persönlichkeiten in den 40er Jahren bewies, wieviel Power, Talent, Elan und Esprit Frauen haben können, entgegen der damaligen öffentlichen Meinung, Musik machen sei "doch eher Männersache". (2007)
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