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Beitrag vom 06.10.2019
Dagmar von Gersdorff - Vaters Tochter - Theodor Fontane und seine Tochter Mete
AVIVA-Redaktion
Der Band zum 200. Geburtstag des Schriftstellers stellt die Tochter-Vater-Beziehung in den Mittelpunkt, thematisiert aber nicht den offenen Judenhass Fontanes. Martha Fontane, genannt Mete, war sein Lieblingskind. Sie sagte von sich selbst, sie sei "tapfer gegen antisemitische Einflüsse". AVIVA verlost 3 Bücher
Die belesene Tochter war vor allem die Vertraute des Vaters, seine "Meerfee, Muse und Scheherazade". Sie galt als intelligent, geistreich, und als eine glänzende Briefschreiberin.
Ihren Charakter und ihr Schicksal spiegelte der Vater in Romanen wie Effi Briest, Frau Jenny Treibelund in Figuren wie der Melusine im Stechlin. Die Heiratsabsichten der Zwanzigjährigen erfüllten sich nicht, denn "ohne Mitgift" war die begabte und selberdenkende "Tochter aus gutem Hause" wenig begehrenswert. Sie erlernte den einzigen Beruf, der Frauen zur Verfügung stand, und ging als Erzieherin zu einer adligen Familie aufs Land, kehrte jedoch bald ins Elternhaus zurück und stand dem alternden Vater zur Seite. Doch Metes Verhältnis zur Mutter war gespannt, ihre "Nervosität" und Anfälligkeit nahmen zu, und Fontane beklagte einerseits, dass Mete ihm auf der Tasche lag, gleichzeitig fiel es ihm immer schwerer, sie gehen zu lassen. Vier Tage nach ihrer Verlobung mit einem älteren Witwer starb er. Ob sie in der Ehe ihr Glück fand, ist fraglich. Sie starb 1917 mit sechsundfünfzig Jahren nach einem Sturz vom Balkon ihres Hauses.
Zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane am 30. Dezember 2019 erzählt die Schriftstellerin Dagmar von Gersdorff von dieser vielschichtigen, widersprüchlichen und möglicherweise auch erotisch gefärbten Vater-Tochter-Beziehung – und von einer Frau, die in Depressionen und Krankheiten flüchtete, weil sie keine Möglichkeit hatte, ihre Begabungen und Talente anzuwenden.
Antisemitismus bei Fontane
Da der Vater Kritiken schrieb, hatte Martha auch Zugang zu Theatern, Soirées, Musicals und damit insgesamt zu den politischen und kulturellen Diskursen ihrer Zeit. Der judenfeindliche Hofprediger Adolf Stoecker und ein Artikel des ebenfalls antisemitischen Historikers Heinrich von Treitschke aus dem Jahr 1879 lösten eine breite öffentliche Diskussion zur so genannten "Judenfrage" aus. Stoecker und Treitschke gelten als "die Erfinder" des modernen Antisemitismus in Deutschland. Am 30. April 1880 erlebte Mete in dieser aufgeheizten Stimmung eine Fortsetzung dieses öffentlichen Streits im Schauspielhaus, als das Stück "Gräfin Lea" von Paul Lindau aufgeführt wurde. Im Theaterstück wurde die Frage, ob Juden die gleichen Rechte wie alle anderen BürgerInnen Deutschlands haben sollen, Pro und Contra behandelt.
Ein Medienecho zu dieser Aufführung blieb jedoch aus. Mete hielt sich, nach eigener Einschätzung, "tapfer gegen antisemitische Einflüsse".
Dies hielt jedoch ihren Vater, dessen besonderer und erklärter Liebling sie war, nicht davon ab, jahrelang offenen Judenhass zu verbreiten. Überliefert sind u.a. folgende Aussagen von Fontane:
"Hier war es, mit Ausnahme der Juden, sehr schön", schreibt Fontane in aus der Sommerfrische in Norderney. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen – Fontane hat die Juden in einem Brief vom 12. Mai 1898 an den Philosophen Friedrich Paulsen als "ein schreckliches Volk" bezeichnet, als "ein Volk, dem von Uranfang an etwas dünkelhaft Niedriges anhaftet, das sich mit der arischen Welt nun mal nicht vertragen kann", außerdem mäkelte er öffentlich am Selbstbewusstsein von gebildeten Jüdinnen herum, begehrte sie aber ganz offensichtlich.
Mete bzw. Martha hat von all dem gewusst. Der von ihr über alles geliebte Vater schrieb ihr an einem Brief am 30. August 1895 aus Karlsbad u.a. eine Schilderung eines "forschen Diners":
"Meine liebe Mete,
(…) Natürlich lauter Juden: Friedbergs, Liebermann, Magnus (…) das ständige Voraugenhaben von Massenjudenschaft aus allen Weltgegenden kann einen natürlich mit dieser schrecklichen Sippe nicht versöhnen." Weiter lässt er sich darüber aus, dass man ja dadurch "in´s Schwanken" käme, denn sie seien trotz aller "Schäbigkeiten und Geschmacklosigkeiten" schließlich auch "Kulturträger."
Mete bzw. Martha hätte durch ihre Nähe zum Vater die Möglichkeit gehabt, sich positionieren. Es scheint so, dass sie es nicht getan hat. Zumindest dieses Stillschweigen darüber sollte - vor allem im Jubiläumsjahr - thematisiert werden.
Zur Autorin: Dagmar von Gersdorff, geb. von Forell, stammt aus Trier/Mosel. Sie lebt heute als Literaturwissenschaftlerin und Biographin in Berlin. Verheiratet, drei Kinder. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. Ihre Promotion schrieb sie über den Einfluß der deutschen Romantik auf Thomas Mann. Für die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz verfaßte sie drei Text-Bild-Bände.
Bekannt wurde sie durch ihre Biographien über bedeutende literarische und historische Persönlichkeiten: Marie Luise Kaschnitz, Bettina und Achim von Arnim, Goethes Mutter, Caroline von Günderrode, Goethes Enkel, Prinz Wilhelm von Preußen und Elisa Radziwill, Caroline von Humboldt. Ihr Werk wurde mit Preisen ausgezeichnet. Sie ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Mitglied des internationalen PEN.
Dagmar von Gersdorff
Vaters Tochter - Theodor Fontane und seine Tochter Mete
insel taschenbuch 4730, erschienen: 12.08.2019
Klappenbroschur, 197 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN: 978-3-458-36430-6
18 Euro
Mehr zum Buch unter: www.suhrkamp.de
AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte senden Sie uns bis zum 30.12.2019 per Email an: info@aviva-berlin.de die Namen von drei Figuren aus Fontanes Romanen, in denen Martha/Mete als Vorbild diente.
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