Fotografien von Ruth Jacobi - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Gewinnspiele



AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 15.12.2008


Fotografien von Ruth Jacobi
Alexandra Kasjan

Die Künstlerin stand, obwohl nicht weniger begabt, lange Zeit im Schatten ihrer bekannteren Schwester Lotte Jacobi (1896-1990). AVIVA-Berlin verlost 1 Bildband




Daher hat das Jüdische Museum Berlin erstmalig eine großartige Auswahl ihrer Aufnahmen im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, um auch deren fotografisches Talent zu würdigen. Das Begleitbuch zur Ausstellung zeigt nicht nur bemerkenswerte Fotografien, sondern gibt dank der Memoiren von Ruth Jacobi auch Einblick in ihren familiären Hintergrund, ihren Lebenslauf und in ihre Persönlichkeit.


"Jede Aufnahme, die ich machte, wurde ein Ereignis für mich. Es schien mir, als würde ich erst jetzt anfangen zu sehen. Ich sah alles in einem neuen Licht." So beschrieb Ruth Jacobi ihre große, lebenslange Leidenschaft, nachdem sie Ende des Jahres 1922 ernsthaft anfing, im Atelier ihres Vaters in Berlin zu arbeiten. Zu der Zeit entdeckte sie ihre Faszination für die Pflanzenwelt. Die wunderschönen Formen von Gräsern, Baumstämmen, Blumen, Knospen und Kakteen inspirierten die Fotografin. So entstand eine bis dahin völlig neue Fotoserie von Pflanzenbildern. Doch wer war eigentlich diese Frau? Die Künstlerin wurde 1899 in Posen geboren und entstammte einer seit vier Generationen erfolgreich tätigen Fotografenfamilie.

In ihren Erinnerungen schildert Ruth Jacobi zunächst, wie ihre sephardisch-jüdischen Vorfahren aus Spanien zur Zeit der Inquisition vertrieben wurden und anschließend im Jahre 1495 nach Holland flüchteten. Aufgrund antisemitischer Ausschreitungen mussten ihre Ahnen 1640 in das Ghetto von Thorn gehen. Als Louis Daguerre (1787-1851) im Jahre 1839 in Paris die Fotografie entdeckte, war es Samuel Jacobi, Ruths Urgroßvater, der sich brennend für die fotografische Aufnahmetechnik interessierte. So machte er sich auf den Weg, um bei dem gefeierten Erfinder in die Lehre zu gehen. Später wies Samuel seinen Sohn Alexander in seiner Werkstatt in die Fotografie ein. Auch Sigismund Jacobi, der Sohn von Alexander und Vater von Ruth, absolvierte eine fotografische Ausbildung. Er heiratete 1895 seine große Liebe Mia, Ruths Mutter. Ruth beschreibt ihren Vater in ihren Memoiren als "Romantiker" und "Meister in der Photographie". Mit seiner kleinen Familie zog Sigismund Jacobi 1898 nach Posen, um in einem Atelier zu arbeiten. Ein Jahr später wurde Ruth geboren.

Bereits in jungen Jahren war das Atelier das Abenteuerspielplatz und die Quelle der Phantasie der beiden Geschwister Lotte und Ruth Jacobi. So ist es nicht verwunderlich, dass beide Mädchen den Fußstapfen ihrer Vorfahren folgten. 1920 zog Ruth nach Berlin, wo sie an der 1890 gegründeten Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins Fachphotographie studierte. Nach zwei Jahren absolvierte sie ihre Ausbildung. Anschließend blieb sie in der Hauptstadt, um sich in dem neuen Atelier ihres Vaters, welches in der Joachimsthaler Straße 5 eröffnet wurde, ganz der Photographie zu widmen.

1928 wanderte Ruth Jacobi mit ihrem Ehemann Hans Richter nach New York aus. Der gelernte Kaufmann war dort als Dramaturg und Regisseur für das politische Theater der SPD tätig. Dadurch lernte Ruth einen großen Kreis von TheaterschauspielerInnen kennen, die von ihr fotografiert wurden. Die unglückliche Ehe der EmigrantInnen führte dazu, dass Ruth Jacobi 1930 nach Berlin zurückkehrte, wo sie ihrer ersten Liebe, dem aus Ungarn stammenden Mediziner Maurus (Zsolt) Roth, wieder begegnete. Nach der Scheidung von Hans Richter im Jahre 1933 heiratete Ruth ihren Geliebten in Budapest. Nach dem Tode ihres Vaters emigrierte die Künstlerin 1935 mit ihrem zweiten Ehemann erneut nach New York. Später folgten auch Lotte Jacobi, ihr Sohn Joachim und ihre Mutter Mia. In Deutschland war die Familie aufgrund der nationalsozialistischen Machtergreifung nicht mehr sicher. In ihrer neuen Heimat eröffnete Ruth Jacobi ihr eigenes Atelier. Sie fotografierte alles, was sich ihr bot, wie etwa Menschen vor und nach einer Operation oder Skulpturen für verschiedene KünstlerInnen. Später unterstützte Ruth Jacobi ihren Ehemann bei der Arbeit in seiner Arztpraxis. Schweren Herzens musste sie ihre fotografische Tätigkeit aufgeben. Ruth Jacobi starb im September 1995 im Alter von 96 Jahren in Kalifornien.

In den "Erinnerungen an Ruth Jacobi-Roth" schildert Beatrice Trum Hunter, die angeheiratete Nichte von Ruth Jacobi das eher distanzierte Verhältnis der Geschwister Lotte und Ruth Jacobi. Lotte, eigentlich Johanna Alexandra, galt bereits im Kindesalter als besonders schön, klug und begabt. Sie war immer die dominantere der beiden Mädchen und stand stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ruth dagegen musste seit der 7. Klasse eine Hornbrille tragen und litt bis ins Erwachsenenalter an mangelndem Selbstbewusstsein. Obwohl Lottes Fotografien in New York in vielen Ausstellungen gezeigt wurden, ergriff die ältere Schwester nicht ein einziges Mal die Initiative, um einem der Galeristen auch Ruths Aufnahmen als mögliche Exponate zu empfehlen oder diese für eine gemeinsame Ausstellung vorzuschlagen.

Dennoch wurden einige Fotografien von Ruth Jacobi-Roth veröffentlicht, so etwa auf dem Schutzumschlag des 1930 erschienenen autobiographischen Romans "Juden ohne Geld" (Jews Without Money) von Michael Golds. Zu sehen ist ein älterer bärtiger Mann mit einem Hut. Er trägt einen Sakko und eine Hose und sitzt mit gesenktem Haupt an der Lower East Side an einer Straßenecke, wo er als Taschenverkäufer arbeitet. Sein Blick ist ernst und verbittert. Seine Arme auf seinen Knien stützend, verschränkt er seine Hände ineinander. Weiterhin wurden vier ihrer Bilder in mehreren Ausgaben der Zeitschrift "Popular Photography" (1937-39) veröffentlicht. Ebenso vier weitere Portraits von Albert Einstein in Berlin, die 1939 in einer Biographie des Wissenschaftlers publiziert wurden. Besonders erwähnenswert ist noch die Veröffentlichung einer ihrer Aufnahmen in dem Band "U.S. Camera 1940", der zum 100-jährigen Jubiläum der Fotografie erschien.

Das Jüdische Museum Berlin besitzt heute über 400 Abzüge und noch eine größere Anzahl von Negativen von Ruth Jacobi. Ein seltener und kostbarer Schatz, der nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

AVIVA-Tipp: Nicht nur die große Vielfalt an Fotografien beeindruckt: Porträts bekannter als auch unbekannter Persönlichkeiten in jedem Alter, ästhetische Pflanzenbilder, ausdrucksstarke Schnappschüsse des geschäftigen Stadtlebens in New York aus dem Jahre 1928, die Lower East Side als zentrales Thema. Reisefotografien aus Ungarn, entstanden im Jahre 1934, zeigen die dort lebenden Menschen in ihrer traditionellen Tracht und dokumentieren ihren Alltag im Dorf. Weiterhin Stillleben-Aufnahmen von Kunstobjekten, wie etwa einem Chanukkaleuchter oder Puppen, aber auch von Naturprodukten, wie Eier in einem Netz. Alle diese Aufnahmen beweisen die kreative Kunstader von Ruth Jacobi. Die in dem Buch veröffentlichten Fotografien in Duplexdruck haben eine ausgezeichnete Qualität und zeugen von der scharfen Beobachtungsgabe der Künstlerin.
Ruth Jacobi schildert in ihren Memoiren ihr Leben in einer Weise, die das Lesen zum Vergnügen macht: historisch interessant, dramatisch und humorvoll.

Zum Herausgeber: Aubrey Pomerance ist Judaist und Archivleiter des Jüdischen Museums Berlin und der dortigen Dependance des Archivs des Leo Baeck Instituts New York.

Lesen Sie auch unseren Beitrag zur Ausstellung Ruth Jacobi. Fotografien im Jüdischen Museum Berlin.



AVIVA-Berlin verlost 1 Bildband. Bitte beantworten Sie uns folgende Frage: Wie bezeichnet man die jüdischen Vorfahren von Ruth Jacobi und senden bis zum 10.01.2009 eine eMail an folgende Adresse: gewinnspiele@aviva-berlin.de


Ruth Jacobi. Fotografien
Herausgegeben von Aubrey Pomerance im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin
120 Seiten, 60 Abbildungen im Duotone,
Format: 21 x 22,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: 24,90 Euro
Nicolai Verlag, erschienen November 2008
ISBN: 978-3-89479-509-23



Gewinnspiele

Beitrag vom 15.12.2008

AVIVA-Redaktion