AVIVA-Berlin >
Interviews
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 12.03.2010
Feo Aladag im Interview
Tatjana Zilg
"Die Fremde" ist das viel beachtete Regiedebüt der gebürtigen Wienerin. Zuvor schon bewies sie ihr Gespür für Suspense und geschickten Handlungsaufbau als Drehbuchautorin. Ihre Karriere im ...
... Film-Business begann sie auf der anderen Seite der Kamera, als Schauspielerin.
AVIVA-Berlin sprach kurz nach der Premiere von "Die Fremde" auf der 60. Berlinale mit Feo Aladag über ihren Film, der den Ereignissen vor einem Ehrverbrechen in einer deutschtürkischen Familie nachspürt.
AVIVA-Berlin: "Die Fremde" ist ein Spielfilm über ein aktuelles und kontrovers diskutiertes Sujet. Er überzeugt auf der Kinoleinwand durch packende Dialoge und die präzise Nachzeichnung der Konflikte zwischen Umay und den einzelnen Familienmitgliedern. Wie haben Sie sich zu Beginn den Themen Ihres Filmes angenähert?
Feo Aladag: Mit einem humanistischen Ansatz, mit viel Sorgfalt und dem Versuch, mich allen Figuren mit der größtmöglichen Empathie anzunähern. Ich wollte der inneren Zerrissenheit aller Charaktere nachspüren.
Gerade im Kino sind alle Ebenen der Kommunikation wichtig: Es geht da auch um Blicke und die stillen Momente. Wir haben viele Arten zu kommunizieren. Die verbale Ebene ist nur eine davon. Wenn ich das beachte, so bewirkt dies mehr, als wenn ich alles in die Dialoge packen würde. Sonst rutscht man auch schnell in die Didaktik ab.
AVIVA-Berlin: Was war der auslösende Moment für das filmische Vorhaben?
Feo Aladag: Ich wurde von Amnesty International gefragt, ob ich Spots zu dem Thema "Gewalt gegen Frauen" entwickeln und inszenieren möchte. Zuvor hatte ich noch nie etwas gedreht, sondern immer nur für andere Leute Skripts geschrieben. Ich habe mich deshalb über das Angebot gefreut und gerne zugesagt. Es kam mir auch entgegen, da für mich schon immer klar war, dass ich nicht selbst produzieren möchte. Denn von Zahlen habe ich keine Ahnung. Ursprünglich komme ich vom Schauspiel. So fuhr ich nach Wien, um mit der Recherche zu beginnen. Ich habe dort viele Amnesty International-Ordner durchgearbeitet und holte zusätzliches Material ein.
Das hat mich emotional sehr bewegt: Ich war berührt und aufgewühlt und fragte mich, warum ich bisher einen so belanglosen Beruf wie Schauspielen und Schreiben gemacht habe, wo man doch sinnvollere Dinge tun kann. Das sind natürlich überspitzte Gefühle, die man in dem Moment hat.
Zeitgleich erschienen in den Medien mehr und mehr Berichte über die sogenannten Ehrverbrechen, zu denen auch die Ehrenmorde gehören. Ich habe versucht, zu begreifen, wie es geschehen kann, dass Eltern sich so gegen ihre Kinder wenden und sich nach Leitlinien richten, welche von außen an sie herangetragen werden.
Ich habe meine Recherche ausgeweitet, indem ich in Frauenhäuser gegangen bin und mit Journalistinnen gesprochen habe, die zu dem Thema berichtet und geschrieben haben. Dadurch habe ich Kontakte zu Betroffenen bekommen und zu Sozialarbeiterinnen, die mir weitere Kontakte vermittelt haben. So konnte ich mit Familien, die in ähnlichen Konflikten stehen, intensive Gespräche führen.
Während der Recherche habe ich versucht, mich direkt in die betroffenen Frauen einzufühlen. So achtete ich genau darauf, wie die Räume in den Frauenhäuser aussehen und wie es sich anfühlt, sich in so einem Raum aufzuhalten. Ich spürte in mich hinein, welche Bilder in mir entstehen, und fand so im Vorfeld zu einigen Szenen, die ich dann später auch im Film verwendet habe.
Als ich genug Material und Eindrücke zusammen hatte, setzte ich mich zu Hause mit meinem Laptop hin und begann das Drehbuch für "Die Fremde" zu schreiben.
AVIVA-Berlin: Wieso haben Sie sich dafür entschieden, den Film kurz vor dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, wo Umay ihren Ehemann in der Türkei verlässt und nach Berlin zurückkehrt? Auch später gibt es keine Rückblenden über die Vorgeschichte dieser Heirat. Der Film bleibt auf die Gegenwart zentriert, man erfährt nicht, wie die jetzige Situation und die unglückliche Ehe zustande gekommen ist.
Feo Aladag: Das war auch eine formale Entscheidung. Ich hätte gleich mit dem Bild des Flugzeugs beginnen können, in dem Umay von der Türkei nach Deutschland zurückkehrt, und hätte es so den Zuschauern überlassen können, sich die Vorsituation selbst zu erschließen.
Ich hatte das Gefühl, dass der Film ein paar Momente für die Vorgeschichte braucht, wollte das Drama dieser schwierigen Ehe aber nicht in aller Exponiertheit darstellen. Ich glaube, dass diese ersten Szenen genügen, um zu verstehen, dass sie die Gefangene einer unglücklichen Ehe ist und es nicht nur um einen prügelnden Ehemann geht, sondern dass dieser in der Situation genauso verzweifelt und einsam wie sie ist.
Für die Figur von Umay ist es wichtig, dass sie dort in dieser Ehe in der Türkei nicht das Leben führen kann, für das sie sozialisiert wurde, da sie in Berlin geboren und aufgewachsen ist. Es fehlt ihr ein Stück Heimat und das macht auch ihre eigene Zerrissenheit mit aus.
AVIVA-Berlin: Welches Publikum wünschen Sie sich für den Film? Werden Sie den Film auch an Schulen zeigen, um Leute zu erreichen, die sich sonst eher andere Filme anschauen würden? Wie waren die bisherigen Reaktionen?
Feo Aladag: Natürlich wäre es gut, wenn der Film auch an Schulen gezeigt wird, und ich würde mich vor Ort auch den Diskussionen stellen. Ich finde Initiativen wie "Heroes" großartig, die konkret mit Jugendlichen zu diesen Themen arbeiten und sie ausbilden, um sie als Multiplikatoren in die Schulen zu schicken. Ich könnte mir vorstellen, dass der Film in diesem Rahmen funktioniert.
Für die Kinos wünsche ich mir, dass viele unterschiedliche Menschen den Film ansehen.
Gestern bekam ich eine Reaktion von einem türkischen Journalisten, der sich als einer der ersten Männer selbst mit dem Thema beschäftigt hat. Er war wahnsinnig berührt und teilte mir mit, dass er den Film großartig findet. Es war für mich schön, das auch von einem Mann zu hören. Zuvor hatte ich schon viele Reaktionen von Frauen, die sich bei mir für den Film bedankten.
AVIVA-Berlin: Wird der Film auch in der Türkei gezeigt werden können?
Feo Aladag: Am ersten Freitag während der Berlinale haben wir zu einem wesentlich größeren Verleih aus der Türkei gefunden, als wir für möglich hielten. Der Verleih heißt "Özen" und es gibt ihn schon seit 60 Jahren.
Am Samstag habe ich die Tochter des Verleihgründers kennen gelernt. Es ist toll, dass sie und ihr Team wirklich an meinen Film glauben und ihn in der Türkei groß rausbringen wollen - gemessen an den Verhältnissen dort. Zuvor schon wurde ich mit dem Film zu einem Filmfestival in Istanbul eingeladen, was eigentlich auch schön gewesen wäre. Nun stehen diese beiden Offerten ein wenig im Konflikt, weil der Verleih den Film Mainstream-mäßig herausbringen möchte, das Festival eher für Arthouse steht. So müssen wir noch ein wenig verhandeln, wie wir das jetzt alles machen.
AVIVA-Berlin: Wann ist der Start dort?
Feo Aladag: Im April 2010, einige Tage nach Ostern.
Unser Agent "Telepool" hat den Film während der Berlinale auch in die Beneluxländer verkauft. Interessanterweise konkretisiert das sich jetzt auch für Japan und China. Das geht alles gut los.
Das Problem dabei war, dass ich den Film neun Monate lang für die Berlinale zurückhielt. Es gab schon zuvor Anfragen, aber es ist die Auflage von der Festivalleitung, erst die Premiere hier abzuwarten.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie die Premiere auf der Berlinale erlebt?
Feo Aladag: Die Premiere im Zoopalast war natürlich sehr schön. Es war alles sehr emotional und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.
AVIVA-Berlin: Wie kam es dazu, dass Sie die Rollen der Eltern mit zwei in der Türkei renommierten Schauspielern besetzt haben? Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?
Feo Aladag: Ja, beide sind in der Türkei gefragte Schauspieler. Deyra Alabora hat in vielen Arthouse-Filmen mitgespielt, Settar Tanriögen ist eher durch komische Rollen bekannt, in ernsten Filmen hat er bisher kleinere Rollen gespielt.
Ich wollte vermeiden, die Eltern mit SchauspielerInnen mit zu verhärteten Gesichtern zu besetzen. Es gibt auch in Deutschland gute Kollegen, die solche Rollen oft besetzen. Aber es ist einfach nicht so schön, wenn derselbe Schauspieler acht Mal in verschiedenen Filmen in ähnlichen Rollen zu sehen ist. Das wollte ich für meinen Film nicht.
Ich suchte jemand, der auch weiche Gesichtszüge hat und dem man die Liebe zu seinen Kindern ansehen kann. Settar Tanriögen ist jemand, der etwas Bäriges und Starkes hat, aber auch weiche Seiten. Da war er für mich absolut passend.
Um zu diesen Schauspielern zu finden, habe ich noch mehr türkische Filme als sonst angeschaut und darauf geachtet, welche Leute mich interessieren. Dann bin ich nach Istanbul geflogen und habe mich mit ihnen getroffen und entschied mich für Deyra Alabora und Settar Tanriögen.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie zu den Geschwistern für Umay gefunden?
Feo Aladag: Ich habe hier in Deutschland Street-Castings gemacht. Diese Schauspieler haben zum großen Teil zum ersten Mal in einem Film mitgemacht, nachdem ich zuvor mit ihnen einen sechsmonatigen Workshop durchgeführt habe. Dadurch ist schon im Vorfeld viel entstanden und alle waren sich emotional nah.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!
Die Fremde
Deutschland 2010
Buch und Regie: Feo Aladag
DarstellerInnen: Sibel Kekilli, Settar Tanriöðen, Derya Alabora, Florian Lukas, Tamer Yigit, Serhad Can, Almila Bagriacik, Alwara Höfels, Nursel Köse, Nizam Schiller, Ufuk Bayraktar u.a.
Verleih: Majestic
Lauflänge: 119 Minuten
Kinostart: 11. März 2010
Der Film im Netz: www.diefremde.de