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AVIVA-BERLIN.de 8/21/5784 - Beitrag vom 08.10.2007


Ellen Auerbach. Das dritte Auge
Marietta Harder

Aus Deutschland vertrieben, in Palästina keine Heimat gefunden und in die USA ausgewandert, befand sich die jüdische Fotografin stets auf der Suche. Heimat- und Orientierungslosigkeit prägten sie.




Eine junge Frau, gerade 23 Jahre alt, klopft an die Tür eines fremden Mannes in einer unbekannten Stadt und hofft, bei ihm die Technik der Fotografie zu erlernen, um so ihrer Heimat und der depressiven Kindheit zu entfliehen. Und tatsächlich, Walter Peterhans, zu der Zeit (1929) schon berühmter Fotograf in Berlin, lässt die Kunststudentin aus Karlsruhe in sein Studio und verspricht, sie in den kommenden Monaten als Privatschülerin auszubilden.
Bereits am nächsten Tag soll der Unterricht beginnen und Ellen Rosenberg erscheint pünktlich: "´Haben Sie ein Stativ? – Ja – Bauen Sie es auf.` Damit verschwand er in sein Zimmer. Was war da aufzubauen? Ich zog die dünnen schwarzen Beine des zarten Stativs aus und stellte es hin und wartete. Endlich kam er wieder mit einem hölzernen Sack im Arm. Ein tragbares, sehr solides Holzstativ. Er baute es auf, stellte es neben meines. Dann schlug er mit der flachen Hand darauf. Nichts rührte sich. Das wiederholte er mir meinem, was kläglich und komplett in sich zusammenfiel. Ich innerlich auch." Doch schnell richtet sie sich wieder auf und findet in Peterhans einen Lehrer, der ihr Handgriffe zeigt und gleichzeitig auch ihr späteres Werk prägt.

Entgegen den Plänen ihrer Eltern verbringt Ellen die nächsten Jahre in Berlin und geht nicht, wie von den bürgerlichen Rosenbergs vorgesehen, auf die Kunstakademie, um ihr Studium der Bildhauerei fortzusetzen. Endlich hat sie ihr Ziel erreicht und kommt von zu Hause weg, denn dort war sie nie glücklich: 1906 in Karlsruhe geboren, lebte das Mädchen "Zeit ihrer Kindheit und Jugend in einer schizophrenen Situation". Während ihre Mutter stets darum bemüht war, einen wohlhabenden Lebensstil nach außen zu verkörpern und in eine Rolle zu schlüpfen, die ihr Anerkennung verschaffen sollte, versank die junge Ellen in Minderwertigkeitsgedanken und entwickelte Angstgefühle gegenüber ihren strengen Eltern. Die Ausbildung bei Peterhans erschien eine gute Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten und die Pläne der Mutter zu missachten. Nach Karlsruhe sollte sie erst im Jahr 1953, mehr als 20 Jahre später, zurückkehren.

Doch auch Berlin blieb nicht lange die Heimatstadt der jungen Jüdin. Obwohl sie 1929 mit Grete Stern ein eigenes Werbe- und Portraitstudio "ringl + pit" gründete und mit den Fotografien Erfolg erlang, konnte Ellen Rosenberg in den 30er Jahren nicht in Deutschland bleiben. Früh gewarnt durch Bekannte ihres Freundes Walter Auerbach emigrierte sie 1933. "Trotz der beschämenden Unwissenheit in Politik scheinen mir öfters ganz wichtige Geschehnisse intuitiv zuzufliegen. Ich hörte etwas von Konzentrationslagern und sagte, hier können wir nicht bleiben. Wir hatten damals keine persönlichen Schwierigkeiten erfahren und es war unser Entschluss, auszuwandern. Viel später wurde mir klar, dass wir trotzdem Opfer waren", so Ellen Auerbach rückblickend.

Inka Grave Ingelmann beschreibt, basierend auf zahlreichen Interviews mit der Fotografin, das außergewöhnliche Leben einer Frau, die bereits im Jugendalter ihren eigenen Weg verfolgte. Mit ihrer emanzipierten und unabhängigen Lebensweise verkörperte Ellen Rosenberg in den 20er Jahren den Typus der "neuen Frau", die beruflich selbständig, finanziell unabhängig und sexuell befreit war. Ob als engagierte Geschäftsfrau oder leidenschaftliche Fotografin, sie kümmerte sich nicht um gesellschaftliche Normen, hielt sich nicht an typische Rollenbilder und war stets auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.
"Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass ich zu den Leuten gehöre, die was suchen. Ich hab gemerkt, dass es versteckt ist. Und wenn ich es irgendwo finde, dann bin ich sehr glücklich und in der Fotografie hat man verhältnismäßig viel Gelegenheit, davon etwas zu finden. Was das aber wirklich ist, weiß ich nicht genau."

Besonders in den Arbeiten mit Grete Stern, ihrer langjährigen Freundin (und zeitweise Geliebten) ist das Spiel mit der Weiblichkeit vordergründig, wie die zahlreichen Tafeln in dem Buch "Ellen Auerbach. Das dritte Auge" zeigen. Spannend und interessant vermittelt die Autorin und Kuratorin die Hintergründe ausgewählter Fotografien und zeigt, wie unkonventionell sich das Leben der beiden Frauen in ihrem Berliner Studio gestaltete, wie innovativ ihre Werbeaufnahmen waren.

In Palästina, wohin Ellen Rosenberg 1933, im Alter von 27 Jahren emigrierte, konnte sie allerdings nicht an ihren beruflichen Aufstieg anknüpfen, denn dort sah die Jüdin nie eine Heimat, fühlte sich immer unwohl und fremd. "Allein, noch nicht erholt von einer..., kein Wort Hebräisch sprechend, bestieg ich zum ersten Mal ein Schiff. Den kleinen Koffer mit der Fotoausrüstung schleppte ich überall mit, denn er stellte mein `Vermögen` dar." Zwar reiste Walter Auerbach 1934 nach Tel Aviv und ihre Beziehung festigte sich – sie eröffneten sogar ein Fotostudio ("Ishon", was "Augapfel" bedeutet) – doch bereits zwei Jahre später verließ Ellen Rosenberg Palästina endgültig und ging nach London zu Grete Stern. Ihre Hoffnung, hier arbeiten und ein glückliches Leben führen zu können, erfüllte sich jedoch nicht und so wanderte sie 1937 mit Walter Auerbach, den sie einen Monat zuvor in London geheiratet hatte, in die Vereinigten Staaten aus.

Auch das Leben in Amerika bringt Inka Graeve Ingelmann den LeserInnen näher und zeigt Erfolgsmomente der Künstlerin ebenso auf wie tiefe Krisen, zu denen auch die Trennung von ihrem Ehemann Walter gehörte. Eine große Rolle spielt die fotografischen Weiterentwicklung Ellen Auerbachs, die unterbewusst besondere Motive erkannte: "Ich glaube manchmal, dass die besten Bilder unbewusst entstehen. Irgendwas bringt dich zum Fotografieren und nachher wundert man sich, wie so etwas gelingen konnte." Intuitiv, mit ihrem "Dritten Auge" gelangen der Fotografin Momentaufnahmen von gewöhnlichen Alltagssituationen, die hervorbringen, "was fühlbar, aber nicht sichtbar ist".

Bis die Öffentlichkeit allerdings das besondere Talent und die für die Zeit außergewöhnlichen Aufnahmen würdigt, vergehen Jahrzehnte. Erst in den spätern 70ern, nachdem sie die Fotografie längst aufgegeben hatte und als Kindertherapeutin ihre Erfüllung fand, wurden die Arbeiten Ellen Auerbachs wieder entdeckt und es entwickelte sich ein reges Medieninteresse an ihrem Leben.

Zur Autorin: Inka Graeve Ingelmann, geboren 1960 in Holstein, studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Theaterwissenschaft und Psychologie. Seit 1987 sind fotohistorische Themen ihr Spezialgebiet und sie arbeitete unter anderem an dem Metropolitan Museum of Art in New York. Derzeit arbeitet Ingelmann als Kunsthistorikerin, sowie Autorin und veröffentlichte zahlreiche Schriften zur Fotogeschichte und zeitgenössischen Fotografie. Bei Schrimer/Mosel ist unter anderem erschienen: "Mechanismus und Ausdruck. Die Sammlung Ann und Jürgen Wilde" (1999).

AVIVA-Tipp: Was macht das Leben dieser Fotografin so besonders? "Ellen Auerbach. Das dritte Auge" beantwortet die Frage schnell und weckt nicht nur das Interesse Fotografiebegeisterter. Auch LeserInnen, die ihren Namen noch nie zuvor gehört haben, lassen sich in die Avantgarde-Fotografie entführen und erfahren gern von der außergewöhnlichen Lebensführung Auerbachs. Zitate und viele Abbildungen sowie Aufnahmen der jüdischen Künstlerin runden diesen ebenso informativen wie spannend geschriebenen Band ab.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Drei Fotografinnen. Eine Doku von Antonia Lerch

Weitere Informationen finden Sie unter:
Bebilderte Biografie Ellen Auerbachs: www.exil-archiv.de/html/biografien/auerbach.htm

Der Film "RINGL AND PIT" von Juan Mandelbaum (1995) war in 2006 auf dem 12. "Jewish Film Festival in Berlin zu sehen.


Inka Graeve Ingelmann
Ellen Auerbach. Das dritte Auge
Leben und Werk

Mit einem Vorwort von Matthias Flügge
Gebunden, 224 Seiten, 95 Duotone-Tafeln, 63 teils farbige Abbildungen
Schirmer/Mosel Verlag, erschienen Dezember 2006
ISBN: 3-8296-0223-5
49,80 Euro



Jüdisches Leben

Beitrag vom 08.10.2007

AVIVA-Redaktion