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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 26.09.2007


Chaya Czernowin – Pnima...ins Innere
Annegret Oehme

Wie stellt man am besten den Konflikt der dritten Generation dar, die mit den Andeutungen der Erwachsenen über die Shoa lebt und versucht diese zu verstehen: Aus der Sicht eines Kindes.




Ein alter Mann, ein kalter Raum, eine Tür – die erste Szene der Kammeroper "Pnima...ins Innere".

Das Bühnenbild führt ins Innere von Momik, dessen Großvater von einem gewissen, nie näher beschriebenen, Ort zurückgekehrt ist. Momik weiß, dass dieser alte Mann schreckliche Dinge erlebt hat, aber außer einigen Bemerkungen der Erwachsenen bleibt ihm diese Geschichte verschlossen. Er versteht nicht, worum es wirklich geht und kann sich nur selbst ausmalen, was das für ein Ort gewesen sein muss. Wie sein Großvater isoliert sich auch Momik zusehends und entwickelt mit der Zeit sein eigenes, düsteres Gefängnis.

Vorlage der Handlung bietet der vierteilige Roman "Stichwort: Liebe" des israelischen Schriftstellers David Grossmann.
Als Chaya Czernowin gebeten wurde, ein Stück für die Münchner Biennale 2000 zu schreiben, einigte sie sich mit dem Theaterregisseur Claus Guth schnell darauf, David Grossmanns Buch zu verarbeiten. Ihrer Meinung nach ist er eine gelungene Darstellung des schier unlösbaren Zwiespaltes zwischen der Last der individuellen Erinnerungen an das Leid der Shoa und der Notwendigkeit der Kommunikation zwischen den Generationen.

Um zu beschreiben, was keine Worte kennt, erarbeitete die Komponistin gemeinsam mit den MusikerInnen die Partitur eines Werkes ohne Libretto.
Da Worte und Sprache eine Form der äußeren Kommunikation bilden, verzichtete sie völlig darauf und lies den SängerInnen nur Vokalisen als Ausdrucksmittel.
Die verschiedenen VokalistInnen und Instrumente, darunter eine singende Säge, stehen jeweils für den Großvater und das Kind. Dabei sind keine Melodien zu erkennen, sondern nur kurze unzusammenhängende Tonfolgen.

Die Reaktionen auf die Uraufführung waren beeindruckend: alle drei Vorstellungen
ausverkauft, Leute weinten und diskutierten, und am Ende erhielt "Pnima" den Bayerischen Theaterpreis 2000.

Zur Komponistin: Die 1957 in Haifa geborene Chaya Czernowin wuchs in Israel auf und lebte seit ihrem 25. Lebensjahr in Deutschland, Japan, den USA und Österreich. Ihre Kompositionen wurden bereits auf über 25 Festivals in aller Welt aufgeführt und umfassen Konzert- und Bühnenwerke, darunter auch eine Ergänzung zu Mozarts Oper Zaïde, die bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde.
Seit 2006 ist sie als Professorin für Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien tätig und unterrichtet im Zuge einer Sommerakademie NachwuchsmusikerInnen im Schloss Solitude.

AVIVA-Tipp: "Pnima…ins Innere" ist kein musikalisches Unterhaltungswerk und erfüllt nicht die üblichen Erwartungen, die mit dem Begriff Oper im Allgemeinen einhergehen. Vielmehr versucht die Kammeroper dem schwierigen Thema Ausdruck zu verleihen, wie die Kinder und Enkelkinder der Shoa-Überlebenden mit der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern umgehen. Empfehlenswert ist, sich zuerst das auf der DVD vorhandene Interview mit der Komponistin anzusehen, das einen Einstieg in das folgende Werk ermöglicht.

Pnima...ins Innere
Komposition, Produktion: Chaya Czernowin
Deutschland 2006
Schott Musik Verlag
92 Minuten,
Bonusmaterial: Interview mit der Komponistin
www.schott-music.com


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Beitrag vom 26.09.2007

AVIVA-Redaktion